Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen gibt es zusätzliche Kontingente des Impfstoffes Astrazeneca. Ärzte berichten, dass Patienten oft eine Behandlung damit ablehnen.

Der Astrazeneca-Impfstoff wird für Menschen über 60 empfohlen. Doch die wollen ihn oft nicht haben und bemühen sich lieber um Impfstoffe von Biontech oder Moderna wegen möglicher lebensgefährlicher Astrazeneca-Nebenwirkungen durch Hirnvenenthrombosen. Das berichten mehrere Gelsenkirchener Ärzte. Sie befürchten, auf dem Astrazeneca-Impfstoff sitzen zu bleiben, sehen den Immunisierungsfortschritt in Gefahr – trotz eines jetzt zusätzlich verfügbaren Kontingentes von 3000 Dosen. Zugleich kritisieren sie den hohen Organisationsaufwand für Impftermine und ständig blockierte Telefonleitungen.

Noch immer kommen wenig Impfdosen bei den Hausärzten in Gelsenkirchen an.
Noch immer kommen wenig Impfdosen bei den Hausärzten in Gelsenkirchen an. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Gelsenkirchen bekommt zusätzliches Impfkontingent von 3000 Impfdosen Astrazeneca

In einem Rundschreiben hat der ärztliche Leiter des Gelsenkirchener Impfzentrums, Dr. Klaus Rembrink, die Hausärzte am Donnerstag darüber informiert, „dass Gelsenkirchen aus nicht abgerufenen Impfdosen der Krankenauskontingente circa 3000 Impfdosen Astrazeneca zur Verfügung gestellt“ bekommt.

Pro Ärztin oder Arzt könnten maximal 15 „Vials“ – das entspreche 150 bis 180 Impfdosen – bestellt werden. Die Auslieferung der „Fläschchen“ inklusive der Zubereitungsmaterialien starte ab Mittwoch, 28. April, jeweils zwischen 9 und 12 Uhr. Die Charge habe eine Haltbarkeit bei Kühlschranktemperatur bis Ende Juni 2021. Angegeben ist ein Mailadresse, über die die Hausärzte den Stoff ordern können.

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Das Rundschreiben nährte bei einigen Ärzten in Gelsenkirchen den Verdacht, dass es sich um Impfstoff handeln könnte, der von Patienten abgelehnt worden war. Denn genau solche Erfahrungen machen sie und ihre Arzthelferinnen gerade, beispielsweise in Praxen in der Innenstadt und in Ückendorf. Namentlich genannt werden wollen sie in der Zeitung aber nicht. „Ein Impfangebot mit Astrazeneca wird oft abgelehnt, stattdessen wird eine Impfung mit Biontech verlangt.“ Die Folge: Ein Telefon-Marathon, um „berechtigte und impfwillige Patienten umzuorganisieren“.

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Ministerium erteilt Freigabe für Seren-Überhang an die Gelsenkirchener Hausärzte

Klaus Rembrink kann zumindest dahingehend Entwarnung geben, dass es sich bei dem Astrazeneca-Kontingent um abgelehnte Immunseren handeln würde. „Nein, die Krankenhäuser hatten eine hohe Zuteilung, mittlerweile sind die Mitarbeiter dort geimpft, daher hat die Stadt beim Ministerium um Freigabe des Überhangs gebeten und eine Zusage erhalten.“

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Dr. Klaus Rembrink, er ist der ärztliche Leiter des Impfzentrums Gelsenkirchen.
Dr. Klaus Rembrink, er ist der ärztliche Leiter des Impfzentrums Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Das teilweise herrschende Chaos in den Praxen kann der Standortleiter trotzdem bestätigen. Weil viele Menschen versuchten, parallel über ihre Hausärzte oder über die Impfzentren und die Kassenärztliche Vereinigung Termine zu buchen, könne man sich vor Anfragen kaum retten. Rembrink, gut vernetzt mit der hiesigen Ärzteschaft, weiß auch um die Folgen, die die Hausärzte beklagen.

Diese sagen: „Wir müssen ständig die Impftermine umorganisieren, weil bereits geimpfte Patienten nicht Bescheid sagen und die vereinbarten Termine nicht streichen lassen. Oder Astrazeneca ablehnen.“ So entstünden Lücken, die man füllen muss. „Man telefoniert sich die Finger wund.“

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Gefragt nach einer Größenordnung der Ablehnung berichtet es eine Praxis in Ückendorf so: „Von zehn Patienten lehnen sieben Astrazeneca als Impfstoff ab und verlangen Biontech. Drei geben sich auch mit Astrazeneca zufrieden. Motto: Hauptsache Schutz. Ähnliches ist auch aus der Innenstadt zu vernehmen.

Leiter: Der Impfzentrumsbetrieb sollte schnell auslaufen

Dr. Klaus Rembrink hofft, dass der Betrieb der Impfzentren so bald wie möglich ausläuft. Organisatorisch sei der Aufwand immens. Der Arzt favorisiert Corona-Impfungen über die Hausärzte. Er befürchtet aber, dass sobald genügend Impfstoff vorhanden ist und die Priorisierung wegfällt, dass diese Praxen überrannt werden von Patienten.

Der große Andrang, ständig blockierte Telefonleitungen, lässt eine Reihe von Gelsenkirchener Hausärzten überlegen, künftig Buchungsportale für ihre Praxen zu nutzen. Ansonsten seien Arzthelferinnen nur noch mit Telefonieren beschäftigt.

Das Bochumer Impfzentrum könnte sogar im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten. Bislang sind es wie in Gelsenkirchen zwei Schichten von morgens bis abends. Einem Drei-Schicht-Betrieb erteilt Rembrink eine Absage, weil dafür kaum Personal zu rekrutieren sei. Und außerdem: „Wer will sich denn schon nachts impfen lassen“, fragt er. Aber und das sagt er auch: „Es hat schon eine Anfrage gegeben, ob wir unsere Kapazität erhöhen können.“

Andere Praxen, aus der Innenstadt oder etwa auch aus Schalke, beschreiben die Impfsituation nicht so dramatisch: „Ablehnung von Astrazeneca gibt es, ja, das ist erkennbar, aber die Quote ist nicht auffällig hoch.“ Meist handele es sich um die älteren Jahrgänge, die eine Aversion gegen Astrazeneca äußern. Das beginne ab einem Alter um die 60. Den Jüngern sei es eher egal, mit welchem Impfstoff sie gespritzt würden.

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Die Praxis aus Ückendorf zumindest berichtet, dass der Anteil Migranten, die eine Impfung ablehnten, hoch sei, vor allem bei Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien. „Wir vermuten, dass mangelnde Bildung, Sprachbarrieren oder auch kein Zugang zu Medien und Nachrichten Gründe dafür sein könnten.“ Man habe diese Woche schon sehr suchen müssen in den Patientenlisten, um Termine mit Impfwilligen zu besetzen.

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Von Praxen aus dem Innenstadtbereich oder aus Schalke, auch ein Stadtteil mit einem bunten Sozialgefüge, ist aber auch anderes zu hören. Nicht wenige Menschen aus bildungsfernen Schichten, so erzählen die Ärzte, „ist es schlichtweg egal, womit sie gegen Corona geimpft werden“. Das gelte auch für Patienten mit Migrationshintergrund. „Ihnen ist vor allem der Schutz wichtig, bei Zweiflern haben wir mit guten medizinischen Argumenten auch schon einige umstimmen können, sich doch die Astra-Spritze geben zu lassen.“

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Die Lage stellt sich, je nachdem wohin man schaut, also sehr unterschiedlich dar. Dr. Klaus Rembrink wäre daher froh, wenn der für bald angekündigte Wegfall der Impfpriorisierung tatsächlich käme. Und auch die versprochene massive Erhöhung von Impfstofflieferungen im zweiten Quartal. „Denn bislang hat es nur ein monatelanges Versagen von Politik gegeben“, sagt er enttäuscht. „Ich glaube an nichts mehr, sondern nur noch an Fakten und Zahlen.“ Und die lassen ihn vorerst das Gegenteil vermuten.

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