Gelsenkirchen. Die Inzidenz geht Richtung Null - erlebt das Händeschütteln sein Comeback? So sehen es Gelsenkirchener Kulturvereine und Benimm-Coaches.

Begrüßung per Ellenbogen, Fuß oder Faust? Beim Deutsch-Arabischen Freundschaftsverein Gelsenkirchen hat sich im Laufe der Pandemie die „rechte Hand auf dem Herzen“ als coronakonformes Begrüßungsritual etabliert, wie der Vereinsvorsitzende Nabil L’Masoudi erzählt. Dazu ein ausgesprochenes „Salam Aleikum“: „Das reicht und man nimmt es auch nicht übel.“ Selbstverständlich ist das nicht. „Denn eigentlich gilt es in unserer islamisch-arabischen Tradition als Beleidigung, wenn man einem Fremden zur Begrüßung nicht die Hand reicht“, sagt der Vereinschef. Aber auch das Küsschen links und rechts für engere Kontakte gebe es immer seltener – in Gelsenkirchen wie in der arabischen Welt.

„Nicht krampfhaft etwas Neues erfinden“

Corinna Schüngel ist zertifizierte Knigge-Trainerin sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Knigge-Gesellschaft und geht stark davon aus, dass das Händeschütteln nach der Pandemie wieder größtenteils so stattfinden wird wie zuvor. "Das steckt einfach in unserer Kultur und lässt sich nicht so schnell austreiben.“

Die Essenerin plädiert dafür, sich nicht „krampfhaft irgendwelche Körperteile zu reichen und nicht zu versuchen, neue Rituale zu erfinden“. Ein freundlicher Gruß, nett lächeln, notfalls nur mit den Augen, falls eine Maske getragen werden muss: „Geschäftlich reicht es, wenn man sich gegenübersteht und nett ‘Hallo’ sagt“.

Wichtig sei, dass man den Vorgesetzten entscheiden lassen soll, ob es zum Ellenbogen- oder Faust-Gruß oder nur zum verbalen Gruß kommt. "Auf keinen Fall sollte man vorangehen und dem Vorgesetzten die Faust entgegenstrecken.“

In Griechenland hat es Deutsch-Griechin Venetia Harontzas, die Leiterin des Jugend- und Kulturzentrums Lalok Libre, anders erlebt. Dort werde sich immer noch viel umarmt und liebgekost. Schließlich sei es „schwierig das einfach abzulegen, wenn es praktisch mit der Muttermilch mitgegeben wird.“ Wer nur in Deutschland sozialisiert werde, habe es einfacher gehabt, sich an die Alternativ-Begrüßungen zu gewöhnen. „Ob man jetzt statt der Hand einen Ellenbogen oder eine Faust gibt, macht da vermutlich keinen so großen Unterschied.“ Aber aufs Küsschen zu verzichten, so wie man es im Lalok Libre nun auch seit Monaten tut: „Das vermisst man, das ist hart, gerade für viele Süd- und Südosteuropäer.“ [Lesen Sie auch: Gelsenkirchen: So will Lalok Libre den 40. gebührend feiern]

Benimm-Trainerin: Hierarchie wird mehr über Begrüßung verdeutlicht

Werden die alten Begrüßungsrituale denn bald ihre Rückkehr feiern, da die Inzidenz auch in Gelsenkirchen Richtung Null geht? Ina Seidel-Rarreck, die als Dozentin für Umgangsformen in Gelsenkirchen arbeitet, glaubt durchaus an die Wiederkehr von Händeschütteln, Küsschen & Co. – vermutet aber, dass die neuen Begrüßungsformen ebenfalls ihren Platz finden werden, zum Beispiel, um den gesellschaftlichen oder beruflichen Stand gegenüber einer anderen Person auszudrücken.

Erst zuletzt habe sie bei der Teilnahme an einer Mitgliederversammlung einer Firma erlebt, dass sich dort wieder die Hand gereicht wurde. „Allerdings war das vor allem bei Menschen der Fall, die sich merklich etwas näherstanden“, beobachtete die Bueranerin. Wer rein beruflich miteinander zu tun habe, greife doch lieber weiterhin zurück auf Ellenbogen oder „Ghetto-Faust“, die Seidel-Rarreck in der Erwachsenen- und Geschäftsfeld übrigens als „hilflose Geste“ begreift, „die meist auch noch witzig kommentiert wird, um die Unsicherheit zu überspielen.“

Mit dem Ellenbogen zeigt der Chef: „Ich lasse dich nicht an mich ran“

Ina Seidel-Rarreck ist Dozentin für Umgangsformen und sagt: „Der Ellenbogen-Gruß ist für einen Vorgesetzten ein weiteres Mittel, um klar zu machen: Ich lasse dich nicht an mich ran.“
Ina Seidel-Rarreck ist Dozentin für Umgangsformen und sagt: „Der Ellenbogen-Gruß ist für einen Vorgesetzten ein weiteres Mittel, um klar zu machen: Ich lasse dich nicht an mich ran.“ © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Diese Selektion macht in Augen der Benimm-Trainerin eine neue Hierarchisierung bei der Begrüßung deutlich. Sie beobachtet, dass zusehends zwischen den Menschen unterschieden wird, für die es wert ist, aufgrund eines Körperkontakts eine höhere Ansteckungsgefahr in Kauf zu nehmen, und jenen Menschen, bei denen der Kontakt – und sei er nur zwischen den Händen – so sehr reduziert wird wie möglich. „Im Berufsleben ist das für einen Vorgesetzten ein weiteres Mittel, um klar zu machen: Ich lasse dich nicht an mich ran.“ Wenn nur Ellenbogen statt Hand angeboten werde, unterstreiche das die höhere Stellung. [Lesen Sie auch:Gelsenkirchenerin unterrichtet Tugend in Corona-Zeiten]

Seidel-Rarreck hat im Rahmen ihrer Beratung auch häufig mit Berufseinsteigern zu tun, die bei ihren Vorgesetzten natürlich einen guten ersten Eindruck hinterlassen sollten. Wird der Handschlag ausgesetzt, entfalle zwar die Gefahr, mit einer schwitzigen und schlaffen Hand ein schlechtes Bild abzugeben, aber eben auch die Chance, über einen selbstbewussten Händedruck Sicherheit zu vermitteln. „Umso wichtiger werden da andere Komponenten: der direkte Augenkontakt und ein freundliches Lächeln.