Gelsenkirchen. Immer mehr Menschen erklären sich bereit, ukrainische Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Gelsenkirchenerin Sabine Kucharki hat es bereits getan.

Schon bevor die ukrainische Staatsführung unmittelbar nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar entschieden hatte, Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht mehr ausreisen zu lassen, um alle Kräfte für den Krieg zu mobilisieren, hatte Larysa S. mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern darüber nachgedacht, aus ihrer Heimat zu fliehen. Aber sie beschwichtigte. Nun ist sie doch geflohen, musste ihren Ehemann zurücklassen. „Er ist jetzt in Lwiw und bastelt an Molotowcocktails“, sagt die Gelsenkirchenerin Sabine Kucharki unter Tränen. „Und Larysa hat ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie erst zögerte, als sie noch gemeinsam hätten fliehen können.“

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Die 40-jährige Kucharki und ihre Mutter sorgen derzeit für Larysa S. und ihre beiden Söhne, den sechsjährigen Marko und den einjährigen Tomofin. Sie haben der Familie ein Zimmer zur Verfügung gestellt. „Mein Vater ist vor kurzer Zeit gestorben, deswegen haben wir jetzt einen Raum frei“, sagt Kucharki.

Für alle, die Unterkünfte anbieten wollen: Stadt Gelsenkirchen sammelt Hilfsangebote

Immer mehr Gelsenkirchener wollen es der Familie gleichtun und ukrainischen Vertriebenen ein Dach über dem Kopf bieten. Die neu gegründete „Task Force“ der Stadt, über die alle Hilfsinitiativen koordiniert werden, nimmt über die Mailadresse fluechtlingsunterbringung@gelsenkirchen.de alle Angebote entgegen. Ebenso hat die Stadt mittlerweile eine zentrale Hotline (0209 169 - 9000) geschaltet, bei der sich alle Menschen melden können, die helfen wollen - ob mit Spenden, ehrenamtlichem Engagement oder mit Unterkünften.

Mittlerweile seien bereits vereinzelt Angebote für Unterbringungen eingegangen, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Sobald größere Zahlen an ukrainischen Flüchtlingen in die Stadt kommen, werde man sich an diejenigen wenden, die Hilfsbereitschaft signalisiert haben.

Wie es eine Ukrainerin mit ihren Söhnen nach Gelsenkirchen schaffte

Doch es gibt eben auch die Menschen, die nicht warten wollen, bis es die Vertriebenen von den Menschenmassen an den Grenzen bis nach Deutschland geschafft haben oder nach Gelsenkirchen verteilt werden. Menschen wie Sabine Kurcharki.

Larysa S., die jetzt bei ihr wohnt, wollte eigentlich selbst mit unserer Redaktion über ihren Weg nach Deutschland sprechen. Doch die 39-jährige Ukrainerin musste dann kurzfristig absagen. Die Bilder aus dem Kriegsgebiet, aus ihrer zerstörten Heimat, seien für sie einfach zu viel geworden, sagt Kucharki. „Ich glaube, sie realisiert so langsam, dass sie länger hier bleiben muss und nicht in ein paar Tagen wieder nach Hause kann.“

Kucharkis Mutter ist gebürtige Ukrainerin, sie hat noch Neffen, ihre Schwester dort. Und Larysa ist eine Bekannte der Verwandtschaft. „Man kennt sich über mehrere Ecken“, sagt die Gelsenkirchenerin. Die Verwandtschaft vor Ort hielt es für wichtig, dass Larysa S. und ihre Söhne zuerst fliehen. „Sie haben ihr gesagt: Du musst flüchten, sonst bekommst du deine Kinder nicht ernährt, weil das Essen knapp wird.“ Mittlerweile sind die Lebensmittel tatsächlich in zahlreichen Supermärkten aufgebraucht.

Ukrainerin beteiligte sich wenige Stunden nach ihrer Ankunft an Gelsenkirchener Demo

Sabine Kucharki schildert Larysas Weg nach Deutschland wie folgt: Am 26. Februar habe sie ihr Heimatdorf nahe Lwiw, unweit der polnischen Grenze, verlassen und dann zwei Tage lang, beim Warten in langen Schlangen, irgendwie versucht, über die Grenze zu kommen. In Polen angekommen, sei sie dann zunächst in eine Schule und anschließend von privaten Helfern bis nach Zabrze (Hindenburg) 300 Kilometer weiter hinter die polnische Grenze gebracht worden. „Da haben Bekannte von uns ihr dann eine Wohnung zur Verfügung gestellt, wo sie ein paar Stunden schlafen konnte“, erzählt Sabine Kucharki, die gemeinsam mit Familien und Bekannten aus der Ferne eine Mitfahrgelegenheit bis nach Hürth nahe Köln organisiert hatten.

Wie all das die Kinder verkraften? „Der Kleine weint sehr viel, der Große lenkt sich viel mit Spielen auf dem Handy ab“, erzählt Kucharki, die Larysa S. dann von Hürth abholte und nach Gelsenkirchen brachte. Um nur wenige Stunden später auf dem Heinrich-König-Platz zu stehen – und gemeinsam mit 1000 weiteren Menschen für Frieden in ihrem Heimatland zu demonstrieren.