Gelsenkirchen-Buer. Die Gelsenkirchenerin Ina Seidel-Rarreck beschäftigt sich mit dem Thema Tugend. Sie sagt, warum das gerade in Corona-Zeiten wichtig ist.
Corona spaltet die Gesellschaft - in jene vielen, die gegenüber sich selbst, den eigenen Lieben und der Gesellschaft Verantwortung empfinden und jene wenigen Menschen, die das nicht tun. Beim Verhalten in der Pandemie geht es viel um Tugenden, weiß Ina Seidel-Rarreck. Seit Jahren beschäftigt sich die Gelsenkirchenerin mit ihnen, lehrt sie Erwachsene und unterrichtet sie an Schulen.
Im gesellschaftlichen Umgang mit Corona sei ein Wandel spürbar. Anfänglich habe es einen großen Zusammenhalt gegeben. „Da stand das Wir im Mittelpunkt“, so die Tugendtrainerin. Gefühlt zogen alle an einem Strang. „Zu dieser Zeit gab es einen starken Motivator: die Angst.“ Dabei führt die Bueranerin das Beispiel eines Graffitis an der A40 an. „Da steht geschrieben: ,Ich bin einer von Wir’. Das finde ich sehr schön.“ Für sie, erzählt die Hobby-Imkerin, sei die Menschheit vergleichbar mit einem Bienenstock. „Wie ein großer Organismus.“ Ein großes „Wir“ eben.
Diese Tugenden sind gerade angesagt, weiß die Gelsenkirchenerin
Je mehr sich die akute Angst vor dem Virus im Sommer gelegt habe, desto lockerer seien einige im Umgang mit Corona geworden. Das „Wir“ sei wieder in den Hintergrund gerückt. Zum Teil sei dieser Impuls verständlich, so Ina Seidel-Rarreck. „Wie soll ein Wir existieren, wenn mein Ich gerade wirtschaftlich in seiner Existenz bedroht ist.“
Dennoch sei diese Zeit eine Lektion in Sachen Tugenden. „Da gibt es zum Beispiel die schöne alte Tugend der Dienstbarkeit, also sich selbst in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.“ Groß raus komme derzeit auch die Tugend der Mäßigung. Man denke da nur an das Urlaubsverhalten vieler. „Man merkt, dass man eine gewisse Bescheidenheit pflegen kann. Viele Menschen trauen sich, eben nicht so weit weg zu fahren.“
Für viele Menschen steht der Konsum gerade nicht im Vordergrund
Es gebe eben keinen Urlaub in fernen Landen, von dem man danach schicke Fotos vorzeigen kann, sondern eine Besinnung auf das Schöne im eigenen Land. „Man erfährt, es geht auch bescheidener und es fühlt sich sogar gut an.“ Das gelte bei vielen Menschen auch für den Konsum. „Da gibt es nicht so viel Ex und Hopp im Moment.“
Wer aber nun meine, jene, die in der Krise keine Tugenden praktizieren, belehren zu können, die muss Ina Seidel-Rarreck enttäuschen. „Ich denke, das Wir-Gefühl zu stärken ist aktuell einfacher als zu sagen, jetzt mäßigt euch mal alle. Ein positives Gefühl hervor zu rufen, das ist leichter und auch angenehmer, als etwas von Menschen abzuverlangen, was sie nie gelernt haben.“
Tugenden sollten schon Kindern vermittelt werden
Da helfe es auch nicht, wenn Tugenden etwa in Reden von Politikern, wie etwa Kanzlerin Angela Merkel, erbeten oder eingefordert werden. „Es gibt ja immer Sender und Empfänger. Frau Merkel ist sicher ein guter Sender. Viele Menschen sind aber auf eine andere Frequenz eingestellt. Da kommen die Worte gar nicht an.“
Denn so universell Tugenden seien und so bedeutsam in allen Kulturen dieser Welt, man müsse sie lernen. „Sie müssen wieder mehr angelegt werden.“ Am besten schon in Kindertagen. „Sonst kommt es, wenn sie angesprochen und eingefordert werden, zwar zu einem kognitiven Verständnis, aber die Begriffe füllen sich nicht mit Emotionen.“ Man könne nichts einfordern, das unbekannt sei. „Dann drängt man die Menschen in eine Ecke und so wie wir nun einmal sind, macht man dann erst recht weiter.“
Vielmehr ergebe sich aus dem Verhalten anderer noch einmal ein Übstück für einen selbst. Nämlich, sich in Toleranz zu üben und in Nachsicht. „Zu dieser Einstellung zu gelangen macht es für uns leichter, mit dem Fehlverhalten einiger weniger umzugehen.“
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