Oberhausen. Mehr Patienten, eingeschränkte Therapie: Corona verschärft die Lage für depressive Patienten. Darauf hat ein Krankenhaus in Oberhausen reagiert.
Weil zu der dunklen Jahreszeit erneut Corona-Einschränkungen hinzukommen, sieht Jens Kuhn, Chefarzt der Psychiatrie am Johanniter Krankenhaus, derzeit eine besondere Gefahr für psychische Erkrankungen. Die Zahl der depressiven Patienten in Oberhausen wachse, beobachtet Kuhn. „Wir haben durch die Pandemie noch mehr mit Leuten zu tun, die durch soziale Isolation, Beschränkungen und das Erleben von Hilflosigkeit Ängste und Depressionen entwickeln.“
Um mehr Menschen möglichst schnell helfen zu können, hat das Johanniter Krankenhaus kurzfristig eine neue Schwerpunkt-Station für Depressionen aufgebaut. Die Sterkrader Klinik ist auf psychiatrische Erkrankungen spezialisiert und hat bislang 160 Betten und 35 Tagesklinikplätze für Betroffene bereitgestellt. „Jetzt haben wir 19 zusätzliche Behandlungsbetten“, sagt Professor Kuhn.
Neue Station ist erst mal nur eine Zwischenlösung
Gerade angesichts des zweiten Lockdowns und der kurzen Novembertage sei dieses Zusatzangebot wichtig – denn aktuell suchen immer wieder auch Lockdown-Leidende Hilfe. „Wir haben derzeit etwa eine Dame in Behandlung, die in der Hotel- und Reisebranche eine neue Tätigkeit begonnen hatte – dann aber noch während der Probezeit gekündigt wurde“, erzählt Kuhn. „Das hat über nachvollziehbare Zukunftsängste zu einer behandlungsbedürftigen depressiven Störung geführt.“
Bereits vor der Corona-Krise sei die psychiatrische Abteilung – wie üblich für Krankenhäuser mit derartigen Angeboten – regelmäßig an ihre Grenzen gestoßen. „Die Wartelisten sind lang, die Gesellschaft war ja schon vor dem Lockdown sehr geprägt von extremen Leistungsansprüchen, die solche Krankheiten fördern“, sagt Chefarzt Kuhn.
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Den wachsenden Bedarf erkannte auch die Bezirksregierung. Als diese im Zuge der regionalen Krankenhausplanung einen größeren Versorgungsauftrag erteilen wollte, signalisierte man am Johanniter Krankenhaus schnell Bereitschaft. Die neue Station soll jedoch nur als Zwischenlösung verstanden werden – sie befindet sich im Trakt für körperliche Erkrankungen, nicht im Hauptgebäude der Klinik für Psychiatrie.
Depression: Therapiemöglichkeiten durch Corona-Maßnahmen eingeschränkt
Durch die Pandemie häufen sich laut Chefarzt Kuhn nicht nur die Fälle von Depressionen, auch die Behandlung ist deutlich erschwert. Das Besuchsverbot etwa trifft die Psychiatrie besonders. „Die Patienten sind im Durchschnitt 23 Tage bei uns. In so einer Zeit keinen Besuch zu bekommen, hat noch mal eine ganz andere Dimension als drei Tage nach einer Operation alleine sein zu müssen.“
Wie man selbst vorbeugt
Chefarzt Jens Kuhn plädiert dafür, Schlaf, Arbeitszeit und Freizeit möglichst im Ausgleich zu halten, um psychische Erkrankungen vorzubeugen. „Gerade jetzt, wo durch die Corona-Einschränkungen gemeinschaftliche Erlebnisse mit Freunden und Kollegen schwer möglich sind, sollte man besonders auf eine ausgeglichene Mischung achten.“
Auch Sport hält Kuhn für ein wichtiges Mittel zur Vorbeugung von Depressionen. „Dass die Möglichkeiten, Sport zu treiben, aktuell durch Hallenverbote sehr stark eingeschränkt sind, macht mich nachdenklich“, sagt er. Nicht nur für den Körper, auch für die geistige Gesundheit sei es deshalb sehr wichtig, trotz der Einschränkungen aktuell nicht auf Bewegung zu verzichten.
Oft ist die Therapie laut Kuhn dann erfolgreich, wenn man die Patienten vorübergehend nach Hause entlässt oder zum Einkaufen schickt, um zu schauen, ob sie bereits alleine zurechtkommen. „Es war für die Therapie und die Selbstständigkeit der Patienten sehr förderlich, dass man die Klinik nach freiem Gusto verlassen konnte“, erläutert Kuhn. „Das müssen wir nun aus Infektionsschutzgründen sehr stark einschränken.“ Wichtig sei gerade für depressive Patienten auch die Sporttherapie, die nun ausschließlich unter starken Auflagen stattfinden kann.
Chefarzt: Viele Patienten haben sich am Anfang der Pandemie solidarisiert
Um hier entgegenzuwirken, versucht das Team bei den Patienten noch mehr Bewusstsein zu schaffen für die „kleinen Freuden des Lebens“: „Tagebücher zu führen, über Erlebnisse, die schön waren, sich beim Morgenspaziergang an einer blühenden Blume zu erfreuen oder das Stück Kuchen am Nachmittag als etwas Besonderes zu wertschätzen: Es hilft, auch in vermeintlich trüberen Zeiten, erfreuliche kleine Aspekte des Alltags besonders achtsam zu realisieren.“ Bedeutsam sei daher auch die „Genuss-Gruppe“, bei der Patienten den Fokus auf positive Dinge setzen sollen. „Dort geht es um die Sinne – ums Fühlen, Tasten, Riechen“, erklärt Pflegerin Bianca Clemens. Zusätzlich werden von den Pflegekräften eine Mediengruppe sowie eine Hörbuch- und Bibliotherapie-Gruppe angeboten. „Dabei geht es um die Erläuterung von Zeitungsausschnitten oder die Interpretation der Patienten von Geschichten.“
Trotz der vielen Schwierigkeiten will Chefarzt Kuhn die Probleme durch die Corona-Einschränkungen in der Psychiatrie und die Gefahren durch eine Virusinfektion nicht gegeneinander aufwiegen. „Nur gilt es bei allen Schutzmaßnahmen immer wieder zu beurteilen, was die Beschränkungen für sekundäre Folgen haben können.“
Vereinzelt erkennt Kuhn sogar positive Entwicklungen durch die Einschränkungen. „Gerade während der ersten Welle haben sich viele Patienten solidarisiert und gemerkt, dass sie gemeinsam die Belastungen und Beschränkungen viel besser verkraften können.“ Zudem habe die „Entschleunigung“ durch die Kontaktbeschränkungen manch einem auch gutgetan. „Da versuchen wir anzusetzen: Man sollte sich ausreichende Ruhephasen im Leben setzen.“