Gelsenkirchen-Hassel. 2007 lehnten die Protestanten in Gelsenkirchen-Hassel eine Vereinigung mit drei anderen Gemeinden noch ab. Warum sie ihre Meinung geändert haben.
Nicht ganz zwei Jahre ist es her, dass die Evangelischen Kirchengemeinden Trinitatis und Lukas einander die kalte Schulter zeigten. Eine Vereinigung, wie damals von Superintendent Heiner Montanus aus finanziellen Gründen angemahnt, nein, die kam für die Gläubigen in Buer, Scholven und Hassel auf keinen Fall in Frage. Nun aber scheinen sie doch Gefallen aneinander gefunden zu haben.
In der Gemeindeversammlung am vergangenen Sonntag jedenfalls warb Waltraud Ryrko als Vorsitzende des Presbyteriums der 2200-Seelen-Gemeinde Lukas in Hassel-Nord eindringlich für eine Ehe mit Trinitatis, die 10.400 Gläubige zählt an den Standorten Buer (Apostelkirche), Scholven (Adventkirche) und Hassel-Süd (Gemeindesaal Markus). Grund für den Sinneswandel sei die finanzielle Lage ausdrücklicht nicht – sondern die Personalsituation.
2007 wollte die Gelsenkirchener Lukas-Gemeinde nicht ihr „Bonni“ opfern
2007, als sich die damals noch eigenständigen Gemeinden Buer (Apostel), Hassel-Süd (Markus) und Scholven (Advent) zusammenschlossen, war Lukas noch aus den Verhandlungen ausgeschert: Die Hasseler hätten ihr Jugendzentrum „Bonni“ „nicht opfern“ wollen, wie es der mittlerweile verstorbene Presbyteriums-Vorsitzende Wolfgang Rossmann 2018 auf den Punkt brachte. Überdies fürchtete man, in einer Großgemeinde nicht mehr so viel Einfluss auf Entscheidungen in Hassel zu haben.
Einen gemeinsamen Kooperationsraum, in dem die Pfarrerinnen und Pfarrer einander vertreten, bilden Trinitatis- und Lukas-Gemeinde aber schon seit Jahren. Besonders wichtig ist dies für Lukas: Die Vollzeitstelle von Einzelkämpfer Pfarrer Hagen Schillig war nur bis Februar 2020 befristet, danach bewilligte der Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid den Gläubigen in Hassel-Nord lediglich eine 75-Prozent-Stelle. Hintergrund: Je 3000 Glieder steht einer Gemeinde eine 100-Prozent-Stelle zu.
Ausschreibung für Pfarrstelle in Gelsenkirchen-Hassel zu unattraktiv
Seit Februar 2020 waren mit Eckhard Cramer (bis Ende Juni 2021) und Dr. Hans Lohmann (Mitte Juli bis Ende 2021) zwei Pfarrer nur übergangsweise vor Ort. Allein: Eine langfristige Lösung blieb aus, „weil die Konstruktion der ausgeschriebenen Pfarrstelle mit 75 Prozent in Lukas und 25 Prozent in Trinitatis einfach zu unattraktiv ist“, so Waltraud Ryrko.
„Die Bewerberinnen und Bewerber haben Sorge, dass der Dienst in zwei Gemeinden mit verschiedenen Presbyterien ihre Kapazitäten übersteigt und sie zu wenig Zeit für den Austausch mit den Menschen haben“, fasste sie die Bedenken bei den Vorstellungsgesprächen zusammen.
Gelsenkirchener Presbyterium sieht in Vereinigung viele Vorteile
Demgegenüber böte eine Vereinigung viele Vorteile: Die Lukas-Pfarrstelle wäre leichter zu besetzen, die Gemeinde hätte dann wieder einen Seelsorger als festen Ansprechpartner vor Ort, da er ja auch dort wohnen werde. „So wäre der Ablauf von Gottesdiensten und Gemeindeleben gesichert.“
Lesen Sie auch:
- Gelsenkirchen:Impfaktion in Kultkneipe „Mythos Görsmeier“ in Schalke
- Corona Gelsenkirchen:Pandemie-Entwicklung in der Übersicht
- Erler Zuchvögel: Die „Bläck Föss“ aus Gelsenkirchen
Und weil sich die dann insgesamt fünf Pfarrerinnen und Pfarrer bei den Gottesdiensten an den verschiedenen Standorten wie bisher schon abwechseln würden, „hätten wir die Gelegenheit, verschiedene Formen der Andacht kennenzulernen.“ Auch die Konfirmanden und deren Familien würden profitieren: Da der Unterricht der Jugendlichen zusammengelegt würde, lernten diese verschiedene Gemeindezentren sowie Kirchen kennen und die Konfi-Freizeit würde für alle Beteiligten preisgünstiger.
Gläubige in Gelsenkirchen-Hassel sind skeptisch
Dass die Begeisterung für die Ehe noch keine hohen Wellen schlägt, zeigten freilich die Stellungnahmen einzelner Gläubiger: Auch wenn alle uneingeschränkt begrüßten, dass zeitnah ein Pfarrer oder eine Pfarrerin vor Ort sein soll, herrschte doch auch Skepsis, „ob das der richtige Weg ist.“
Ein Zuhörer etwa fürchtete, „dass in Hassel einiges auf der Strecke bleiben“ werde, eine andere sorgte sich, es könnten viele Gemeindeglieder „einfach wegbleiben, weil sie sich nicht mehr heimisch fühlen“, auch wegen der wechselnden Pfarrer in den Gottesdiensten.
Gebäude in Gelsenkirchener Lukas-Gemeinde sollen nicht aufgegeben werden
Wie Pfarrer Siebold die erste Gemeindefusion erlebte
Über die Erfahrungen mit der ersten Vereinigung von Gemeinden im Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid berichtete Pfarrer Matthias Siebold (Trinitatis): 2007 hatten sich die Apostel-, Markus- und Adventsgemeinde (Buer, Hassel-Nord, Scholven) zusammengetan.
Ausschlaggebend sei damals die finanzielle Situation gewesen. Es habe durchaus Sorge besonders in Scholven und Hassel-Nord gegeben, unter die Räder zu geraten. Tatsächlich sei die Vereinigung aber „gut gegangen“, weil alle beteiligten Presbyter sowie Pfarrerinnen und Pfarrer sie gewollt hätten. „Alle fühlten und fühlen sich für alles verantwortlich“, so Siebold.
Demgegenüber stellte eine Ehrenamtliche klar: „Mir ist egal, wer hier predigt. Wichtig ist aber die Vernetzung mit unserem Stadtteilzentrum ,Bonni’. Die muss weitergehen, nachdem dort wegen der Todesfälle zweier Presbyteriumsvorsitzender und Corona so viel liegengeblieben ist.“
Dass sämtliche Gebäude – neben dem ,Bonni’ auch die gerade sanierte Lukas-Kirche, das in der Renovierung befindliche Pfarrhaus und die von der Evangelischen Kindergartengemeinschaft betriebene Kita – nicht aufgegeben werden sollen, hob unterdessen Andrea Kemner-Hogrebe als stellvertretende Vorsitzende des Trinitatis-Presbyteriums hervor.
Lukas-Presbyter: „Wir werden nicht geschluckt!“
Auch Lukas-Baukirchenmeister Jürgen Schlöhlein stellte klar: „Wir werden nicht geschluckt! Hier wird eine neue Gemeinde geschaffen und eine elf Jahre währende Hängepartie beendet“, spielte er auf die Pfarrstellensituation seit der Pensionierung von Pfarrer Dr. Rolf Heinrich an. Was Gottesdienste, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen angeht, agierten Lukas und Trinitatis bereits jetzt wie eine vereinigte Gemeinde. Er setze auf positive Synergieeffekte. „Ich glaube nicht, dass hier etwas untergeht“, sagte er.
Wie es nun weitergeht? „Wir machen uns gemeinsam auf den Weg, einander näher kennenzulernen und über alle Details zu sprechen“, so Andrea Kemner-Hogrebe. Dies könne ein bis drei Jahre dauern, meinte Waltraud Ryrko. Es gelte, Absprachen zu treffen, allerdings ohne Zeitdruck. „So lange die Vereinigung aber nicht vollzogen ist, arbeiten unsere zwei Presbyterien weiter wie bisher, ohne Lukas zu vernachlässigen.“
Dass es letztlich keine Alternative zur Fusion gebe, betonte Superintendent Montanus: „So wie früher wird es nie wieder werden, weil Kirche nicht mehr so reich ist wie früher, wir zu wenige Pfarrerinnen und Pfarrer haben“ und die Zahl der Gemeindeglieder abnehme. „Was die Versorgung mit Pfarrern angeht, so kann es in Hassel nur besser werden!
- Lesen Sie mehr Geschichten aus Gelsenkirchen
- Oder folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook
- Folgen Sie uns auf Instagram: www.instagram.com/wazgelsenkirchen_getaggt