Gelsenkirchen. Was Kirsten Rudolph als Helferin im Gelsenkirchener Impfzentrum erlebte. Und was ihr in Erinnerung bleibt, wenn es am 30. September schließt.
Einige legten sich einen Hund zu, als die Corona-Pandemie Anfang 2020 viele Freizeitaktivitäten unmöglich machte – den hatte Kirsten Rudolph aber schon; andere entdeckten das Kochen für sich – das gehörte für die verheiratete Mutter eines Sohnes aber auch bereits zum Alltag. So entschied sie sich für soziales Engagement und wurde ehrenamtliche Helferin im Impfzentrum an der Adenauerallee. Eben so etwas wie eine „Impfmama“, die sich nun, wenn die Einrichtung am 30. September geschlossen wird, von ihren Schützlingen verabschieden muss.
Vom ersten bis zum letzten Tag dabei gewesen zu sein, darauf ist die 42-Jährige, die von Freunden nur „Kiki“ gerufen wird, schon ein bisschen stolz. „Ich habe ein wenig mitgeholfen, Covid-19 zu bekämpfen“, sagt sie durchaus selbstironisch im Bewusstsein, dass die Pandemie noch längst nicht vorüber ist.
Erster Arbeitstag war geprägt vom Wintereinbruch mit Gelsenkirchener Schneechaos
An den ersten Tag am 8. Februar kann sich Kirsten Rudolph noch sehr gut erinnern: „Es war der Montag mit dem plötzlichen Wintereinbruch, als wegen der Schneemassen kaum ein Durchkommen war und viele Busse und Bahnen nicht fuhren. Wie die Impflinge wusste auch ich erst nicht, ob ich es schaffen würde, mit dem Auto zum Impfzentrum zu kommen.“ Gleiche Bedingungen also für alle vor und hinter den Kulissen – und ein bisschen nervös waren ohnehin alle Beteiligten bei der Premiere.
Betrieb des Impfzentrums kostet über fünf Millionen Euro
Seit Februar ist das Gelsenkirchener Impfzentrum in der Emscher-Lippe-Haller in Betrieb. Die Kosten für den Zeitraum von acht Monaten bis zur Schließung betragen mehr als 5,3 Millionen Euro. Aber: Die Kosten werden unter anderem vom Land übernommen, nicht von der Stadt Gelsenkirchen.
Monatlich werden 95.200 Euro Miete fällig, davon rund 50.000 für die Halle und der Rest für die Einbauten (Mobiliar, Technik, etc.). Etwa 480.000 Euro gehen monatlich an das DRK, das 53 Kräfte täglich an sieben Tagen in der Woche bereitstellt.
Der Lohn der Ärzte, 150 bis 180 Euro die Stunde, ist dabei noch nicht eingerechnet. Zudem kostet der Sicherheitsdienst rund 73.000 Euro monatlich und die Reinigung 15.000 Euro.
Das legte sich freilich zumindest bei der Bueranerin mit zunehmender Routine, auch weil sie als Beschäftigte einer Krankenkasse es gewohnt ist, mit Menschen umzugehen: Seniorinnen und Senioren anzusprechen, Hilfe beim Ausfüllen von Formularen anzubieten, Begleitung und Orientierung beim Gang durch die Impfstraßen, bei der Platzierung im Wartebereich vor den Impfkabinen und dahinter: Das alles fiel ihr nicht schwer.
Besonders Senioren ohne Begleitung waren dankbar für aufmunternde Worte
„Gerade Senioren ohne Begleitung waren sehr dankbar für die Unterstützung, aber auch alle anderen; einige haben uns sogar als Dankeschön beim zweiten Impftermin etwas Süßes mitgebracht“, erzählt sie gerührt.
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„Für viele in der ersten Prio-Gruppe der Über-80-Jährigen war das Ganze schon aufregend, manche waren auch ängstlich, weil sie noch nie eine Impfung erhalten hatten. Und dann noch in dieser unbekannten Umgebung mit so vielen fremden Menschen, deren Gesichter durch die Masken halb verdeckt waren… Etliche waren ja über Monate kaum raus gekommen aus Sorge, sich mit Corona anzustecken.“
Druck rausnehmen mit einem Scherz
Ob und wie sie da etwas Druck rausnehmen konnte? „Mit kleinen Scherzen etwa über die Armbänder, die Impflinge und deren Begleiter erhielten. Da haben wir schon so rumgeflachst: ,Heute wie im Vier-Sterne-Hotel alles inklusive’ oder ,Wenn wir sonst schon nicht in Urlaub fahren können, haben wir wenigstens ein Vollpensions-Bändchen um’. Wenn man die Leute zum Lächeln oder gar Lachen gebracht hat, waren sie gleich viel lockerer.“
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Die ganz große Mehrheit der Besucherinnen und Besucher sei sehr erleichtert über die Impfung gewesen. „Viele erzählten von ihrer Hoffnung, bald endlich wieder ihre Enkel sehen zu können und aus der Isolation raus zu kommen.“
Laute Diskussionen mit Impf-Vordränglern
Andererseits habe es aber auch einige wenige Senioren gegeben, die von ihren Familien zur Impfung angemeldet worden waren, aber nicht wirklich vom Nutzen überzeugt gewesen seien. „Die meinten: ,Ich geh sowieso nicht raus und bekomme keinen Besuch, dann kann ich mich auch nicht anstecken’.“.
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Und dann gab es da noch die Vordrängler, die zu keiner Prioritätengruppe zählten, sich aber für einen Impftermin angemeldet hatten. „Nicht alle wollten einsehen, dass sie noch nicht an der Reihe waren. Da gab’s schon manchmal lautere Diskussionen im Eingangsbereich.“
Kein Verständnis für Impfskeptiker
Und heute? „Als die Prio-Gruppen abgearbeitet waren und genügend Impfstoff bereitstand, gab es auch Tage, an denen wenig los war. Es ist schon traurig, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen“, findet die 42-Jährige, die im April ihr Ehrenamt auslaufen ließ, weil das Deutsche Rote Kreuz ihr im Impfzentrum einen befristeten Minijob anbot, ebenfalls sechs Stunden ein- bis zweimal in der Woche.
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Seit Anfang Juli werden gar keine Ehrenamtler mehr im Impfzentrum eingesetzt, weil die Begleitungsbedürftigen zum allergrößten Teil durchgeimpft sind, so die Ehrenamtsagentur.
Ein weinender Mann bleibt ihr in besonderer Erinnerung
„Erst in den letzten Wochen, wo das Ende der kostenlosen Schnelltests absehbar ist, mancher Arbeitgeber Druck macht und 2G droht, haben wir wieder richtig gut zu tun. Wirklich überzeugt sind aber nicht alle“, so Kirsten Rudolphs Eindruck.
Was ihr von der Zeit besonders in Erinnerung bleibt? „Ich muss noch immer an einen Mann denken, der bei mir in Tränen ausgebrochen ist, weil ganz kurz vorher seine Mutter gestorben war, er aber nicht den Impftermin verpassen wollte. Den haben wir dann vorziehen können, damit er wieder ins Krankenhaus konnte, um Abschied zu nehmen“, erzählt sie und schluckt hörbar.
Angst, sich selbst mit Corona anzustecken, nein, die hatte sie nie. Sie geht davon aus, dass die Impfung sie schützt, wahrscheinlich vor einer Infektion, mindestens aber vor einem schweren Verlauf – und daran, Sicherheitsabstände einzuhalten und Maske zu tragen, ist sie nach acht Monaten im Impfzentrum ja nun wirklich gewöhnt.
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