Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Barbara und Peter sind Bereitschaftspflegeeltern. Sie nehmen Kinder auf, die häufig Gewalt und Verwahrlosung erlebt haben.

  • Die Gelsenkirchener Barbara und Peter sind Bereitschaftspflegeeltern. Die nehmen Kinder auf, die das Jugendamt in Obhut genommen hat.
  • Die meisten dieser Kinder haben Schlimmes erlebt: Gewalt, Misshandlungen, Verwahrlosung. Das Gelsenkirchener Paar versucht vor allem, ihnen Normalität zu geben.
  • Auf kurz oder lang müssen die beiden Gelsenkirchener die Pflegekinder wieder gehen lassen. Das ist ist nicht immer einfach – aber Teil des Jobs.

42 Kindern konnten Barbara (55) und Peter (56) schon ein Zuhause geben. Ihre Bilder hängen entlang der Treppe im Einfamilienhaus der beiden Gelsenkirchener, die sich vor 14 Jahren dazu entschlossen haben, Kurzzeitpflegeeltern zu werden. Jedes Kind bringt seine eigene, häufig von Schmerz und Verlust geprägte Geschichte mit. Jedes Kind muss das Paar auf kurz oder lang wieder gehen lassen.

Kurzzeit- oder Bereitschaftspflegeeltern sein – das kann theoretisch bedeuten: Barbara und Peter nehmen vorübergehend ein Kind auf, dessen Mutter einen längeren Krankenhausaufenthalt vor sich hat. Praktisch heißt es in der überwiegenden Zahl der Fälle: Sie geben Kindern in akuten Notsituationen ein Zuhause. Kindern, die das Jugendamt in Obhut genommen hat, weil es ihnen in ihren Familien schlecht ging.

Für Eltern sind Bereitschaftspflegeeltern häufig das Feindbild

Deshalb muss Barbaras und Peters Nachname geheim bleiben und sie dürfen auf keinem Foto zu erkennen sein. Ihre Tätigkeit läuft komplett inkognito. Zu groß ist die Gefahr, dass ein Elternteil plötzlich vor ihrem Haus stehen und sein Kind zurückverlangen könnte. Einmal ist das fast passiert, erinnert sich Barbara: „Da haben wir bemerkt, dass uns die Eltern eines Kindes mit dem Auto hinterhergefahren sind. Wir haben dann das Jugendamt angerufen, die konnten das zum Glück schnell klären.“

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„Für die Eltern sind wir erstmal das Feindbild“, erklärt Peter. „Häufig denken sie, wir wollten ihnen ihr Kind wegnehmen.“ Die Lage beruhige sich meist erst, wenn die Eltern verstünden, dass es ihrem Kind bei den Bereitschaftspflegeeltern gut geht – und dass diese gar nicht die Absicht haben, es zu „behalten.“

Viele Kinder haben Verwahrlosung, Gewalt oder Misshandlungen erlebt

Die Kinder, die Barbara und Peter betreuen, haben meist Schlimmes erlebt: Verwahrlosung, Gewalt, Misshandlungen. Eltern, die einfach überfordert sind. Eltern, die ihnen nicht sagen, dass sie sie lieben. Oder psychisch kranke Eltern, bei denen die Rollenverteilung so in Schieflage geraten ist, dass das Kleinkind ihnen über den Kopf streicheln und sie ihnen versichern muss, dass alles gut ist.

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Im Moment lebt ein 2-jähriges Mädchen bei dem Gelsenkirchener Paar. Zehn Monate alt war es, als es aus seiner Familie genommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war das Baby stark entwicklungsverzögert, erinnert sich Barbara: „Sie lag nur auf dem Rücken, konnte sich nicht drehen. Ihr Schädel war schon komplett plattgelegen, die Haare verfilzt. Sie hatte kein Interesse an Spielzeug und hat nie geweint oder geschrien, weil sie sich daran gewöhnt hatte, dass sowieso niemand kommt.“

Gelsenkirchener Pflegeeltern: Kinder brauchen in erster Linie Normalität

Kein Einzelfall. Eine Entwicklungsverzögerung, sagt Barbara, hätten fast alle Kinder, die bei ihnen ankämen. Außerdem erinnert sich das Paar beispielsweise an einen Jungen, der panische Angst hatte, den Rasen der beiden zu betreten, weil er Gras überhaupt nicht kannte. Oder an ein Mädchen, dass mit drei Jahren schon Schimpfwörter wie „Wichser“ oder „Hurensohn“ beherrschte.

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Barbara und Peter versuchen, den Kindern das zu geben, was sie bei ihren Eltern nicht bekommen. Das bedeutet zunächst einmal: Normalität. Denn für viele Kinder sei es eben nicht normal, morgens Frühstück zu bekommen, gebadet zu werden, die Kleidung gewechselt zu bekommen, schildert Barbara. Geschweige denn, dass ihre Eltern alle verpflichtenden Untersuchungen beim Kinderarzt wahrnehmen würden. „Auch simple Dinge, wie abends mal eine Geschichte vorzulesen – das kennen die Kinder gar nicht“, ergänzt Peter.

Kinder wieder gehenlassen – „Da muss man die eigenen Bedürfnisse zurückstellen“

Gelsenkirchener Jugendamt sucht Pflegefamilien

Für viele Kinder in unterschiedlichen Altersstufen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen können, sucht das Jugendamt der Stadt Gelsenkirchen Pflegefamilien. In der Regel handelt es sich um Kinder, die dauerhaft in der Pflegefamilie bleiben.

Ansprechpartner sind die Mitarbeiterinnen des Pflegekinderdienstes (PKD): Marie Siegemund (Pflege- und Adoptivbewerberarbeit, Anmeldung zum Bewerberseminar, erreichbar unter 0209 169-9391) und Tugba Özüberk (0209 169-9328).

Alle Informationen gibt es unter www.gelsenkirchen.de/de/familie/eltern/pflegekinder.

Das alles geschieht jedoch immer nur vorübergehend. Eine Option ist, dass die Kinder wieder zu ihren Eltern zurückkehren. Das kommt allerdings immer seltener vor. Weit häufiger wird für sie eine dauerhafte Pflegefamilie gefunden oder sie ziehen ins Kinderheim. Für Barbara und Peter ist es nicht einfach, die Kinder gehen zu lassen – vor allem, wenn sie verhältnismäßig lange bei ihnen gelebt haben.

„Natürlich baut man eine Bindung auf“, sagt Barbara. Gleichzeitig betont sie aber: „Wir sind im Großelternalter und finden, jedes Kind hat ein Recht auf junge Eltern. Wir würden ihnen etwas vorenthalten. Da muss man die eigenen Bedürfnisse zurückstellen.“ Für die beiden außerdem immer sehr wichtig: Ihre eigenen Kinder, heute 25, 23 und 18 Jahre alt, stehen an erster Stelle.

Peter erklärt: „Wir haben immer gesagt: ‘Wenn unsere Kinder sagen, sie möchten es nicht mehr, dann hören wir auf’.“ Dazu kam es nie. Und so wollen Barbara und Peter, vorausgesetzt sie bleiben körperlich fit und haben weiterhin so viel Spaß an ihrer Aufgabe wie jetzt, noch sehr lange Kindern in Not ein Zuhause auf Zeit geben.