Ein feiner Beobachter war der Gelsenkirchener Michael Klaus. Böser Humor zeichnete seine Texte aus, erinnern sich Gefährten wie Klaus-Peter Wolf.
Gelsenkirchen„1973 machte ich ernst. Ich ging in die Stadtbücherei, durch die Glastür, am Tresen vorbei, geradeaus bis zu den Fenstern, dann etwas nach rechts und setzte mich an einen kleinen grauen Tisch und wollte Schriftsteller werden. Mit dem Rücken saß ich zur Gelsenkirchener Lyrik, vor mir alphabetisch die Romane der Weltliteratur. Also Josef Büscher im Nacken und vor der Brust Balzac. Ich packte Papier und Kugelschreiber aus und schaute aus dem Fenster.“
So schreibt es Michael Klaus in seinem Text „Am Fenster“. Am Donnerstag, 6. März, 1952 wird er in Brilon geboren, wächst in einer Gelsenkirchener Arbeitersiedlung auf. Er studiert Germanistik und Kunst in Bochum und Essen. Sein Wunsch, Schriftsteller zu werden, stößt nicht überall auf Verständnis. Bald jedoch kommt die Zeit der Arbeiterliteraten. Bei ihnen findet der junge Mann Gemeinschaft und Unterstützung. Auch im Kreis der „Gelsenkirchener Autoren“, die sich regelmäßig treffen, sich vielfach in von Rauch geschwängerten Kneipen über ihre Arbeit austauschen.
Weggefährte von Gelsenkirchener Erfolgsautor Klaus-Peter Wolf – Texte über die Menschen im Revier
Mit dabei ist auch der heutige Erfolgsautor Klaus-Peter Wolf. „Wir haben uns eine Weile sehr verbunden gefühlt und sind ein gutes Stück Weg miteinander gegangen. Gerade am Anfang. Zwei junge Autoren aus Gelsenkirchen suchten ihren Weg, hinein in Sender und Verlage. Da hat man sich gern gegenseitig Türen aufgemacht oder vor schrecklichen Redakteuren gewarnt: Geh bloß nicht zu dem mit Deinem Stoff, aber eine Tür weiter, dieser Kettenraucher, der immer aussieht, als müsste er jeden Moment kotzen, der ist eigentlich ganz in Ordnung.“
In „seiner“ Stadt Gelsenkirchen, der er bis zuletzt die Treue hält, bleibt sein Schaffen nicht unbemerkt. 1977 erhält er ein Stipendium der Stadt Gelsenkirchen. Anfang der 1980er-Jahre arbeitet er nur noch als freischaffender Autor. Schreibend hält er das Leben und die Menschen im Revier fest – auf seine ganz eigene Art.
Hier finden Sie alle Folgen der Gelsenkirchener Stadtgeschichte(n):https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchener-stadtgeschichte-n-alle-folgen-der-serie-id234373489.html
Kritisch, ironisch und humorvoll: Gelsenkirchener erinnert an „kotzenden“ Weihnachtsmann
Daran erinnert sich ein späterer Weggefährte, Bernd Matzkowski, gut. „Meine literarische Bekanntschaft mit Michael Klaus begann in der Schaufensterauslage eines neben der Sparkasse gelegenen Schuhhauses, das es heute dort nicht mehr gibt. Dort war, natürlich zur Weihnachtszeit, Michaels kurze Geschichte vom Weihnachtsmann ausgestellt, der sich auf dem Weihnachtsmarkt in Gelsenkirchen den Magen vollschlägt: Würstchen, Kartoffelpuffer, noch ein Würstchen und diverse andere Spezialitäten. Am Ende kotzt der Nikolaus in seinen großen roten Sack. Fertig, aus! Seitdem war mir der Autor des kleinen Textes sympathisch.“
Überregionale Anerkennung erntet Michael Klaus für seinen Roman „Nordkurve“. Er erzählt vom Leben und Leiden der Fußballfans. „Die wahren Dramen spielen sich auch in diesem Roman jenseits der Außenlinie ab, zwischen Wirten und untreuen Ehefrauen, zwischen ehrgeiz-gedopten Ersatzspielern und ausgemusterten Haudegen“, so beschreibt es der Klappentext der Neuauflage im Klartext-Verlag (WAZ Bibliothek des Ruhrgebiets). Der Roman, durch den Autor zum Drehbuch umgewandelt, wird der dritte Teil einer Ruhrgebietstrilogie des Regisseurs Adolf Winkelmann.
Gelsenkirchener liefert Drehbuch für Schimanski-Tatort und Schalke-Musical
Um die Jahrtausendwende reihen sich die Erfolge aneinander. Für sein Drehbuch zum Tatort „Schimanski muss leiden“ wird Michael Klaus für den Grimme-Preis nominiert. Wenig später beginnen die Arbeiten am Musical „nullvier“ zum 100-jährigen Jubiläum des FC Schalke 04, zu dem Michael Klaus das Libretto schreibt. Hier trifft er auf Bernd Matzkowski, der für die textliche Gestaltung der Songs zuständig ist. „Beneidet habe ich Michael von Anfang an um seine Stimme, die man unter Tausenden heraushören konnte. Und keiner konnte seine Texte so gut (vor)lesen wie er! Ob ihm diese Stimme von Natur aus gegeben war oder ein Resultat des Rauchens in Kombination mit dem einen oder anderen alkoholischen Getränk? Gefragt habe ich ihn nicht!“, erinnert sich Matzkowski schmunzelnd.
„Michael hatte ein goldenes Händchen für Dialoge. Was die Arbeit am Plot für das Team manchmal mühevoll machte, war die Aufgabe, viele gute kleine Geschichten und Ideen zu einem Musicalstrang zu verdichten, der witzig und mit ironischen Brechungen einen Blick auf den Verein und seine Geschichte, den Fußball überhaupt und die Liebe zu den Blau-Weißen, die Michael und ich teilten, werfen sollte. Aber war ein Mosaikstein gefunden und kamen weitere hinzu, konnte man sich darauf verlassen, dass Michael die Dialoge schrieb, die die genannten Voraussetzungen erfüllten, die sozusagen den Ton genau trafen.“
Wirtschaftlich nicht immer: Gelsenkirchener Michael Klaus erlebt 2004 persönlichen Tsunami
Bei allen Erfolgen, bei aller Anerkennung, wirtschaftlich ist es nicht immer einfach, im Revier als freier Autor tätig zu sein. Gastdozenturen an der Universität Duisburg-Essen und an der internationalen Filmschule Köln helfen. Aber es hätte auch besser sein können, macht eine Erinnerung von Klaus-Peter Wolf deutlich. „Ich wohnte schon längst in Norden, da haben wir miteinander telefoniert. Er wollte mich gerne in Ostfriesland besuchen. Das Gästezimmer war bereits für ihn gemacht, aber wie so oft, kam ihm die Krankheit dazwischen.“
Und weiter: „Ich erinnere mich noch daran, dass er sehr glücklich war, weil ein Spielfilm von ihm in der ARD wiederholt werden sollte. Das hätte ihm viel Geld eingebracht, da er hundertprozentiges Wiederholungshonorar hatte. Aber leider kam es nicht dazu. An dem Abend 2004 war der Tsunami in Thailand. Die Nachrichten waren voll mit den schrecklichen Bildern. Die Ausstrahlung seines Films fiel aus. Er bezeichnete das Unglück auch als seinen persönlichen Tsunami.“
Berührende Intensität: Auch das Sterben schreibt der Gelsenkirchener nieder
Das letzte Kapitel seines Lebens ist für Michael Klaus von langer, schwerer Krankheit geprägt. Doch wie er das Leben stets zu Literatur werden lässt, so hält er es auch mit dem Sterben. Es entstehen zwei Romane von berührender Intensität. Michael Klaus stirbt am Sonntag, 1. Juni, 2008 in Buer. Vielen ist er bis heute unvergessen – ob als Autor oder als Mensch. So geht es auch Klaus-Peter Wolf: „Typen, wie er einer war, sind so wichtig für die Literatur, für das Land. Ich vermisse den alten Kämpfer!“
Erinnerung an ein bedeutendes literarisches Werk aus Gelsenkirchen hochhalten
Das Werk von Michael Klaus wirkt über seinen Tod hinaus, bleibt vielen unvergessen und findet auch neue Freunde. Der Schauspieler Martin Brambach und seine Frau Christine Sommer gehören dazu. „Die erste Begegnung mit Michael Klaus hatten wir im Literaturhaus Gladbeck, wo uns Texte von ihm zum Lesen vorgeschlagen wurden. Das hat uns dermaßen gut gefallen, dass wir zwei Jahre später, als wir für die Ruhrfestspiele einen Abend mit Literatur aus dem Ruhrgebiet planten, auf seine großartigen Texte zurückgriffen“, erinnert sich Martin Brambach.
„Wiederum zwei Jahre später arbeitete ich gemeinsam mit Stefan Bauer, dem in New York lebenden Recklinghäuser Vibrafonisten, an einem Lutherprogramm“, blickt Brambach zurück. „Dabei stellten wir unsere gemeinsame Leidenschaft für die großartigen Texte von Michael Klaus fest. Stefan Bauer erzählte, dass er Michael Klaus begegnet ist und sie eigentlich noch vor seinem viel zu frühen Tod verabredet hatten, einen gemeinsamen Abend zu gestalten. Aus dieser Idee entstand der Michael Klaus Abend in Nottbeck.“ Im Juni 2018 kommt es zu einer Wiederholung in der buerschen „Schauburg“, einem Abend mit vielen humorvollen und berührenden Momenten, der vielen den unprätentiösen Autor wieder in Erinnerung ruft.
„Wir werden mit Sicherheit noch mal einen Michael Klaus Abend machen“, sagt Martin Brambach. Nur: „Im Moment ist vieles schwer planbar, aber diese großartigen Texte, dieser herrliche, feine, böse Humor, dieser sehr spezielle Blick darf der Öffentlichkeit nicht verloren gehen!“