Gelsenkirchen. Durch das Projekt „Housing First“ sollen Obdachlose in Gelsenkirchen einen Mietvertrag erhalten. Sorgt das für Neid bei anderen Wohnungslosen?

„Die Stadt unterhält ein breites und ausreichendes Angebot für die Unterbringung von wohnungslosen Menschen“: So heißt es stets von der Stadtverwaltung, wenn sie wieder mal mit der Frage konfrontiert wird, ob genug für Wohnungs- und Obdachlose in Gelsenkirchen getan wird. Ein neues Projekt in Gelsenkirchen will dieses Angebot weiter ausbauen und Langzeit-Obdachlosen eine eigene Mietwohnung vermitteln.

Für das „Housing First“ genannte Projekt wurde eine eigene Stiftung gegründet, die Dr. Helmut-Wagner-Stiftung. Wagner, der vor seinem Tod als Arzt in Gelsenkirchen tätig gewesen ist, sei es ein wichtiges Anliegen gewesen, Menschen in Not zu unterstützen, sagt Wolfram Schulte vom Sozialen Zentrum Dortmund, das als Träger des Projektes in Erscheinung tritt und dafür mit dem Paritätischen NRW zusammenarbeitet. „Die Stiftung und das Projekt ist ein Weg für die Angehörigen, um Wagners Andenken aufrechtzuerhalten.“

Bald wird der erste Langzeit-Obdachlose eine Wohnung in Gelsenkirchen erhalten

Nicht größer als 50 Quadratmeter

Ein wichtiger Faktor für die „Housing First“-Wohnungen ist auch, dass diese nicht größer als 50 Quadratmeter sein dürfen. Denn nur solche Wohnungen werden vom Jobcenter für Einzelpersonen als angemessen kategorisiert und dementsprechend auch finanziert.

Das Jobcenter Gelsenkirchen hält darüber hinaus eine Kaltmiete von 270 Euro und kalte Betriebskosten (Nebenkosten wie Hausmeister, anteilige Grundsteuer, Pflege von Grünanlagen etc.) von 70 Euro für angemessen.

Der Dortmunder Verein gilt als passende Adresse für das Projekt, weil man dort schon Erfahrungen mit „Housing First“ gemacht hat. Für sieben Menschen in Dortmund sei in den vergangenen zwei Jahren eine eigene Wohnung gefunden worden. „Vielmehr hat der Wohnungsmarkt dort nicht hergegeben, uns wurden viele Wohnungen angeboten, die man vergessen konnte“, sagt Schulte – zum Beispiel an Straßen, in denen die Drogenszene sehr aktiv ist. „Wir wollen aber gerade raus aus den Brennpunkten.“ Wichtig sei es, eine Wohnung „in einem ganz normalen Umfeld“ zu finden.

Wird eine passende Immobilie gefunden, wird sie über die Stiftung erworben und an obdachlose Menschen vermietet. Ihnen wird dann zusätzlich wohnbegleitende Hilfe angeboten, in Gelsenkirchen steht die Grundbucheintragung für die erste Wohnung kurz bevor, wie Schulte berichtet. Bald werde der erste Langzeit-Obdachlose aus Gelsenkirchen in seine eigenen vier Wände ziehen können. [Lesen Sie auch: Aggressive Bettler und Banden: Ein Problem in Gelsenkirchen?]

Obdachlose sollen nicht in einen Wettkampf um eine Wohnung treten

Weckt das nicht Neid bei anderen Wohnungslosen? Wolfram Schulte behauptet, in Dortmund bislang wenig Erfahrungen mit missgünstigen Menschen gemacht zu haben. „Wir versuchen immer in einem vertraulichen Gespräch abzufragen, ob jemand Interesse hat.“ Bewerbungsverfahren unter den Obdachlosen gebe es genauso wenig wie öffentliche Bekanntmachungen in den Notunterkünften.

Um die hiesige Obdachlosenszene besser kennenzulernen und zu erfahren, für wen sich eine Wohnung in Gelsenkirchen überhaupt eignet, hat eine Projektmitarbeiterin in den vergangenen Wochen bei Vereinen wie „Arzt Mobil“ oder „Warm durch die Nacht“ hospitiert. „Um als Kandidatin oder Kandidat für eine Wohnung in Frage zu kommen, müssen nur sehr niedrigschwellige Kriterien erfüllt werden“, erzählt Schulte. Schwierig werde es bei akut psychisch erkrankten Menschen, die noch nicht stabilisiert wurden, und unmöglich bei Menschen, die in Deutschland keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Nicht jeder Obdachlose freut sich über ein Wohnungsangebot

Und natürlich muss es ein möglicher Kandidat auch wollen – was nicht bei jedem selbstverständlich ist, wie Schulte erzählt. „Manch einer würde sich mit Händen und Füßen wehren. Denn der Einzug in eine eigene Wohnung bedeutet natürlich auch eine Veränderung der Lebensumstände mit mehr Verantwortung. „Wer seinen Tag zwischen Hilfseinrichtungen und Suppenküchen strukturiert hat, muss sich neu orientieren“. Wichtig sei es deshalb, den Menschen Zeit zu geben und sie nicht mit der Idee einer eigenen Wohnung zu überfallen. [Lesen Sie auch: Gelsenkirchen: Aus der Traum vom Haus am Buerschen Waldbogen]

Diese Herangehensweise hat sich offenbar bewährt. Denn zu großem Ärger mit den Neumietern in der Eigentümerschaft und Nachbarschaft ist es laut Schulte – zumindest in Dortmund – bislang nicht gekommen. „Die Menschen haben dadurch neue Stabilität in ihrem Leben bekommen.“