Gelsenkirchen. Direktor Giuseppe Spota gibt bei der Produktion „Embrace Yourself“ im MiR das Zepter ab und macht Tänzer zu Choreografen. Premiere am Freitag.
Arme flattern, Hände zittern, ein Körper stürzt zu Boden: Menschen in nackter Angst. Tänzerinnen und Tänzer des Musiktheaters im Revier (MiR) versuchen in diesen Tagen, auf der Bühne des Kleinen Hauses menschliche Gefühle von Panik, Verzweiflung und Mutlosigkeit in beredte Bewegung umzusetzen. Eine Idee, die Giuseppe Spota, Direktor der „MiR Dance Company“, entwickelt hat für die Produktionen der kompletten neuen Spielzeit: „Alle Choreographien setzen sich mit der Frage auseinander: Angst wovor…?“
Direktor Spota gibt das Zepter aus der Hand
Das Konzept ist entstanden während der bedrohlichen Monate der Corona-Pandemie, als auch die Tänzer aus Angst vor Ansteckung auf großen Abstand gehen mussten. Für den ersten Tanzabend gibt Spota das Zepter aus der Hand: Sieben seiner Compagnie-Mitglieder stellen sich an diesem Freitag, 17. September, bei der Premiere von „Embrace Yourself“ als Choreographen mit ganz eigener Handschrift vor. Die Idee von Spota: „Der Zukunft eine Chance geben!“ Denn die habe er selbst einst als junger Tänzer bekommen: „In Wiesbaden durfte ich meine ersten Schritte vom Tänzer zum Choreographen gehen.“
Für sechs Stücke überlässt nun der Direktor den Tänzern Yu-Chi Chen, Brecht Bovijn und Marie-Louise Hertog, Simone Donati, Georgios Michelakis, Alessio Monforte und Chiara Rontini die Bühne. Mit ganz unterschiedlichen Ängsten in ganz unterschiedlichen Lebenslagen setzen die sich in dem gut anderthalbstündigen, pausenlosen Abend auseinander. Der Chef beobachtet die Proben, gibt mal vorsichtig Tipps, einmischen will er sich ganz bewusst nicht: „Das sind eigenständige Arbeiten.“
Junge Gelsenkirchener nach ihren Ängsten befragt
Wie Spota nutzen aber auch seine Tänzerinnen und Tänzer das Bewegungsvokabular des modernen, zeitgenössischen Tanzes. Der Titel „Embrace Yourself“ meint übersetzt so viel wie „Umarme dich selbst, liebe dich selbst, sei du selbst.“ Eine wichtige Aufforderung gerade an junge Menschen, meint Dramaturgin Anna-Maria Polke. So befragte das Tanz-Team nicht nur das eigene Ensemble, wovor die Tänzer im Leben tatsächlich Angst haben, sondern auch junge Gelsenkirchener. Spota: „Wir haben Schülerinnen und Schülern einer neunten Jahrgangsstufe der Gesamtschule Erle die gleiche Frage gestellt.“ In kurzen Zwischenspielen werden die Antworten während der einzelnen Choreographien eingeblendet.
Der niederländische Tänzer Brecht Bovijn, der gemeinsam mit seiner Kollegin Marie-Louise Hertog die erste Choreografie „What shall I (ever) do?“ kreierte, setzte sich mit Angst vor Neuem auseinander, mit der Angst davor, was andere über uns denken, mit der Sorge, allen Regeln gerecht zu werden. Hertog verspricht: „Gerade ein junges Publikum kann sich mit diesen Themen und Figuren identifizieren.“
Ein Kaleidoskop an Stimmungen
Alessio Monforte appelliert mit seiner Choreographie „Audience of One“ an jeden Einzelnen, vor allem sich selbst treu zu sein: „Auch wenn man mal fällt und Fehler macht.“ Jedes Stück wird andere Ängste thematisieren, sagt Spota: „Da entsteht ein breites Spektrum, fließt vieles ein, da finden sich auch autobiografische Spuren.“ Die Musik vom Band entfaltet ein Kaleidoskop an Stimmungen, oft rhythmisch bedrohlich dräuend. Bei der Darstellung von Angst aber soll es auf der Bühne nicht bleiben, verspricht Dramaturgin Polke: „Embrace Yourself ist auch ein Mutmacher, ein Aufruf, aus Problemen neue Chancen zu machen.“
Im Laufe der Spielzeit werden sich weitere Produktionen der Tanz-Compagnie auch mit den Ängsten der älteren Generation auseinandersetzen. „In „Requiem“ setzen wir uns ab Januar mit der größten Angst der Menschen auseinander, mit dem Tod“, kündigt Spota an.