Der Wutbrief Gelsenkirchener Start-ups blieb nicht ohne Wirkung. Woher Unterstützung kommt, wer Fehler einräumt.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat mit seiner Bemerkung zur Messe Hannover, notfalls ein Digital-Team aus Estland einfliegen zu wollen, um mit der Digitalisierung hierzulande schneller voran zu kommen, einen Proteststurm von jungen IT-Experten ausgelöst. Das kleine baltische Land gilt als Vorreiter in Sachen Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung.
An vorderster Front der Protestler sind die Gelsenkirchener CEOs Markus Hertlein (XignSys GmbH) sowie Matteo Große-Kampmann (Aware7 GmbH). Die Chefs der Start-ups erhalten jetzt Unterstützung - von dem Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP. Und auch das Wirtschaftsministerium hat reagiert, räumt Fehler ein.
Marco Buschmann bezeichnet angebliche Not für externen Input als grotesk
„Es gibt unendlich viele Beispiele dafür, wie Start-ups Innovationen für eine moderne Verwaltung vorangetrieben und konkrete Verbesserungsvorschlägen zur digitalen Transformation an die Regierung herangetragen haben“, sagte Marco Buschmann. „So zu tun, als bräuchte die Politik nun externen Input aus Estland, um auf Ideen zu kommen, ist grotesk.“
Der FDP-Politiker verweist in der Schuldfrage auf die 16-jährige Regierungsära der CDU und sieht seinen Standpunkt auch durch den wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium untermauert. Das Gremium hatte in seinem kürzlich veröffentlichten Gutachten „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise“als zentrale Erkenntnis angeführt, dass der „Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung oftmals weniger auf fehlenden finanziellen Mitteln oder Marktversagen beruht, sondern auf verschiedenen Formen von Organisationsversagen“.
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Gutachten zeigt fehlende politische und unternehmerische Führung bei der Digitalisierung
Weiterhin stellt es fest, dass „aufgrund komplexer Verfahrensabläufe, unklarer Zuständigkeiten und fehlender politischer oder unternehmerischer Führung die Produktivitätspotenziale der Digitalisierung nicht ausgeschöpft“ würden. Bei der Digitalisierung der Verwaltung macht sich dies besonders deutlich bemerkbar.
Marco Buschmann sieht das Kernproblem im „öffentlichen Beschaffungswesen für Softwarelösungen“. Die Beschaffungsprozesse der Verwaltung seien oftmals so komplex, „dass sie länger dauern, als die Lebenszyklen der Software-Lösungen, die beschafft werden sollen“. Der Liberale fordert daher „Mut zu echter Disruption“ und die Schaffung eines Digitalministeriums als zentralen Steuerungs- und Koordinationspunkt.
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Das Bundeswirtschaftsministerium räumte auf Anfrage zu dem Protestbrief ein, „dass es in Deutschland noch erhebliche Defizite bei der Digitalisierung gibt“, Nachholbedarf bestehe insbesondere bei der Digitalisierung der Verwaltung. Die Altmaier unterstellte Behörde sieht in den jungen Gründerinnen und Gründern die „Vorreiter und Treiber in der Digitalisierung“.
Wirtschaftsministerium: 30 Milliarden Euro an Wagniskapital für Start-ups
Das Ministerium verweist auf den Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“, der Wirtschaftsminister Altmaier „regelmäßig persönlich in Fragen der digitalen Transformation und der Verbesserung des Start-up-Ökosystems“ berät. Thomas Jarzombek, der Beauftragte des Ministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups, sei regelmäßig mit den Unternehmern im Austausch und vertritt die Interessen der Start-ups.
Die Regierung habe außerdem im Frühjahr 2020 die Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups und kleine Mittelständler erweitert. Bund sowie private und öffentliche Partner werden „mindestens 30 Milliarden Euro an Wagniskapital für Start-ups in Deutschland mobilisieren“.