Gelsenkirchen. Die Aufgaben der Abiklausuren fanden die meisten in Gelsenkirchen eher fair. Die Gesamtsituation allerdings nehmen nicht alle mit Gleichmut.
Endspurt im Abitur 2021. Bis zu sechs Stunden Klausur mit Maske und negativem Schnelltest stand am Dienstag, dem vorletzten Klausurtag, auf dem Plan. Die Rahmenbedingungen machen die ohnehin stressträchtigen Abschlussklausuren nicht wirklich entspannter. Die erste Absolventin, die die Mehrzweckhalle nach der Grundkursklausur verlässt, ist denn auch unübersehbar erschöpft, mag nicht reden.
„Man hat viele aus den Kursen gar nicht richtig kennenlernen können“
Ganz anders die beiden nächsten jungen Frauen. Rose Jajji (18) und Aylin Zengin (19). Sie haben zuhause im Vorfeld mit den Abiturklausuren der Vorjahre geübt. „Und die waren eindeutig schwerer als in diesem Jahr. Da hatte ich immer irgendwas falsch. Das war heute echt fair,“ meint Rose. Ihre Freundin Aylin hat es ähnlich empfunden. Beide haben damit alle Klausuren hinter sich, sind sichtlich erleichtert. Aufatmen ist angesagt.
Viel mehr ist allerdings ja auch nicht drin. „Unsere Jahrgangsfahrt nach Spanien ist ausgefallen, überhaupt sind ganz viele gemeinsame Sachen ausgefallen, das hat mir wirklich gefehlt. Wir haben viele aus unseren Kursen gar nicht richtig kennenlernen können“, klagt Rose. Sie wollte nach dem Abitur ein Jahr ins Ausland, Spanien oder USA. Daraus wird dank Corona nichts, für den ganzen Jahrgang. Rose will nun studieren, Bauingenieurwesen. Aylin hingegen kann sich vieles vorstellen, was genau es nun werden soll, weiß sie noch nicht.
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Mathelehrerin: Derselbe Anspruch wie in den anderen Jahren, vor allem im Grundkurs
Mathelehrerin Ulrike Est empfand die Abiturklausuren vor allem für den Grundkurs gar nicht wirklich als leichter, sieht keinen „Corona-Bonus“: „Der Anspruch war derselbe wie in den anderen Jahren.“ Die längst fertigen Aufgaben seien ja auch aus dem zentralen Pool genommen worden, lediglich um eine Variante ergänzt.
Laura Kulawik (20) und Jana-Alina Meier (19) sind zwar froh, es hinter sich zu haben; besonders gestresst wirken sie auf den ersten Blick nicht. Aber der Jahrgang hat vieles mitgemacht, 15 Monate lang Distanz-, Wechsel- und Präsenzunterricht, variabel auf kurzfristige Ansage. Jahrgangsfahrten, gemeinsame Unternehmungen, erinnerungsträchtige Abschlussfahrten – all das fand nicht statt. „Das Soziale, die fehlenden gemeinsamen Aktivitäten, das ist das Gravierende“, bedauert auch Oberstufenkoordinator Hendrik Dalhoff. Und es geht noch über die Schulzeit hinaus. Aus Lauras geplantem Jahr in Australien wird erst mal nichts, und Jana muss auf ihre große Abiturfeier verzichten, auf die sie sich die ganze Schulzeit gefreut hat. Im August beginnt sie eine Ausbildung als Industriekauffrau.
Ausbildungsplatz ist leichter als ein Praktikum zu bekommen
Leon Real hat als erster aus dem Mathe-Leistungskurs abgegeben. Er wirkt ein wenig bedrückt. „Die Aufgaben waren ok, das war fair. Auch in den anderen Fächern, bei mir Englisch und Pädagogik. Aber insgesamt ist es ziemlich schwer für mich. Ich bin gar nicht mehr richtig ins Lernen reingekommen. Monatelang keine Schule oder Wechselunterricht, zuletzt nur noch Abifächer in Präsenz, aber das war auch immer nur eine Stunde und dann wieder Freistunden: Der normale Lernrhythmus hat mir gefehlt.“
Leon wollte eigentlich Maschinenbau studieren, nach dem Abitur Praktika machen. „Aber man kriegt jetzt überhaupt keine Praktika. Ich habe sehr viele Anfragen gestellt, aber keinen Platz bekommen.“ Nun macht er erst eine Ausbildung in dem Bereich: „Es war wirklich einfacher, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, als ein Praktikum. Das ist schon komisch“, hat er sich gewundert.
Erleichterung beim Schulleiter
Schulleiter Markus Hogrebe ist froh, mit seiner Gesamtschule Horst bisher so gut durch dieses doch sehr spezielle Abitur gekommen zu sein. „Letztlich haben bei uns auch alle Schüler zugestimmt, sich vor den Prüfungen testen zu lassen, damit sie nicht in Extra-Gruppen schreiben müssen. Und wir hatten auch nur drei Schüler, die am Anfang wegen einer Infektion ausgefallen sind und jetzt nachschreiben müssen. Auch die hatten sich übrigens nicht in der Schule angesteckt.“ Nun hofft er, dass zumindest die Zeugnisübergabe wie geplant stattfinden kann. Er hat sich wie schon im Vorjahr dafür das Amphitheater im Nordsternpark gesichert, wo garantiert genug Abstand gehalten werden kann.
Viele sind frustriert wegen der Gesamtsamtsituation
Am Leibniz-Gymnasium haben sich alle testen lassen, dennoch wurde in Gruppen von höchstens neun Personen je Raum geschrieben. Von den Grundkurs-Matheaufgaben waren auch hier nicht alle begeistert. Insgesamt seien die Abiturklausuren zwar durchaus fair und machbar gewesen, so die vorherrschende Meinung. Wirklich Frust habe und zeige mancher Absolvent aber angesichts der Gesamtsituation, beobachtet Schulleiter Michael Scharnowski.
Mancher spricht von beschädigter Zukunft und gibt Erwachsenen die Schuld
„Mehr als die Hälfte ist zufrieden, mancher ist auch ausdrücklich den Lehrern dankbar. Aber es gibt auch Jugendliche, die uns Erwachsenen die Schuld an ihrer beschädigten Zukunft geben.“ Tatsächlich sei es schwer, Praktika zu finden, die für die Berufswahl sehr wichtig seien, andere stören sich an „zu künstlichen Videokonferenzen“, die von anderen aber sehr geschätzt werden. Schwer sei es derzeit für die Schüler der Einführungsphase, die sich jetzt für Leistungskurse entscheiden müssen, ohne die Praxis etwa in Naturwissenschaften überhaupt kennengelernt zu haben.
Am Grillo-Gymnasium lief es geräuschlos
„Am Grillo-Gymnasium ist die Abiturphase ohne besondere Zwischenfälle verlaufen“, versichert Schulleiterin Christhild Schwind. Die Aufgaben seien von den meisten als fair bewertet worden. Die Klausuren mussten hier getrennt geschrieben werden, da nicht alle sich testen ließen. „Wir sind vier kooperierende Schulen, da ist das nicht vermeidbar. Aber es ist gut gelaufen“, ist die Schulleiterin erleichtert.
Gauß hofft auf Zeugnisübergabe im Zirkuszelt
Auch Gauß-Schulleiter Frank Kaupert ist durchaus zufrieden mit dem Ablauf, zumal alle einem Test zugestimmt haben, die Rückmeldungen der Schüler seien positiv. Er hofft, die Zeugnisübergabe auch diesmal mit den Abiturienten im Zirkuszelt feiern zu können.
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