Gelsenkirchen. Marco Buschmann wurde als Chef der Gelsenkirchener FDP bestätigt. Doch um den Vize-Posten gibt es Ärger. Ein Hinterhalt oder gelebte Demokratie?

Bundesjustizminister Marco Buschmann wurde jüngst als Vorsitzender der Gelsenkirchener FDP bestätigt – was angesichts seiner Popularität und seines bundespolitischen Einflusses alles andere als eine Überraschung ist. Doch hinter den 97 Prozent für den Minister bröckelt offenbar die Geschlossenheit unter den Gelsenkirchener Liberalen, die Rede ist von einem Putsch im Vorstand, angetrieben durch den Nachwuchs der Jungen Liberalen (JuLis). „Hinterhältig“ oder „gelebte Demokratie“?

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Wer das erste Foto des neuen FDP-Vorstandes in Gelsenkirchen betrachtet, mag sich die Frage stellen: Fehlt da nicht jemand? Susanne Cichos, die 53-jährige Chefin der vierköpfigen FDP-Fraktion im Gelsenkirchener Stadtrat und nach Marco Buschmann zweifellos bekannteste Liberale in der Stadt, musste dem Siegerfoto fernbleiben – und ihren Posten als Vize-Chefin des Kreisverbandes räumen. Ihre Nachfolgerin: Isabell Scharfenstein, 30 Jahre alt und FDP-Kandidatin für die Landtagswahl am 15. Mai.

Der neue Vorstand der Gelsenkirchener FDP. Neben Marco Buschmann (2.v.re.): Die neue stellvertretende Vorsitzende Isabell Scharfenstein.
Der neue Vorstand der Gelsenkirchener FDP. Neben Marco Buschmann (2.v.re.): Die neue stellvertretende Vorsitzende Isabell Scharfenstein. © FDP Gelsenkirchen | FDP Gelsenkirchen

FDP-Fraktionschefin Susanne Cichos: „Ich finde das hinterhältig und unkollegial“

Dass Scharfenstein überhaupt kandidierte, war nicht nur für Buschmanns Wunschkandidatin Cichos eine Überraschung. Vor Parteitagen ist es üblich, dass Ambitionen unter den Parteimitgliedern abgefragt werden. Wie Cichos betont, hat sich vor dem Parteitag jedoch niemand gemeldet. Dass ihre plötzliche Kontrahentin Scharfenstein die Kampfkandidatur dann gewann, führt Susanne Cichos unter anderem auf die „überraschend hohe Anzahl von jungen Leuten“ unter den 39 anwesenden, stimmberechtigten Parteimitgliedern zurück. Es gilt: Wer erscheint, darf auch mitwählen.

„Es ist normales politisches Geschäft, dass nicht jeder wiedergewählt werden muss. Da muss jeder mit rechnen. Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich finde das hinterhältig, unkollegial und unschön“, sagt Cichos zu der plötzlichen Gegenkandidatur Scharfensteins und ergänzt: „Was ich dabei am schlimmsten finde: Dass eine Frau eine andere Frau rausdrängt, dass sich Frauen gegenseitig so bekämpfen.“ Denn: Vielfältiger geworden ist der Vorstand durch Scharfensteins Wahlerfolg nicht – neben Bernadette Betz (Beisitzerin) ist sie die dort einzige Frau.

Rausgedrängt: Hat das bei den Jungen Liberalen System?

Cichos und ihr Vertrautenkreis ziehen Parallelen zu den FDP-Vorstandswahlen in Bochum oder Oberhausen. Der Bochumer Bundestagsabgeordnete Olaf in der Beek verlor im März 2022 seinen Posten als Parteichef gegen den 26-jährigen Studenten und Landtagskandidatin Léon Beck. In Oberhausen liegt der offene Generationenstreit nun schon einige Jahre zurück: 2019 forcierte der damals 26-Jährige und damit jüngste Bundestagsabgeordnete Roman Müller-Böhm in den Augen langjährig aktiver FDP-Politiker einen „totalen Personenaustausch“. Die Querelen führten am Ende zum offenen Bruch zwischen Fraktion und Partei.

So weit, so Susanne Cichos, solle es in Gelsenkirchen nicht kommen. Der für sie positive Aspekt ihrer Wahlniederlage: „Ich kann mich nun voll auf die Fraktionsarbeit konzentrieren.“

„Kein Kalkül, sondern Demokratie“: So äußert sich die neue Vize-Vorsitzende der FDP

Lockerer sieht den Vorgang die neugewählte Vize-Chefin. „Das war kein Kalkül, das war Demokratie. Man muss in der Politik immer mit Gegenkandidaturen rechnen“, meint Isabell Scharfenstein am Montagnachmittag gegenüber der WAZ.

Sie selbst habe jedoch überhaupt nicht damit gerechnet, für den stellvertretenden Parteivorstand nominiert zu werden. Als dies durch ein anwesendes Neumitglied passiert sei, sei sie selbst überrascht worden. „Ich habe dann Ja gesagt – denn natürlich habe ich als Landtagskandidatin politische Ambitionen.“ Dass sich die anwesenden Mitglieder dann deutlich, mit 29 Stimmen, für sie entschieden haben, sei auch für sie eine weitere große Überraschung gewesen.

FDP-Kreisverbandschef Marco Buschmann wurde mit breiter Mehrheit als Vorsitzender bestätigt.
FDP-Kreisverbandschef Marco Buschmann wurde mit breiter Mehrheit als Vorsitzender bestätigt. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Scharfenstein sieht ihre Wahl auch nicht als orchestrierte Aktion der Jungliberalen. Dass die JuLis - nicht nur in Gelsenkirchen – mehr in die Parteivorstände der Liberalen drängen, sei „ein freudiges Zeichen dafür, dass der Nachwuchs in der FDP so aktiv ist und Anklang findet.“

FDP-Chef Marco Buschmann: „Alle wollen einen erfolgreichen Wahlkampf“

Unzufrieden mit Cichos’ Fraktionsarbeit sei sie übrigens nicht, wie die Grundschullehrerin betont. „Die Fraktion vollbringt wirklich tolle Leistungen. Wir kämpfen auch nicht gegeneinander, wir kämpfen gemeinsam für die liberale Sache.“ Das will Scharfenstein in ihrer Rolle übrigens mehr von ihrer Perspektive als Süd-Gelsenkirchenerin tun und die personell stark in Buer verwurzelte FDP im Süden mehr stärken: „Das sehe ich als meine Aufgabe!“

Und wie äußert sich der Chef, der Bundesjustizminister zu der ganzen Angelegenheit? Gab es aus seiner Sicht eine Unzufriedenheit mit Cichos’ Arbeit, die nun zu ihrer Abwahl geführt hat? „Der Kreisverband steht geschlossen hinter der liberalen Idee. Alle wollen einen erfolgreichen Wahlkampf. Die Ratsfraktion bringt viele kreative Ideen in die Lokalpolitik ein und ist nach außen gut sichtbar“, teilte Marco Buschmann unserer Redaktion am Montagnachmittag mit.

Der neue FDP-Vorstand

Isabell Scharfenstein teilt sich den stellvertretenden FDP-Parteivorstand mit Christoph Klug. Der Stadtverordnete wurde als Stellvertreter von Marco Buschmann wiedergewählt.

Komplettiert wird der Vorstand durch den Stadtverordneten Fabian Urbeinczyk als Schatzmeister und Christian Huyeng als Schriftführer.

Als Beisitzer wurden gewählt: Dagwin Lauer, Bernadette Betz, Benedikt Betz, Andreas Goedsch und Timo Stiehl.