Gelsenkirchen. Der „Löwenpark“ ist bis heute legendär. Prominente gaben sich hier die Klinke in die Hand, Besucher kamen in Scharen. Das ist seine GEschichte.

Egon Graf von Westerholt ist lange Jahre die schillerndste Person im Dorf mit Geschichte. Vielen Vertretern der Stadtverwaltung in Herten und Gelsenkirchen ist er sicher als Querulant in Erinnerung. Die Westerholter aber lieben ihren „Graf Egon“ bis heute. Als Identitätsstifter und Kämpfer für ein kollektives Selbstbewusstsein im Ort genießt er stets das Ansehen eines heimlichen Bürgermeisters. Viele blumige Geschichten ranken sich um seine Person – mit variierendem Wahrheitsgehalt. Die beeindruckendste, wichtigste und außergewöhnlichste handelt vom „Löwenpark“ in Buer. Wer nicht um ihren Wahrheitsgehalt weiß könnte meinen, es handele sich um einen Scherz. Tut es aber nicht.

Mitte der 1960er Jahre gibt es den Plan, durch den Westerholter Wald eine Straße zu führen. „Das will der Graf damals unbedingt verhindern. Deswegen kommt er auf die Idee, an der Stelle einen Löwenpark zu bauen“, schildert Mechtild Hetterscheidt vom Heimatverein in Westerholt, was man sich im Ort so erzählt. „Und es hat ja auch geklappt. Die Straße war damit vom Tisch.“

Nur drei Parks auf der ganzen Welt

Fest steht, Egon Graf von Westerholt erlebt zu dieser Zeit in der Nähe von London ein Spektakel: Ein Graf errichtet einen Löwenpark. Den zweiten seiner Art – weltweit. Ein weiterer befindet sich in Florida. Wenn das jedoch im verregneten und kühlen England geht, dann ist es auch in Buer möglich, denkt sich „Graf Egon“ – und heckt einen kühnen Plan aus. 1967 stellt er den Antrag auf Errichtung eines Löwenparks im Westerholter Wald. Die erstaunte Verwaltung tut sich schwer, erteilt dann aber am 24. Mai 1968 den „Gebrauchsabnahmeschein“, die schriftliche Genehmigung zur „Errichtung eines Löwenfreigeheges“.

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Lange dauert die Realisierung nicht. Am Freitag, 9. August 1968, öffnet der Park seine Türen erstmals für Journalisten. Deutschlandweite Werbung ist gut fürs Geschäft. Und das muss laufen. Der Park hat Egon Graf von Westerholt bis jetzt rund eine Million Mark gekostet. Die Generalprobe läuft alles andere als rund. Der Wagen des Kamerateams des Westdeutschen Rundfunks nämlich hat im Park eine Panne. Wagemutig steigen die Kameraleute aus und schauen, was zu retten ist. Ihnen eilt ein Abschleppwagen zu Hilfe – und erleidet selbst eine Panne.

Zunächst glauben alle an einen jecken Scherz

„Graf Egon“ trägt das alles mit Fassung. Generalprobe missglückt, Premiere gelungen, so beschreibt er es später in seinem selbst verlegten Buch „Meine Löwen“. Zumal er den ersten Publikumstag ganz bewusst auf den 13. August gelegt hat. „Was den Karnevalisten die Elf, ist den Abergläubischen die (…) Dreizehn. Ich betrachte solche Zahlen als gutes Omen.“

Mit seinen scharfen Reißzähnen biss ein Löwe gerne auch mal die Reifen der durch den Löwenpark fahrenden Autos durch.
Mit seinen scharfen Reißzähnen biss ein Löwe gerne auch mal die Reifen der durch den Löwenpark fahrenden Autos durch. © Privat

Apropos Karneval: Als am Elften im Elften des Vorjahres erstmals die Nachricht vom Löwenpark in Buer im Lande die Runde macht, da glauben alle zunächst an einen jecken Scherz. Sie belehrt „Graf Egon“ nun eines besseren.

Mechtild Hetterscheid gehört zu denen, die die Löwen aus nächster Nähe erleben. „Ich war selbst im Löwenpark – mit meinem Kadett damals. Das war total spannend. Ich weiß noch, ich hatte meine Nichten und Neffen dabei. Man durfte die Fenster nicht öffnen. Und wenn die Löwen einem den Weg versperrten, musste man anhalten und warten. Ich erinnere mich auch, dass die ganz friedlich waren. Die wurden aber auch immer gefüttert, bevor die Besucher kamen.“ Auch die Prominenz interessiert sich für die Löwen. „Die haben ja im Park auch Nachwuchs bekommen. Und dann kam die High Society. Tony Marshall, Freddy Quinn, Heidi Kabel und Willi Millowitsch, die haben alle eine Patenschaft übernommen.“ Es sind die TV-Gesichter einer aufblühenden Republik.

Ein Löwe beißt gern Reifen kaputt

Natürlich ereignen sich zahlreiche Abenteuer rund um den Park. So berichtet „Graf Egon“ in seinem Buch von einem Löwen, der sich nicht selten an den Autoreifen der Besucher vergeht. Mit seinen scharfen Reißzähnen beißt er die einfach durch. Dann rückt der parkeigene Pannendienst aus und für die jeweiligen Besucher wird der Spaß teurer als gedacht: Noch vor Ort ist ein Reifenwechsel fällig. Einmal nur geschieht etwas Schlimmes. „Es gab da wohl einen entlassenen Tierpfleger“, erzählt Mechtild Hetterscheidt. „Der ist des Nachts über den Zaun geklettert. Am nächsten Tag hat man nur noch die Knochen gefunden.“

Aus heutiger Sicht ist es kaum zu glauben, an Proteste von Tierschützern jedoch kann sich die Vorsitzende des Heimatvereins nicht erinnern. „Das gab es damals noch nicht. Und die Löwen hatten ja viel Platz. Wenn man sich an den alten Ruhr-Zoo erinnert, dann ging es den Tieren dort viel schlechter.“

1987 ist Schluss mit dem Löwenpark

Egon Graf von Westerholt hat dennoch so seine Widersacher. Mit den Verwaltungsbeamten nämlich wird er nie so richtig warm. Weil das jeder weiß, kursieren damals Geschichten, er verteile gern Freikarten für Verwaltungsbeamte – für eine Tour durch den Park und zwar zu Fuß. Auch dazu hat der illustre erste Bürger Westerholts in seinem Buch etwas zu sagen: „Sie bleiben ungefährdet, weil die Löwen kein faules Fleisch fressen.“

Im Jahr 1987 läuft die Genehmigung für den Löwenpark aus. Ein Weiterbetrieb würde kostenintensive Umbauten erfordern. Der Park wird geschlossen. Seither erinnert nur noch der Name des Restaurants, das einstmals den Endpunkt der Safari markiert und Besucher zum Verweilen einlädt, an dieses schillernde Stück Heimatgeschichte.