Gelsenkirchen. Herzog Wilhelm von Cleve verleiht Gelsenkirchen am 10. Juni 1571 das Marktrecht und ermöglicht damit zwei Jahrmärkte im Schatten der Kirche.
Ein Marktgeschehen, das ist ein buntes Treiben ganz unterschiedlicher Menschen, eine Kulisse zwischen Kauf und Kladdern, zwischen Nahversorgung und Nachrichtenaustausch – mindestens. Als vor 450 Jahren den Gelsenkirchenern das Marktrecht verliehen wird, ist der Markt, der fortan zweimal im Jahr stattfindet, ein echtes Event. Im Frühjahr und im Herbst wird in etwa dort, wo sich heute der Feierabendmarkt befindet, im Schatten der Kirche Vieh gehandelt, werden Arbeitsverträge geschlossen und so manch eine Ehe angebandelt.
„Heiraten, das war auch ein Thema auf dem Markt“, weiß Dr. Siegbert Panteleit, der heute als Berater der Gelsendienste die örtlichen Märkte mitbetreut. „Da wurde geschaut, wer viel anne Klotschen hatte – und zwar Lehm. Das ist ein ertragreicher Boden. Die Bauern aus dem Münsterland zum Beispiel hatten viel Lehm an den Holzlatschen hängen. Das war begehrt. Die waren eine gute Partie. Die Gelsenkirchener Bauern hatten nur Sand an den Schuhen. Die wollte keiner heiraten.“ Zumindest nicht so unbedingt, vermutlich. „Münsterland, Rheinland, Hellweg, das waren die ertragreichen Anbaugebiete, da kamen viele Händler her. Und so ist es eigentlich auch heute noch.“
Ein wichtiges Gut: der Marktfrieden
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Es ist der 10. Juni 1571, da erhält das Kirchdorf Gelsenkirchen offiziell von Herzog Wilhelm von Cleve das Marktrecht. Fortan soll es einen Markt am St. Jörgenstag im März geben und einen zum St. Michaelstag im September. Eine historische Quelle erwähnt besonders, dass zu diesem Zwecke die drei Tage vor dem jeweiligen Termin und die drei danach „gefreit“ werden.
Aus heutiger Sicht ist auch dies eine charmante Geschichte: „Es galten Marktfreiheit und Marktfrieden. Im Klartext bedeutet das, Verbrecher durften nicht festgenommen werden“, sagt Siegbert Panteleit und erklärt sogleich den Hintergrund.
450 Jahre Marktrecht in Gelsenkirchen
450 Jahre Marktrecht in Gelsenkirchen – das ist auch aus Sicht der Stadt ein Grund zum Feiern. So will man auch den ersten Markt an St. Michael in diesem Jahr feiern.
Der Plan ist, ausgehend vom Feierabendmarkt in der City einen mehrtägigen historischen Jahrmarkt in der Gelsenkirchener Innenstadt zu veranstalten und so das Flair vergangener Markttage lebendig zu verdeutlichen.
„Im Mittelalter waren sich viele Parteien nicht grün, besonders wegen Streitigkeiten um Ländereien. Auf dem Markt musste aber Frieden herrschen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Der Marktfrieden war ein hohes Gut dieser Zeit.“
Zur Marktfreiheit gehört auch, dass jeder Erzeuger handeln darf. „Das ist bis heute in der Gewerbeordnung verankert. Immer noch dürfen Ur-Erzeuger ohne Gewerbeschein ihre Waren auf dem Markt anbieten“, erklärt Willi Wessels, bei den Gelsendiensten verantwortlich für die Märkte.
Stadtteilmärkte entstehen mit der Industrialisierung
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Es wird schon spürbar, Märkte sind etwas ganz Großes zur damaligen Zeit – wirtschaftlich natürlich aber auch in sozialer Hinsicht. Menschen kommen, um einander Neuigkeiten zu erzählen oder die „Nachrichtensendungen“ ihrer Zeit zu verfolgen. „Der König schickte seine Herolde auf die Märkte, um dort seine Erlasse kundzutun“, so Panteleit.
Zur weiteren Steigerung der Attraktivität werden beide Märkte noch um ein Kirmesgeschehen ergänzt, bieten also Gelegenheit zum zeitgemäßen Vergnügen. Allerdings, auch das gehört zur Wahrheit, andere Märkte in Nachbarstädten sind durchaus erfolgreichere Publikumsmagneten.
Wann aus den Jahrmärkten häufigere Versorgungsmärkte werden, das ist nicht belegt. Siegbert Panteleit und Willi Wessels bedauern, dass an diesem Thema nie geforscht wurde. „Dabei sind die Märkte der Ursprung unserer heutigen Siedlungen, unseres sozialen Miteinanders.“ Klar ist, Stadtteilmärkte sind erst mit der Industrialisierung entstanden. Und sie sind verlässlich.
Selbst zu Kriegszeiten schaffen es die Händler, ihre Waren feilzubieten. Erst vor einigen Jahren erleben die Wochenmärkte eine ernste Krise. Supermärkte drohen, ihnen den Rang abzulaufen. Eine Gefahr, welche die großen Probleme dieser Zeit wohl gebannt haben: Zum einen ist im Zuge der Diskussion um den Klimaschutz die Nachfrage nach regionaler und saisonaler Ware gestiegen, zum anderen erleben Märkte besonders durch Corona eine Renaissance. „Teilweise sind die Umsätze um vierzig Prozent gestiegen“, sagt Siegbert Panteleit und hofft, diese Entwicklung sei Nachhaltig.
Handel heißt Wandel
Klar aber sei, man müsse die örtlichen Märkte immer wieder neu denken, an die Bedürfnisse der Zeit und der Menschen anpassen. Angesichts des Nachwuchsmangels müsse das Berufsbild des Markthändlers wieder attraktiver werden, die Infrastruktur müsse ausgebaut werden. Das schließt auch einen gewissen Komfort ein für die Händler, angefangen von einer Toilette bis hin zu einer möglichen Überdachung.
„Es wissen alle, dass sich, nicht wegen aber durchaus befeuert durch Corona, die Innenstädte verändern werden. Wir stehen vor einem massiven Strukturwandel“, sagt Siegbert Panteleit und betont: „Handel heißt Wandel – im Mittelalter wie heute.“
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