Gelsenkirchen-Horst. Warum Anwohnerin Maria Gentges die berüchtigte Markenstraße in Gelsenkirchen vehement verteidigt. Und wie sie sich für deren Rettung einsetzte.

Hier Nachbarn, die über Lärm, Müll und Leerstände klagen; dort die Politik, die soziale Probleme durch ein neues Jugendzentrum oder Familienbüro entschärfen will. Und dann ist da Anwohnerin Maria Gentges, die das Image des „Brennpunkts“ nicht mehr auf „ihrer“ Markenstraße in Horst-Süd sitzen lassen will. „Der Bereich ist viel attraktiver und lebenswerter als sein Ruf“, ist sie überzeugt – und lädt zur Besichtigungstour vor Ort ein.

„Natürlich ist das kein Boulevard“, schickt die Seniorin voraus, als es an der Kreuzung Marken-/Strundenstraße los geht. Da sie mit ihrem verstorbenen Mann „die ganze Welt bereist“ hat, wie sie sagt, ist ihr auch bewusst: Es gibt mondänere Ecken. „Aber unsere Markenstraße hat auch viele gute Seiten“, die nur nicht genügend gewürdigt würden.

Gelsenkirchenerin: „Der Mix aus Handel und Gastronomie stimmt hier“

Unerwartetes Hinterhof-Grün: Abseits der für den Autoverkehr geöffneten einstigen Fußgängerzone finden Mieter der Markenstraße Ruhe und Entspannung im Garten.
Unerwartetes Hinterhof-Grün: Abseits der für den Autoverkehr geöffneten einstigen Fußgängerzone finden Mieter der Markenstraße Ruhe und Entspannung im Garten. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

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„Der Mix aus Geschäften und Gastronomie stimmt hier“, sagt sie und zeigt auf ein Eckhaus, vor dessen Fenstern Geranien üppig rot und pinkfarben blühen. „Dieses Steakhaus hat sich auch über die Grenzen von Horst-Süd hinaus einen Namen gemacht. Die Leute kommen aus dem Horster Norden und sogar aus Gladbeck, hier werden auch regelmäßig Familienfeste gefeiert“, ist sie sicher: Wenn es so schlimm wäre an der Markenstraße, würden die Gäste ausbleiben; auch die der verschiedenen Firmen aus dem Nordsternpark, die hier ihre Mittagspausen verbringen.

Weiter hoch in der nun befahrbaren einstigen Fußgängerzone weist sie auf frisch renovierte Hausfassaden von der Jahrhundertwende und auf Läden, die so mancher vor Ort nicht vermuten würde: ein Küchen-Studio, einen „IT-Checkup“, der etwa Hard- und Software verkauft und wartet, sowie das Spezialitäten-Geschäft „Kaffee meiner Tante“, in dem Kaffee, Schokoladen, Nüsse und Trockenfrüchte erhältlich sind.

Anwohnerin: „Es ist viel besser geworden“

Stuckverzierte, renovierte Fassaden: Anwohnerin Maria Gentges ermuntert zum zweiten Hinschauen auf „ihrer“ Markenstraße in Gelsenkirchen-Horst-Süd. Die nun für den Autoverkehr geöffnete Fußgängerzone habe durchaus viele Qualitäten, sagt sie.   
Stuckverzierte, renovierte Fassaden: Anwohnerin Maria Gentges ermuntert zum zweiten Hinschauen auf „ihrer“ Markenstraße in Gelsenkirchen-Horst-Süd. Die nun für den Autoverkehr geöffnete Fußgängerzone habe durchaus viele Qualitäten, sagt sie.    © Unbekannt | Christiane Rautenberg

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Schlägereien, nein, die habe es hier schon lange nicht mehr gegeben. „Es ist viel besser geworden! Ich gehe auch mal abends durch die Markenstraße und habe keine Probleme“, wehrt sie sich gegen das „viel zu schlechte öffentliche Bild“, etwa ein Treffpunkt für Armutsmigranten und Kriminelle zu sein. „Wir kommen hier gut miteinander aus“, betont sie und zeigt auf die Außengastronomie eines Eiscafés, das schon kurz nach 10 Uhr morgens gut besucht ist.

Läden von Migranten bereicherten den Mix, ob es nun die zwei türkischen Supermärkte seien („eine Freundin aus Horst-Nord holt hier immer ihr Obst, weil es so frisch ist“), der Barber-Shop („da bilden sich nachmittags lange Schlangen, das belebt richtig“) oder das Handy-Geschäft.

Manches, was nach Leerstand aussehe, sei oft nur eine Renovierungspause

Auch das Sonnen- und das Fingernagel-Studio sowie die zwei Ein-Euro-Shops und der Flohmarkt für gebrauchten Hausrat fügten sich in die einstige Fußgängerzone gut ein. Selbst wer (günstige) Kleidung sucht, habe hier Möglichkeiten: zwei, drei Boutiquen verteilen sich auf rund 200 Meter.

Dennoch: „Es ist aber schon gut, dass das Reisebüro nach dem langen Lockdown wieder auf die Beine gekommen ist und dass bald auch das Horster Café wieder eröffnet wird.“

Leerstände machten schließlich keinen guten Eindruck. Andererseits: So manches, was nach Leerstand aussehe, sei oft nur eine Renovierungspause, betont sie und grüßt zum x-ten Mal eine Passantin oder einen Passanten. Keine Frage: Die Seniorin kennt sich hier aus.

Engagement als Immobilien-Eigentümerin

Besonders stolz ist Maria Gentges darauf, die Drogeriekette „Rossmann“ und „Netto“ für ihren „Kiez“ gewonnen zu haben. Als Eigentümer mehrerer Mehrfamilienhäuser war es ihr und ihrem Mann nach der Geschäftsaufgabe von „Plus“ vor mehr als 15 Jahren ein Anliegen, „die Markenstraße und Horst-Süd zu retten“. Mit einem anderen Immobilienbesitzer habe sie die Bauprojekte geschultert und so letztlich maßgeblich dafür gesorgt, dass der Bereich heute so stark frequentiert sei: eben Standortpolitik mit Grundstücksbewirtschaftung.

„Rossmann funktioniert richtig gut, auch der Netto wird von Leuten aus anderen Stadtteilen angefahren“, beobachtet sie von ihrer unmittelbar angrenzenden Wohnung immer wieder. Die Sparkassen-Filiale trage ebenfalls ein gutes Teil dazu bei, den Bereich zu beleben, vor allem auch „mit ordentlichen Leuten“.

Die Markenstraße zu verlassen, kann sie sich nicht vorstellen

Auf dem Weg zurück zum Ausgangspunkt fällt ihr Blick auf Müll vor einem Ladenlokal. „Wie kann das sein?“, ärgert sie sich. „Wenn ich so etwas als Hauseigentümerin sehe, greife ich zur Not selbst zum Besen, damit es nicht so ungepflegt aussieht!“

In der letzten Zeit sei das aber nur sehr selten nötig, da Mitarbeiter von Gelsendienste regelmäßig zur Straßenreinigung ausrückten, erzählt sie. Dabei fällt ihr Blick auf ein Braut- und Abendmodengeschäft an der Strundenstraße. „Wenn das Ladenlokal nachts farbig leuchtet, sieht es wunderschön aus!“

Dieses Horst-Süd zu verlassen, nein, das kann sie sich nicht vorstellen. „Meine Tochter möchte immer, dass ich zu ihr nach Waltrop ziehe, aber ich hänge so sehr an der Markenstraße. Ich wohne hier seit rund 35 Jahren, und mein Mann ist auf dem Friedhof in Horst-Süd beerdigt“, sagt sie und lächelt. „Hier hab ich doch alles, was ich brauche.“