Gelsenkirchen. Für Degenhard Leipert war der Gang zum Auto wie ein Marathon. Nach einer harten Corona-Infektion ist er fast der Alte – dem Sport sei Dank?

„Lustlosigkeit“ – für Degenhard Leipert ist es das Wort, dass seine coronabedingte Verfassung am besten zusammenfasst. „Das war so gravierend, dass selbst der Gang vom Sessel ins Bad eine Qual war“, erzählt der 71-Jährige. Und erst der Weg zum Auto – wie ein Marathon. Dabei war es Leipert eigentlich gewohnt, mindestens drei Mal die Woche Sport zu machen: sein Training im Schalker Sportpark, regelmäßiges Radfahren, sein Tennissport. Erst jetzt, fast eineinhalb Jahre nach der Corona-Infektion, sei er so langsam wieder der Alte. „Wobei ich mich immer noch für vieles überwinden muss.“

Gelsenkirchener: „Corona betrifft den ganzen Körper, von der Gefühlswelt bis zur Leistung“

Aber zunächst zurück zum letzten Quartal 2020. „Nicht mal essen wollte ich mehr, obwohl mich meine Frau mit dem verwöhnt hatte, was ich am liebsten mag.“ Zehn Kilo habe er in kurzer Zeit abgenommen. Und dann dieser Husten: „Vor allem kam der, wenn ich von der waagegerechten in die senkrechte Haltung wechseln musste“, erzählt der Rentner.

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Dass es Covid-19 war, das ihm Ende 2020 seine Lebensfreude nahm, das ahnte Leipert zunächst nicht – die Tests seien negativ gewesen, Kontakt zur Außenwelt kaum da. Erst als es irgendwann gar nicht mehr ging, zwischen Weihnachten und Silvester 2020, und Leipert ins Krankenhaus musste, da habe man festgestellt, dass sein Leiden auf eine längst zurückliegende Corona-Infektion zurückzuführen sind. „Seitdem weiß ich: Corona betrifft den ganzen Körper, von der Gefühlswelt bis zur Leistung.“

Was Leipert durchgemacht hat, sieht man ihm heute nicht an. Auf 71 würde man ihn sicher nicht schätzen, er wirkt fit und ausgeglichen.

Chef des Schalker Sportparks wirbt für Training als Corona-Prävention

Wir treffen Leipert in der Injoy-Anlage des Schalker Sportparks, wo er jetzt wieder regelmäßig anzutreffen ist. Der Anlass: Geschäftsführer Martin Rinke wirbt für die Effektivität sportlicher Betätigung mit Blick auf die Corona-Prävention und Bekämpfung von Long-Covid-Folgen – auf die er, sportunternehmerisch naheliegend, mit einem neuen „Post-Covid-19-Wiederaufbauprogramm“, reagiert hat. Kern sind hier die Daten der Sporttreibenden, etwa wird das biologische Alter der Muskelgruppen auf Basis der Maximalkraft berechnet, wodurch ehemalige Covid-Patienten wieder behutsam und mit passgenauer Belastung ans Training herangeführt werden können.

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Rinke stützt sich dabei auf eine repräsentative Studie des Kaiser Permanente Medical Center in Kalifornien. Die US-Studie schlussfolgert aus einer Untersuchung von fast 50.000 Covid-Patienten, dass konsequente sportliche Aktivität mit einem reduzierten Risiko für schwere Covid-19-Folgen einhergeht – und sogar mehr Auswirkungen haben kann als Risikofaktoren wie Rauchen, Adipositas, Diabetes oder Krebs.

Martin Rinke, Chef des Schalker Sportparks und dortigen Sport- und Wellnessclubs Injoy zu dem Gebot, während der Corona-Pandemie so weit es geht zu Hause zu bleiben: „Das hat zu Konsequenzen geführt, die in den Gesundheitsbiografien vieler Leute starke Auswirkungen haben.“
Martin Rinke, Chef des Schalker Sportparks und dortigen Sport- und Wellnessclubs Injoy zu dem Gebot, während der Corona-Pandemie so weit es geht zu Hause zu bleiben: „Das hat zu Konsequenzen geführt, die in den Gesundheitsbiografien vieler Leute starke Auswirkungen haben.“ © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Für Rinke untermalt die Studie, was er seit den ersten Lockdowns – und auch heute – missionarisch vorträgt: „Ich halte die Kollateralschäden durch die monatelange Schließung der Gesundheitsstudios in Deutschland für unterschätzt.“ Doch es seien nicht nur die tatsächlichen Lockdowns gewesen, auch der Dauer-Appell der Politik, bitte zu Hause zu bleiben, habe die Leute mit einer andauernden Selbstisolationsmentalität ausgestattet. Man habe sich längst daran gewöhnt, daheimzubleiben, meint Rinke. „Das hat zu Konsequenzen geführt, die in den Gesundheitsbiografien vieler Leute starke Auswirkungen haben.“

Details zur US-Studie

Die US-Wissenschaftler des Kaiser Permanente Medical Centers haben herausgefunden, dass konstant körperlich inaktive Patienten ein 2,26-mal höheres Risiko für eine Hospitalisierung im Vergleich zu regelmäßig aktiven Patienten hatten. Auch eine Behandlung auf der Intensivstation war bei den inaktiven 1,73-mal wahrscheinlicher als bei regelmäßig Aktiven. Das Sterberisiko war 2,49-mal höher. Bei teilweisen aktiven lagen die Werte dazwischen.

Für die Studie wurden die Daten von 48.440 Erwachsenen mit einer Covid-19-Diagnose im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis Oktober 2020 ausgewertet. Veröffentlicht wurde die Studie im British Journal of Sports Medicine.

Gibt es eine Korrelation zwischen sportlicher Fitness und milden Covid-19-Verläufen?

Während Degenhard Leipert, der nach der Long-Covid-Diagnose erst bei einer Anschlussbehandlung im südlichsten Zipfel Bayerns wieder an den Sport herangeführt wurde und anschließend hier im Injoy-Fitnessstudio wieder das Geräte-Training aufnahm, steht für Sportpark-Chef Martin Rinke vor allem für die Wirksamkeit von körperlicher Betätigung nach einer schweren Corona-Infektion. Die Gelsenkirchener Anita Koch (66) und Mateusz Protasewicz (29, Trainier im Sportpark) dagegen sind für ihn ein Beispiel dafür, wie Grundfitness wie eine Extra-Impfdosis wirken kann.

Für sie war Corona wie eine normale Erkältung: Anita Koch (66) trainiert seit 2004 regelmäßig im Schaker Sportpark.
Für sie war Corona wie eine normale Erkältung: Anita Koch (66) trainiert seit 2004 regelmäßig im Schaker Sportpark. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Seit 2004 trainiere ich zwei bis dreimal wöchentlich“, erzählt Koch. Die Corona-Infektion im Februar 2022 habe sie jedoch fast nur „wie eine normale Erkältung“ erlebt, kurz nach dem Freitesten habe sie wieder im Studio gestartet. Protasewicz dagegen hat es etwas stärker erwischt. „Einen Tag ging es mir total katastrophal, der Verlust meiner Stärke war schon extrem“, erzählt er. Mit langsamem Cardio-Training habe er sich dann wieder peut-a-peut herangetastet.

Sein Chef Martin Rinke fragt sich: „Wie wäre es wohl gelaufen, wenn beide nicht so gut trainiert gewesen wären?“ Er sieht eine „deutliche Korrelation zwischen Gesundheitszustand und dem Verlauf von Covid-19“. In den Gelsenkirchener Einzelbeispielen wird diese Korrelation wohl nachträglich schwer genau zu bestätigen sein – aber dass eine gute Grundfitness wie ein körperliches Schild wirken kann, das wird wohl kaum jemand bestreiten.