Gelsenkirchen. Wie der Pastor einer Gelsenkirchener Gemeinde versucht, zwischen Gläubigen aus der Ukraine und Russland zu vermitteln. Und was seine Hoffnung ist.
Ein „Haus des Gebets für alle Völker“ zu bieten: Diesen Anspruch hat Alfred Aptekar als Pastor der Christlichen Freikirche „Lebendiges Wort“ in Schalke nach wie vor. Allein: Der Krieg in der Ukraine ist auch im Gemeindeleben der Pfingstkirche angekommen. Die Spannungen zwischen Gläubigen mit ukrainischen und russischen Wurzeln nehmen zu, und der Geistliche hat alle Hände voll zu tun, zwischen ihnen zu vermitteln.
Gelsenkirchener pflegen enge Freundschaft zu Gemeinden in der Ukraine
Rund 30 „Pfingstler“ sind es, die der 56-Jährige am Standort Luitpoldstraße 37 seelsorglich betreut, nebenberuflich, versteht sich. Denn im Hauptjob kümmert er sich als Angestellter im Sozial- und Erziehungsdienst des Sozialwerks St. Georg um Menschen mit Behinderungen. Seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine freilich ist in seinem Alltag nichts mehr, wie es war, jedenfalls nach Dienstschluss.
Geboren in Kiew verfolgt Aptekar die politischen und militärischen Entwicklungen mit besonders bangem Blick – und fühlt sich doppelt gefordert, seinen einstigen Landsleuten zu helfen. „Unsere Gemeinde pflegt seit vielen Jahren eine enge Freundschaft zu einigen christlichen Gemeinden in der Ukraine. Wir besuchen einander, erst im Januar war ein Pastor bei uns in Gelsenkirchen.“
Meinungsverschiedenheiten aus Zeit der Maidan-Proteste sind wieder aufgebrochen
So war es für ihn selbstverständlich, den verzweifelten Hilferuf dortiger Gemeinden an die Gläubigen in Schalke weiterzuleiten. „Wir wissen, dass die Gemeinden dort Bedürftige mit Lebensmitteln und anderen Gütern unterstützen und dafür selbst dringend Geld benötigen.“ Sofort hätten sich auch Mitglieder der Schalker Freikirche bereit erklärt, Geld zu überweisen. Auch aus der Gemeindekasse floss eine Summe in die Ukraine.
Darüber hinaus seien jedoch unter den Gläubigen Meinungsverschiedenheiten wieder aufgebrochen, die schon anlässlich der Maidan-Proteste 2014 deutlich geworden seien. „Einige informieren sich ausschließlich über russischsprachige Staatssender, die Putins Position von einer angeblichen Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine propagieren und das Wort ,Krieg’ vermeiden“, so der Pastor, der seit 27 Jahren in Deutschland lebt und seit 20 Jahren als Pastor tätig ist. Da würden auch schon mal Ereignisse aus einer längst zurückliegenden Geschichte beider Länder angeführt, um die Verantwortung für die jetzige Auseinandersetzung einer Seite zuzuweisen.
Gelsenkirchener Pastor vermittelt zwischen Russen und Ukrainern: „Bemühe mich um Neutralität“
„Ich bemühe mich da als Pastor um Neutralität“, er könne aber auch nicht vor der Realität die Augen verschließen, umschreibt der vierfache Vater seine herausfordernde Gratwanderung. Schließlich will er Pastor aller „Pfingstler“ in Schalke sein.
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Seine schärfste „Waffe“, um in der Gemeinde Frieden zu stiften, ist Gottes Wort: „Ich predige schon seit Monaten, dass Christus uns vereint sehen will und dass das viel größere Bedeutung hat als die Aussagen von Politikern, die morgen schon nicht mehr da sind. Sympathien für eine bestimmte Politik dürfen nicht dazu führen, dass wir einander nicht mehr mögen!“ Er hofft, dass es wie schon nach 2014 erneut gelingen wird, „mit den Meinungsverschiedenheiten ganz gut zu leben“, eben weil die Gemeinsamkeiten, erst recht im Glauben, so viel größer sind.
Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen hat überwiegend Gemeindemitglieder mit ukrainischen Wurzeln
In der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen ist der Konflikt zwischen den eigentlichen „Brüdervölkern“ noch nicht angekommen, wohl aber das Leiden der ukrainischen Bevölkerung. „Die Schwester eines Gemeindemitglieds lebt in der Ukraine, sitzt dort seit Tagen in ihrem Keller. In den kurzen Feuerpausen rennt sie kurz hoch in die Wohnung, um auf Toilette zu gehen. Und zu Essen hat sie kaum noch etwas“, erzählt Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Gemeinde, von den Schilderungen der ukrainischen Familien in ihrer Gemeinde. Der Gesprächsbedarf ist bei ihnen aktuell besonders hoch. „Wir rücken jetzt alle näher zusammen, um uns gegenseitig zu unterstützen.“
Von den 320 Gemeindemitgliedern haben Neuwald-Tasbachs Angaben zufolge etwa Dreiviertel ukrainische Wurzeln. Gläubige mit russischem Hintergrund gibt es dagegen nur wenige in der Gemeinde. Politische Diskussionen seien zwischen den Russen und Ukrainern zuletzt noch nicht ausgebrochen. „Wir sollten in unserer Gesellschaft auch alles dafür tun, dass hier Frieden herrscht“, appelliert die Vorsitzende. „Warum sollten wir den Hass auch noch nach uns bringen? Wir sollten doch hier zeigen, wie es gelingen kann, dass alle friedlich zusammenleben können. Wir sollten ein Vorbild dafür sein.“
Gemeine unterstütz Konvoi
Die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen hat trotz des hohen Anteils ukrainischer Gemeindemitglieder keine Beziehungen zu ukrainischen Gemeinden. „Wir haben keine Anbindungen zu Gemeinden, nur zu den Personen, die dort leben“, sagt Judith Neuwald-Tasbach.
Unterstützt hat die Gemeinde auch den Hilfskonvoi von Stadt und „Task Force Flüchtlingshilfe“, der sich derzeit an der rumänisch-ukrainischen Grenze bei Siret befindet. „Schlimm ist“, sagt Neuwald-Tasbach, „dass man aktuell nicht mehr machen kann. Man steht daneben und muss zuschauen. Es ist ein furchtbares Gefühl.“