Gelsenkirchen. Chemie verstehen mit einem virtuellen Abenteuer, Achterbahnfahren fürs Physik-Verständnis: Zwei ausgezeichnete Lehrer-Ideen aus Gelsenkirchen.

Stell dir vor, du bist auf Abenteuertour in den Everglades, du hast das Nudelwasser versalzen und damit für die nächsten Wochen kein Salz mehr: Wer in Chemie aufgepasst hat, der weiß, wie das Salz wieder aus dem Wasser gezogen werden kann. Bei Alma Muminovic im Chemieunterricht am Gelsenkirchener Gauß-Gymnasium ist genau das eine Aufgabe für Siebtklässler.

Die Lehrerin hat ein digitales Adventure entwickelt, in dem die Klasse mit Jana auf Abenteuertour geht und verschiedene Aufgaben lösen muss. Es geht um das Erlernen von Trennverfahren für verschiedenste Stoffe. Mit dem Unterrichtskonzept hat Muminovic den Nationalen „Science-on-Stage“-Wettbewerb in der Kategorie Unterrichtsmaterialien für heterogene Lerngruppen gewonnen.

Alma Muminovic war tatsächlich mit ihrer Freundin Jana in den Everglades unterwegs. Ihre Idee zu dem Lernspiel darf sich jetzt in Prag auf internationaler Bühne vor 450 auserwählten Lehrkräften vorstellen.
Alma Muminovic war tatsächlich mit ihrer Freundin Jana in den Everglades unterwegs. Ihre Idee zu dem Lernspiel darf sich jetzt in Prag auf internationaler Bühne vor 450 auserwählten Lehrkräften vorstellen. © funke foto services | Ingo otto

Seit sechs Jahren Lehrerin am Gauß-Gymnasium

Entwickelt hat die 42-Jährige das Konzept als Mitglied einer Gruppe von Lehrkräften, die unter dem Namen „Qualis“ moderne Unterrichtskonzepte für NRW erarbeitet. Dort lernte sie als junge Lehrkraft auch ihre Mentorin kennen: Petra Wlotzka. In ihrer „Sinus-AG“ hat Muminovic gemeinsam mit Nadine Thomas aus Halver das Lernspiel „Jana in den Everglades“ konzipiert. Sechs Unterrichtseinheiten mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen, anwendbar in allen Schulformen, auch für Schüler mit Förderbedarf.

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In Janas virtuellem Wanderrucksack findet sich alles, was für verschiedene Trennverfahren – von Erbsen, Zucker und Sand etwa – notwendig ist. Wenn auch nicht unbedingt in der Ausführung, die im Chemieunterricht genutzt wird. Ein Handspiegel und eine Trinkflasche oder auch ein Fläschchen Alkohol müssen da genügen. So werden praktische Fähigkeiten ebenso gefördert wie Kenntnisse über chemische Zusammenhänge.

Lösungswege mit flexiblen Schwierigkeitsstufen für heterogene Lerngruppen

Die Schülerinnen lösen verschiedene Aufgaben über ihr iPad, notieren ihre Lösungsvorschläge aber auch in einem eigenen „Buddy-Book“. Das macht zum einen die Kontrolle leichter, vergrößert aber auch den Lern- und Merkeffekt. Die Schwierigkeitsstufe können die Schüler dabei selbst wählen. Je größer die Auswahl an möglichen Hilfsmitteln zur Lösung der Aufgabe, desto schwieriger wird es. Zudem gibt es verschiedene Möglichkeiten, Tipps zu nutzen oder eigenständig zum Ergebnis zu kommen. Genaue Auskunft, wie gut der jeweilige Schüler das Verfahren verstanden hat, zieht die Lehrerin aus den per Whatsapp versendeten Handlungsanweisungen der Schüler an Jana.

Wegen guter Digitalausstattung für Gelsenkirchen statt Dortmund entschieden

Muminovic war übrigens vor acht Jahren wirklich in den Everglades mit ihrer Freundin Jana auf Tour. Lehrerin wurde die Bochumerin erst in ihrem „zweiten Leben“, das sie vor sechs Jahren ans Gauß-Gymnasium führte. Sie zog die Gelsenkirchener Schule dem Gymnasial-Angebot aus Dortmund unter anderem vor, weil die digitale Ausstattung hier deutlich besser war. Im ersten Leben war die engagierte Lehrerin Betriebsleiterin einer Diskothek in Dortmund und Barkeeperin – Flüssigkeiten miteinander reagieren zu lassen war also auf eine Art auch Teil ihres ersten Lebens. Das Jana-Abenteuer bringt sie nun im März 2022 nach Prag zum dortigen Science-on-Stage-Event mit ausgewählten Teilnehmern aus 36 Nationen, vorwiegend aus dem Europäischen Raum, aber auch aus Kanada.

Lehrer vom Leibniz-Gymnasium verbindet Achterbahnfahren mit Physik-Verständnis

Robin Rozmann, Physiklehrer am Leibniz-Gymnasium in Buer, hat eine App entwickelt, mit der Schülerinnen und Schüler den Spaß auf der Achterbahn mit Forschung verbinden können.
Robin Rozmann, Physiklehrer am Leibniz-Gymnasium in Buer, hat eine App entwickelt, mit der Schülerinnen und Schüler den Spaß auf der Achterbahn mit Forschung verbinden können. © Science on Stage | Tilman Binz

Insgesamt zwei Projekte aus NRW wurden unter den 40 aus der ganzen Republik eingereichten Unterrichtsideen ausgewählt zur Vorstellung auf der MINT-Ideenbörse in Prag – und an beiden sind Gelsenkirchener Lehrkräfte beteiligt. Neben Janas Abenteuer entschied sich das Expertengremium für die Idee von Robin Rozmann, Physiklehrer am Leibniz-Gymnasium in Buer, den Spaß auf der Achterbahn mit dem Physikunterricht zu verbinden. Er entwickelte ein Projekt, in dem er „Schülerinnen und Schüler zu Messgeräten“ werden ließ.

App macht Schüler zu Messgeräten

Und das funktioniert so: Mit Hilfe einer kostenfreien App, die Rozmann entwickelt hat, können Schüler im Freizeitpark zu Forscherinnen und Forschern werden. Sie untersuchen damit etwa die Fliehkräfte am Freefall-Tower und die mit damit verbundenen Gefahren. Emotionalen Erfahrungen beim Selbsttest werden über die App konkrete Messdaten gegenübergestellt. Physikunterricht wird auf diesem Weg zu etwas, was für viele Vertreter früherer Schülergenerationen schwer vorstellbar ist: zum Vergnügen.

Bei MINT-Festival in Prag im März 2022 werden beide nun ihre Projekte vor 450 internationalen Kollegen vorstellen. Das Treffen ist konzipiert als Austausch von Ideen innovativer Unterrichtskonzepte, die an allen Schulen genutzt werden können.

Alma Muminovcs Abenteuertour steht bereits Schulen in ganz NRW auf Wunsch zur Verfügung. Genau dafür ist die Qualis-Gruppe und auch die Sinus AG schließlich gedacht: Für die Entwicklung und Verbreitung moderner Unterrichtskonzepte.