Gelsenkichen. Wie die Produktion „Adam & Eve“ am Gelsenkirchener Musiktheater eine futuristische Welt jenseits der Menschheit erkundet. Das Publikum jubelt.
Auf allen vieren kriechen seltsame Kreaturen insektengleich über den Boden. Mit langgestreckten Armen und Beinen erkunden sie vorsichtig den dunklen Raum. Endzeitstimmung im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier: Gelsenkirchen beteiligte sich am Ruhrbühnen-Festival „Zehn X Freiheit“ mit der dreiteiligen Tanzproduktion „Adam & Eve“, für die es einhelligen Jubel gab.
Die portugiesische Choreografin Liliana Barros und ihr israelischer Kollege Roy Assaf erkunden mit den athletisch durchtrainierten Tänzerinnen und Tänzern der MiR Dance Company eine Welt jenseits des Paradieses. Das gelingt besonders eindrücklich im Prolog „Panorama“ von Barros. Die Bühne, leer, düster, mit offenen Türen, dient als Projektionsfläche für einen von den Menschen verlassenen Ort, den sich verlorene animalische Wesen in futuristisch leuchtenden Neon-Leibchen tastend neu erobern.
Gelsenkirchener Musiktheater-Tänzer bewegt sich in Riesenkleid aus Wohlstandsabfall
Die einzige, traurige Erinnerung an den Menschen sind bunte Plastikmüllberge, mit denen die posthumane Welt spielerisch umzugehen versucht. Der Belgier Brecht Bovijn bewegt sich anmutig elegant in einem Riesenkleid aus Wohlstandsabfall, aus dem er irgendwann wie aus einem Kokon herauskriecht.
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Die Kostüme, für die ebenfalls die Choreografin verantwortlich zeichnet, setzen Farbtupfer in einer verlassenen Welt. Die Tänzer tragen farbige Netze über den Gesichtern, wenn sie anfangs animalisch (wie eine elegante Raubkatze schleicht Eunji Yang beeindruckend am Bühnenrand entlang) und allein über den Boden gleiten, sich später einander annähern, sich zur elektronisch bedrohlichen und vorantreibenden Musik von Alva Noto ein neues Universum erschaffen. „Panorama“ ist ein magisch-poetischer, überaus reizvoller Ausflug.
Weiblichkeit und Männlichkeit jenseits paradiesischer Vorstellungen
Roy Assaf nutzt im zweiten, schwächeren Teil der Produktion das Motiv des ersten Paares der Menschheitsgeschichte, um das Thema von Weiblichkeit und Männlichkeit in abstraktem, von starker Körperlichkeit geprägtem Tanz jenseits aller paradiesischen Vorstellungen zu verhandeln.
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Zunächst tritt „Eve“ in knallrotem Body in Erscheinung. Die großartige Marie-Louise Hertog tanzt ein intensives Solo, das mit Bewegung, Gesang und Sprache arbeitet sowie mit Mythen und Klischees von Frausein spielt. Mal besingt die Tänzerin ihren Liebeskummer, mal kreischt sie hysterisch oder kichert albern, wirkt verletzlich, kokett oder kämpferisch. Neu sind diese Erkenntnisse über Facetten menschlicher Befindlichkeiten nicht.
„Adam“ schließlich seziert den menschlichen Körper in Bewegung und Sprache, die Compagnie benennt die jeweiligen Körperteile: Kopf, Arm, Bein, Schulter … Eine wenig berührende Erkundung zum Klavierklang auf tänzerisch hohem, kraftvollen Niveau, voller Sprünge, Drehungen, Energie, aber auch voll enervierender und wenig paradiesischer Wiederholungen.
Noch sieben weitere Aufführungen
Die MiR Dance Company Gelsenkirchen unter der Leitung von Giuseppe Spota bringt „Adam & Eve“ bis zum 13. März noch sieben weitere Male auf die Bühne.
Karten und Informationen gibt’s telefonisch (0209 409 72 00) oder online auf der Homepage des Musiktheaters im Revier (www.musiktheater-im-revier.de).
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