Gelsenkirchen-Buer. Warum die Gelsenkirchener Familie Weßels/Kloos ihre selbst entworfene Immobilie wieder abreißen lassen musste. Und was ihr Hoffnung gibt.
„Wohlfühlinsel“ mit „wildromantischen Alleen“ und „wohltuenden Naturräumen“: In blumigen Worten umschreibt die Stadterneuerungsgesellschaft das neue Quartier Am Buerschen Waldbogen – und dort zu wohnen, war auch für das Ehepaar Jutta Weßels und Günter Kloos ein Traum. „Wir waren so glücklich, als wir den Zuschlag für das Grundstück bekommen haben“, erinnert sich die Sprachtherapeutin. Rund eineinhalb Jahre nach dem Einzug musste ihr Haus nun abgerissen werden.
Die 50-Jährige kann es auch ein halbes Jahr nach dem Auszug noch immer nicht so recht fassen, dass es so gekommen ist. „Ich habe mir immer genau so einen Bungalow gewünscht, wie wir ihn dann auch gebaut haben“, erzählt sie traurig. „Das ist wirklich bitter, nicht nur für uns, sondern auch für unsere zwei Söhne.“
Gelsenkirchener Familienvater schippte täglich zwei Speisfässer Wasser aus dem Rohbau
Was so mancher Landwirt in den vergangenen Dürre-Sommern vergeblich herbeisehnte – genau diese rund vierwöchige Regenphase zum Jahresende 2018/19 war es, die den Traum vom Haus buchstäblich fortschwemmte. „Weil der Rohbau vor Weihnachten 2018 noch nicht fertig und das Dach nur provisorisch abgedeckt war, wurde das Holzständerwerk so durchnässt, dass es innen aussah wie in einer Tropfsteinhöhle“, berichtet Jutta Weßels.https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/wo-in-gelsenkirchen-neue-einfamilienhaeuser-entstehen-koennen-id232315053.html
Jeden Tag hätten ihr Mann und ihr Sohn zwei Speisfässer voller Wasser aus dem Gebäude geschippt. „Als die Handwerker dann nach Jahresbeginn die Arbeit wieder aufnahmen, liefen wochenlang die Trockner. Wie sich Monate später herausstellte, reichte das aber nicht, den Wänden nachhaltig die Feuchtigkeit zu entziehen.“
Schon kurz nach dem Einzug bildeten sich erste Blasen am Außenputz
Im Frühjahr 2020 fielen der Familie dann merkwürdige Blasen an den Außenwänden auf, die eine Firma sofort ausbesserte. Im Juni bildeten sich dann weitere Ausstülpungen im Putz. „Wir saßen gerade auf der Terrasse und überlegten, wie der Garten gestaltet werden soll“, ist ihr dieser Moment nachdrücklich im Gedächtnis geblieben.
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Die Ausstülpungen waren der Anfang vom Ende dieses Fertighauses: Proben-Untersuchungen ergaben, dass es sich um massive Feuchtigkeitsschäden und Schimmelpilz handelte. „Mein Mann hat immer noch versucht, mich zu beruhigen. ,Du mit Deinem Bauchgefühl’, hat er immer gesagt. Ich aber habe dem Braten nicht getraut.“ Sie begann zu recherchieren, beauftragte eine Firma, mit Schimmel-Spürhunden mögliche weitere Flächen ausfindig zu machen – und fiel aus allen Wolken angesichts des Ergebnisses.
Schimmelpilz-Spürhunde schlugen in jedem Raum an
„Die Mitarbeiterin hatte Tränen in den Augen, als sie uns mitteilte, dass die Hunde in jedem Zimmer angeschlagen hatten, sowohl an den Innen- als auch an den Außenwänden. Da war uns klar: Das wird ein Totalschaden“, so die 50-Jährige.
Grundstücke im Vorzeige-Quartier sind heiß begehrt
Das Neubaugebiet Am Buerschen Waldbogen an der Westerholter Straße gilt als Vorzeige-Quartier: Die Grundstücke sind heiß begehrt. Für die letzten acht freien Baugrundstücke haben sich 163 Bewerber gemeldet, zum Teil auch aus anderen Städten.Regie auf dem Areal der einstigen Kinderklinik führt die Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen (SEG). Der Erlös aus dem Verkauf der Grundstücke wird in die Revitalisierung der Bochumer Straße in Ückendorf investiert.
Es folgten Proben-Entnahmen eines Gutachters in sämtlichen Räumen, alle waren positiv. Besonders ausgebreitet hatte sich der Schimmelpilz im Zimmer von Sohn Julius (heute 15). „Er sollte sich also nicht mehr lange in dem Raum aufhalten, was wirklich schwierig war.“ Dass seine Hautveränderungen – rote, ein Euro große Flecken – Folge der mit Sporen verunreinigten Raumluft gewesen sein könnten, schlussfolgerte sie erst im Rückblick.
Nerven bei Eltern und Kindern lagen blank
Mit so viel Liebe zum Detail hatten sie und ihr Mann das Gebäude selbst entworfen, lange nach passenden Fliesen, Holzböden, Tapeten, Lampen und Möbeln gesucht, sich extra eine neue Küche einbauen lassen…
Das aufzugeben und einlagern zu lassen, fiel ihnen allen schwer. Zu viel Herzblut steckte in diesem neuen Heim.
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Die Verhandlungen mit der Baufirma waren kräfte- und nervenzehrend, am Ende einigte man sich finanziell sowie auf einen Abriss, und die Familie zog Anfang 2021 um in eine Wohnung unweit der HNO-Praxis ihres Mannes in Buer. „Die Mitarbeiter der Umzugsfirma halfen zwar beim Einpacken, aber es war trotzdem unglaublich viel Arbeit. Ich habe so oft Rotz und Wasser geheult, weil ich so enttäuscht und deprimiert war. Aber auch bei den anderen drei lagen die Nerven blank.“
Zweiter Versuch soll nun von Dauer sein
Mittlerweile haben sich die Vier mit der vergleichsweise beengten neuen Wohnsituation arrangiert. Rückzugsräume wie am Buerschen Waldbogen gibt’s derzeit nicht, die beiden Jungs müssen sich ein Zimmer teilen. „Für viele ist das Alltag, ich weiß, aber es ist schon ungewohnt und es gibt immer mal wieder Streit.“
Was ihnen Kraft gibt: Noch in den nächsten Wochen soll der Bauantrag für ein neues Massivhaus am selben Standort eingereicht werden. „Wenn alles glatt geht, können wir im Sommer 2022 einziehen. Hoffentlich bleiben wir dann für immer dort.“
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