Gelsenkirchen. Weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Gelsenkirchener Callcenters einen Betriebsrat gründen wollten, wurde ihnen gekündigt. Ihre Geschichte
Betriebsräte sind in deutschen Unternehmen eher die Regel als die Ausnahme – schon in Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben die normalerweise das Recht, einen Betriebsrat zu gründen. Beim Gelsenkirchener Unternehmen Avedo arbeiten etwa 350 Menschen, dort gibt es keinen Betriebsrat. Als jetzt einige Betriebsangehörige einen solchen gründen wollten, erlebten sie eine böse Überraschung: Ihnen wurde gekündigt.
Einer der Initiatoren ist Andreas Kossmann, er hatte sechs Jahre lang für Avedo an der Leithestraße in Ückendorf gearbeitet. Avedo, ein Tochterunternehmen der Ströer Dialog Group, ist ein Full-Service-Dienstleister für digitalen Kundenservice, man könnte auch Callcenter sagen. Seit einiger Zeit habe er „Missstände“ innerhalb des Unternehmens festgestellt, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. „Daher habe ich mich mit mehreren anderen Kollegen darauf verständigt, Schritte zu unternehmen, die zur Einrichtung eines Betriebsrates führen sollten.“
So begründet das Gelsenkirchener Unternehmen die Kündigung
Kossmann verständigte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, dort organisierte man eine Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes, die am Donnerstag dieser Woche im Gelsenkirchener Wissenschaftspark stattfinden sollte. Kossmann und seine Mitstreiter hängten Einladungen zu dieser Versammlung ans schwarze Brett der Firma – doch am kommenden Tag waren diese bereits wieder verschwunden.
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„Ich wurde noch am selben Tag zum Gespräch gebeten“, berichtet Andreas Kossmann, „außer dem Geschäftsführer war auch noch ein Rechtsanwalt des Unternehmens anwesend.“ Dort habe man ihn gefragt, ob er etwas mit dem „wilden Plakatieren“ zu tun gehabt habe. „Ich hatte das Gefühl, als wollte man mich unter Druck setzen“, berichtet Kossmann von den Gesprächen. „Es wurde angedeutet, dass der Standort Nachteile hätte, wenn es einen Betriebsrat geben würde.“
Einen Tag später sei es zu einem erneuten Treffen mit der Geschäftsführung gekommen, erzählt Kossmann. „Da hat man mich gefragt, ob ich bei meine Haltung bleiben würde. Als ich das bejaht habe, sagte man mir, dass sich Avedo von mir trennen wollte und bot eine Abfindung an.“ Kossmann lehnte ab – daraufhin erhielt er die fristlose Kündigung. „Aus wichtigem Grund“, wie es in dem Schreiben heißt.
So reagiert die Gewerkschaft Verdi auf die Vorfälle
Eine ähnliche Erfahrung hatte Annika Kluge gemacht, die ebenfalls zu den Initiatoren des Betriebsrats gehört. Sie ist zurzeit im siebten Monat schwanger – die Geschäftsführung erteilte ihr zunächst ein „Beschäftigungsverbot“ und bot an, sie vorzeitig in den Mutterschutz zu schicken, ein Angebot, das Kluge ablehnte. In dieser Woche erhielt sie dann auch die fristlose Kündigung, ebenfalls „aus wichtigem Grund“.
„Wir haben wirklich schon viel erlebt“, sagt Gewerkschaftssekretärin Katja Arndt (Verdi), „aber dass ein Arbeitgeber noch nicht einmal mehr davor zurückschreckt, einer schwangere Frau fristlos zu kündigen, um so eine Betriebsratswahl zu verhindern, ist tatsächlich der Gipfel und an Dreistigkeit kaum zu überbieten.“
Versammlung im Wissenschaftspark musste abgebrochen werden
Auch die Betriebsversammlung im Wissenschaftspark am Donnerstag sei nicht reibungslos abgelaufen. „Der Avedo-Geschäftsführer kam auch und wollte trotz Aufforderung die Versammlung nicht verlassen“, berichten Katja Arndt und Andreas Kossmann. Weil sich weitere Mitarbeiter, die offenbar auf der Seite der Unternehmensleitung standen, weigerten, sich an die 3-G-Regeln zu halten, habe der Vertreter des Wissenschaftspark als Vermieter damit gedroht, die Polizei zu rufen. „Wir haben die Versammlung dann abbrechen müssen“, berichtet Katja Arndt.
„Dieses aus unserer Sicht rechtswidrige Vorgehen des Arbeitgebers können und werden wir so nicht hinnehmen“, sagte die Gewerkschaftssekretärin. „Gegen die Kündigungen der Kollegen werden wir Klage einreichen.“
Eine Bitte an das Unternehmen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, blieb am Freitag unbeantwortet.
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