Gelsenkirchen. Avedo-Mitarbeiter wollten einen Betriebsrat gründen – und wurden gekündigt. Nun erlebte das Gelsenkirchener Callcenter eine Schlappe vor Gericht.
Allzu knifflig schien der Fall zumindest aus rechtlicher Sicht nicht zu sein. „Das ist relativ eindeutig“, meinte die Vorsitzende Richterin am Arbeitsgericht und blickte zu dem Tisch, an dem die beiden Vertreter der Gelsenkirchener Firma Avedo saßen. Thema der Verhandlung war die Kündigung eines Avedo-Mitarbeiters, gegen die der Mann geklagt hatte. Am Dienstag traf man sich vor Gericht.
Der Mitarbeiter heißt Marco Könnecke, ist 45 Jahre alt und hatte seit 2014 für Avedo gearbeitet. Bis zum 1. Oktober: Da hatte Könnecke, der zu 90 Prozent schwerbehindert ist, seine fristgerechte Kündigung erhalten. Ein Grund wurde dem Teamleiter nicht genannt, für ihn steht aber fest: Es hat wohl damit zu tun, dass Könnecke sich mit mehreren seiner Kollegen für die Gründung eines Betriebsrates eingesetzt hat.
Gelsenkirchener Unternehmen wehrt sich gegen Betriebsratsgründung
Die WAZ hatte vor einigen Wochen schon über den Fall berichtet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten sich bei der Gewerkschaft Verdi informiert und per Aushang am schwarzen Brett zu einer Mitarbeiterversammlung eingeladen, um die Voraussetzungen für die Bildung eines Betriebsrates zu erfüllen. Die Einladungen zur Versammlung waren am nächsten Tag wieder verschwunden – und sämtliche Initiatoren und Initiatorinnen erhielten kurz darauf ihre Kündigung, darunter auch die schwangere Annika Kluge und der schwerbehinderte Marco Könnecke. Außerdem habe die Geschäftsführung von Avedo die Betriebsversammlung der Mitarbeiter im Wissenschaftspark so massiv gestört, dass diese abgebrochen werden musste, berichtete anschließend Verdi-Sekretärin Katja Arndt.
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Die Kündigung gegen Marco Könnecke war am Dienstag Gegenstand einer Verhandlung vor dem Gelsenkirchener Arbeitsgericht. Dirk Kindsgrab, Könneckes Rechtsanwalt, schüttelte schon vor dem Termin den Kopf – er zeigte sich überzeugt davon, dass die Kündigung vor Gericht nicht den Hauch einer Chance hätte. Sein Mandant sei schwerbehindert, was für eine Kündigung hohe Hürden voraussetze – unter anderem müsse unbedingt das Integrationsamt eingeschaltet werden. Er bezweifelte, dass das der Fall sei – und sollte Recht behalten. Er vermutete, dass die Firma genau wisse, dass sie mit der Kündigung im Unrecht sei: „Die setzen auf die psychologische Karte“, mutmaßte er.
So urteilt die Richterin am Arbeitsgericht Gelsenkirchen
Dieser Eindruck bestätigte sich vor Gericht. Avedo wurde vertreten durch Geschäftsführer Kai Hölterhoff: Erst seit zwei Wochen im Amt, offenbarte er erstaunliche Wissenslücken. Nach dem Namen seines Mit-Geschäftsführers gefragt, war er sich nicht sicher und verwies auf seine kurze Zeit im Amt. Den Grund für Marco Könneckes Kündigung konnte er nicht nennen, genauso wenig wie sein Rechtsanwalt. Auf die Frage der Richterin, ob das Integrationsamt eingeschaltet worden sei, zeigten sich Geschäftsführer und Rechtsanwalt ratlos – „wenn das nicht der Fall war, ist die Kündigung sowieso hinfällig“, kommentierte die Richterin, „dann ist es völlig egal, aus welchem Grund gekündigt wurde.“
Am Ende erklärte die Richterin die Kündigung für unwirksam – rechtskräftig ist das Urteil allerdings noch nicht, Avedo hat jetzt drei Wochen Zeit für einen Widerspruch. In den nächsten Wochen stehen dann noch weitere Arbeitsgerichtsverfahren an, dann werden die Kündigungen gegen Marco Könneckes Kolleginnen und Kollegen überprüft.
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