Gelsenkirchen. Der Stadtrat Gelsenkirchen trifft sich zur Sondersitzung, weil die AfD „dringliche“ Themen diskutieren will. Andere Fraktionen finden das absurd.

Das gibt es in der Lokalpolitik äußerst selten: Am 7. März kommt der Gelsenkirchener Stadtrat für eine Sondersitzung zusammen – auf Wunsch der AfD. Was deren 11-köpfige Fraktion unter anderem als notwendigen Schritt sieht, um den anderen Parteien ihr angebliches demokratisches Defizit vorzuhalten, ist für SPD, CDU, Grüne und FDP nichts weiter als „ein missbräuchliches Spiel mit den demokratischen Spielregeln.“

Sondersitzungen des Gelsenkirchener Stadtrats: Ein seltenes Ereignis

Paragraf 5 der Geschäftsordnung des Rates macht es möglich, alle 88 Stadtverordneten für eine gesonderte Ratssitzung zusammenzutrommeln. Darin heißt es: „Der Rat ist unverzüglich einzuberufen, wenn mindestens ein Fünftel der Stadtverordneten oder eine Fraktion unter Angabe der zur Beratung zu stellenden Gegenstände dies verlangen.“ Ein wortgleicher Absatz findet sich in der Gemeindeordnung.

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In der Praxis genutzt wurde diese Möglichkeit in Gelsenkirchen aber äußerst selten, und wenn dann nur bei besonders dringlichen Ereignissen – wie etwa Ende 2003 vor der Vaillant-Direktion in Remscheid, als das Ende des heute geschlossenen Gelsenkirchener Standorts der Firma erstmalig ernsthaft drohte. In näherer Vergangenheit kam es im August 2021 zu einer Sondersitzung, die Dringlichkeit war unter anderem durch einen Bebauungsplan gegeben, bei dem sonst Fristen überschritten worden wären.

AfD Gelsenkirchen will Klimanotstand beenden und aktuellen Stand zum Rats-TV

Die AfD will drei Themen in der Sondersitzung besprechen, die aus ihrer Sicht ähnlich dringlich seien. Zum einen beantragt die rechte Fraktion erneut, den Klimanotstand zu beenden, der im Juli 2019 ausgerufen wurde. Seitdem wird bei Beschlüssen stets geprüft, ob diese eine Auswirkung auf das Klima haben. Für die AfD ist das weiterhin nichts weiter als „Klima-Hysterie“, in Augen von Fraktionschef Jan Preuß läuft die priorisierte CO2-Reduktion auf überteuerte Maßnahmen hinaus. „Dem Klimaschutz ist nichts zu teuer, ob es Sinn macht oder nicht.“

Jan Preuß, Fraktionschef der AfD in Gelsenkirchen: „Wenn mit uns so verfahren wird, müssen wir unbequemer werden“
Jan Preuß, Fraktionschef der AfD in Gelsenkirchen: „Wenn mit uns so verfahren wird, müssen wir unbequemer werden“ © AfD Gelsenkirchen

Neben dem Klimanotstand verlangt die Fraktion einen Sachstandsbericht zum Thema Rats-TV. „Wir haben die Befürchtung, dass das Thema auf die lange Bank geschoben wird“, sagt Preuß. Nach einigen Irrungen und Wirrungen entschied der Rat im September 2021, Ratssitzungen künftig filmen zu lassen und live im Netz zu übertragen. Zur Umsetzung ist es bislang nicht gekommen.

AfD Gelsenkirchen will „unbequemer“ werden

Außerdem stellt die AfD einen Antrag zur Grundsteuerreform. Aufgrund der Neuberechnung der Grundsteuer müssen Eigentümer bis spätestens Ende Oktober erstmals eine eigene Steuererklärung für ihre Liegenschaften einreichen. Allerdings soll das nur elektronisch möglich sein. Die AfD findet das bürgerunfreundlich und fordert Terminals zur Datenselbsteingabe, die von den Bürgercentern ab Juli 2022 zur Verfügung gestellt werden sollen.

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Mit der Sondersitzung erhofft sich Preuß mehr Aufmerksamkeit für diese drei Themen, wie er erklärt. Aber es gibt da noch einen anderen Grund: Die anderen Fraktionen haben sich darauf verständigt, nicht mit der AfD zu kooperieren. Sie selbst wertet das als „undemokratische Blockadehaltung“ und will deswegen mit der Sonderratssitzung mehr Druck aufbauen. „Wenn mit uns so verfahren wird, müssen wir unbequemer werden“, sagt Preuß.

Sondersitzung des Gelsenkirchener Stadtrats: Das sagen SPD, CDU, Grüne und FDP

Bei den anderen Fraktionen allerdings stößt die AfD auf erwartbaren Widerstand: SPD, CDU, Grüne und FDP haben sich vorab zusammengeschlossen, um in einem gemeinsamen Pressegespräch ihre Ablehnung gegenüber der AfD-Strategie auszudrücken. „Es handelt sich um eine unnütze und missbräuchliche Sondersitzung. Alle Themen hätten wir im normalen Regelbetrieb der Ausschüsse und Ratssitzungen behandeln können“, sagt etwa SPD-Fraktionschef Axel Barton, der darauf aufmerksam macht, dass bereits am 24. März die nächste reguläre Ratssitzung ansteht.

Sascha Kurth, Fraktionschef der CDU, bezeichnet die AfD-Methode als „weitere Eskalationsstufe“. Es würden „Regelungen missbraucht“ und „Spielereien auf Kosten der Demokratie“ getrieben. „Als Demokraten werden wir das aber aushalten.“

„Es ist zudem eine Verschwendung von Ressourcen, von Mitarbeitern und Zeit“, sagt die FDP-Fraktionsvorsitzende Susanne Cichos. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei der Sondersitzung mit Blick auf die Landtagswahl im Mai um ein frühzeitiges „Wahlkampf-Manöver“ der AfD.

Grüne: „AfD trägt falsches Bild von der Politik in die Öffentlichkeit“

„Außerdem ist es eine Provokation, mit der man versucht, über direkte Antragstellung im Rat und ohne vorherige inhaltliche Diskussion in den Ausschüssen, die anderen Parteien so darzustellen, dass sie alle Initiativen blockieren“, sagt Peter Tertocha, Co-Fraktionschef der Grünen. Seine Kollegin an der Fraktionsspitze, Adrianna Gorczyk, ergänzt: „Die AfD trägt dazu bei, ein falsches Bild von Politik in die Öffentlichkeit zu tragen. Indem sie behauptet, sie würde die Themen vorantreiben und der Rat wäre der Ort für diese Themen, wird in den Hintergrund gestellt, wie und wo Politik vor allem arbeitet – nämlich in den Fachausschüssen.“

Die AfD hingegen argumentiert, dass in der letzten Zeit zahlreiche Ausschüsse ausgefallen seien (Infobox) – was aus Sicht der anderen Fraktionen allerdings kein Grund ist, um den Rat „zu missbrauchen“. Lesen Sie auch den Kommentar: AfD Gelsenkirchen veranstaltet ein unnötiges Theater

Abgesagte Sitzungen

Einer Liste der AfD zufolge sind in diesem Jahr bereits über ein Dutzend Gremiensitzungen abgesagt worden. Die Stadt bestätigt auch Nachfrage die Korrektheit der Liste. Es sei erst gar nicht zu den Sitzungen eingeladen worden, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. „Die konkreten Gründe werden der Verwaltung in aller Regel nicht mitgeteilt. Die Termine werden dann aus dem Sitzungskalender gelöscht.“

Die Verwaltung erstellt für jedes Jahr einen Sitzungsplan. Die Vorsitzenden der Ausschüsse laden dann im Benehmen mit der Verwaltung zu den Sitzungen ein. „Es kann aber sein, dass keine Verwaltungsvorlagen für die Sitzung vorliegen und dass die Politik keine Anträge auf Aufnahme von Tagesordnungspunkten gestellt hat. In einem solchen Fall werden Sitzung mitunter abgesagt“, so Schulmann.