Gelsenkirchen-Ückendorf. Projekte gegen Kinderarmut gibt es viele – doch was nützen sie am Ende überhaupt? Das Beispiel „Zukunft früh sichern“ in Gelsenkirchen-Ückendorf.

Dieser Artikel ist Teil des Online-Dossiers zum Thema Kinderarmut der WAZ Gelsenkirchen. Lesen Sie alle Beiträge hier: Kinderarmut in Gelsenkirchen: Mitten in unserer Gesellschaft.

Es gibt unzählige Projekte gegen Kinderarmut – doch was nützen sie am Ende? Exemplarisch hat die RAG-Stiftung für uns Bilanz gezogen und offengelegt, was mit ihrem Pilotprojekt „Zukunft früh sichern“ (ZuSi) in Gelsenkirchen-Ückendorf erreicht werden konnte.

Das dreijährige Projekt startete in Kooperation mit der Stadt in sieben Kitas mit über 540 Kindern, der Schwerpunkt lag RAG-Sprecherin Sabrina Manz zufolge jedoch auf 136 Kindern, die zum Start des Projekts 2019 vier Jahre alt waren und zu 60 Prozent in armen Familien aufwuchsen. Von dem Projekt hätten am Ende alle Kinder profitiert, auch wenn sie nicht Teil der Haupt-Zielgruppe gewesen seien.

Gegen Kinderarmut in Ückendorfer Kitas: Von Tauschbörse bis Hausbesuche

Das Ziel lautete, jedem Kind – unabhängig von sozialer Herkunft und finanziellen Ressourcen der Eltern – eine gesunde, altersgemäße Entwicklung, soziale Teilhabe und das Recht auf qualitative Bildung zu gewährleisten. Die individuellen Stärken und Talente der Kinder sollten dabei berücksichtigt werden. Betreut wurden die Familien durch Bildungsbegleiter.

Was nun wurde in der Praxis genau umgesetzt? Zum Beispiel wurden die Erzieherinnen und Erzieher in „armutssensiblem Handeln“ fortgebildet, also etwa mit Fragen konfrontiert wie: Wie sieht Armut im „reichen“ Deutschland“ überhaupt aus? Den Eltern wurden Hausbesuche angeboten, um Vertrauen aufzubauen – ein Angebot, das der RAG zufolge auch von vielen angenommen wurde.

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Manche Kinder in den Projekt-Kitas hätten früher gar keinen Geburtstag gefeiert – was ebenfalls eine Folge von Armut sein kann. Wurden die Geburtstagsfeiern in die Kita verlagert, habe sich dann oft gezeigt, dass die Vorgabe der Kita, etwas mitzubringen, für viele Familien ein großes Problem darstellte, sowohl aus finanzieller als auch aus organisatorischer Sicht. Im ZuSi-Projekt wurde der Geburtstag eines jeden Kindes deshalb unabhängig von den materiellen Ressourcen der Familie gefeiert.

Eingerichtet wurde im Eingangsbereich der Kitas zudem eine Tauschbörse. Hier konnten sich Familien beim Vorbeigehen und ohne großes Schamgefühl an Kleidung und Spielsachen bedienen.

Was erreichte die RAG-Stiftung in Gelsenkirchen-Ückendorf? Der Erfolg in Zahlen

Bei einer regelmäßigen „Tour de Kultur“ haben die Kinder Ausflüge zu Büchereien, Museen oder zum Theater gemacht – wobei auch die Eltern miteinbezogen wurden. Um die Bewegung zu fördern, wurden Tanz-AGs oder in Kooperation mit externen Partnern eine Fahrrad- und Roller-AG angeboten. Ohnehin wurden Sportvereine im Umfeld mit eingebunden. Die seelische Widerstandsfähigkeit im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen sollte durch Kleingruppenstunden gefördert werden, in denen etwa Bücher vorgelesen wurden, aus denen sich die Kinder Handlungsmodelle herausziehen konnten.

In all diesen Bereichen sorgte Corona mit den vorübergehenden Kita-Schließungen für Einschränkung. Dennoch heißt es seitens der RAG nun: „Erste wissenschaftliche Auswertungen signalisieren, dass die ZuSi-Kinder, von denen über 90 Prozent im Alter von vier Jahren gestellte Entwicklungsaufgaben nicht altersgemäß lösen konnten, bis zum Übergang in die Grundschule deutlich aufholen konnten. Bei einer erneuten Testung vor dem Übergang in die Grundschulen zeigten sie in den Bereichen kognitive Entwicklung, Fein- und Grobmotorik sowie soziale Kompetenzen eine Verbesserung von durchschnittlich über 10 Prozentpunkten.“

Bärbel Bergerhoff-Wodopia vom Vorstand der Stiftung spricht von einem „großen Erfolg“ und kündigte an, das Projekt 2022 auf über 40 Kitas in drei Revierkommunen übertragen zu wollen. „In Summe werden damit rund 8500 Kinder von den Projektergebnissen profitieren.“