Oberhausen. Seitdem die Hausärzte gegen Corona impfen dürfen, werden Arzthelferinnen auch in Oberhausen von abgewiesenen Patienten immer häufiger beschimpft.
Die Mitarbeiter der Arztpraxen in Oberhausen stehen enorm unter Druck. Seitdem die Hausärzte gegen Corona impfen dürfen, nehmen Pöbeleien vor allem gegen die Arzthelferinnen zu. So mancher Mediziner fordert seine Patienten bereits am Eingang nachdrücklich zu einem respektvolleren Umgang mit seinem Team auf. In der kommenden Woche dürfte sich die Lage vermutlich noch einmal verschlimmern. Denn der Bund hat zusätzliche Impfdosen von Biontech angekündigt. Doch auch die bleiben noch immer ein Tropfen auf den heißen Stein – und die Ungeduld der Menschen wächst.
„Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird durch diese Mangelverwaltung aufs Spiel gesetzt“, ärgert sich Dr. Peter Kaup, Allgemeinmediziner und Vorsitzender der Ärztekammer Nordrhein, Kreisstelle Oberhausen. In seiner Sterkrader Gemeinschaftspraxis sind vier Mediziner tätig, die bis zu 6000 Patienten im Quartal behandeln. „Wir haben aber alle zusammen nur 70 Impfdosen pro Woche erhalten, da ist Neid vorprogrammiert.“ Wieso haben Sie Frau X geimpft und nicht mich? Mit Fragen wie dieser werden die Arzthelferinnen fast täglich konfrontiert. „Diese Situation ist eine extreme Belastung für uns.“
Statt 70 benötigt seine Praxis 1000 bis 2000 Impfdosen pro Woche. „Selbst wenn die Schlange vor unserer Tür von Sterkrade bis Oberhausen-Mitte reichen würde, wir würden nicht eher aufhören zu impfen, bis alle Wartenden endlich ihre Dosis erhalten haben“, betont Kaup. Dazu seien in Oberhausen aber auch alle anderen Ärztinnen und Ärzte und ihre Teams bereit. Jeder Hausarzt, jede Hausärztin, versichert Kaup, könnte locker zwischen 50 und 100 Impfungen pro Tag durchführen. „Wenn dann endlich auch noch die Fachärzte dazukämen, wären wir in Oberhausen in drei Wochen durch.“
Hunderte von Terminen mussten wieder abgesagt werden
Die Realität aber sieht anders aus: Eine Astrazeneca-Lieferung wird angekündigt, die Praxen in der Stadt vergeben hunderte von Terminen. Jeder Patient, jede Patientin muss einzeln angerufen werden. „Einen Tag vor dem Impfstart erfahren wir dann, dass diese Lieferung doch nicht kommt.“ Kaup ist fassungslos über dieses miserable Krisenmanagement von Land und Bund. Ginge es nach ihm, müssten Impfzentrum und Arztpraxen mit Impfstoff überschwemmt werden. „Das ist unsere einzige Chance in dieser Pandemie.“
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Statt dessen würde mit Schnelltests eine trügerische Sicherheit verbreitet. „Testen hat noch keine einzige Infektion verhindert – das Virus fährt ständig in uns von einem Menschen zum nächsten Taxi, das können wir nur stoppen, indem wir signalisieren, dein Taxi ist voll – und genau das erreicht der Impfstoff.“
Dr. Stephan Becker, Vorsitzender der Kreisstelle Oberhausen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, sieht das genauso. Seine Kolleginnen, seine Kollegen und er selbst würden lieber heute als morgen die komplette Priorisierung aufheben. „Wir verimpfen alles, was wir haben und käme endlich mehr, wären wir auch alle sofort bereit, dafür Überstunden einzulegen.“ In seiner Revierparkpraxis würden aktuell bereits Termine für die Jahrgänge 1950/51 vergeben. Mit etwa 200 Dosen von Biontech rechnet das Team ab dem 26. April. „Da wir unsere Patienten aus der Priorisierungsgruppe 2 schon bald durchgeimpft haben, gehen wir weiter in die Gruppe 3, impfen also auch Patienten mit Herzerkrankungen, Rheuma, Diabetes oder starkem Asthma.“
Bund kündigt mehr Impfstoff an
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sollen die niedergelassenen Ärzte in den nächsten Wochen mit mehr Impfstoff rechnen können. Das Ministerium kündigte vor allem zusätzliche Lieferungen von Biontech/Pfizer ab dem 26. Aprilan.
Die Lieferungen sollen bis Juni weiter zunehmen. In der letzten Aprilwoche sollen die Praxen mehr als zwei Millionen Biontech-Impfdosen erhalten. Für die Woche bis zum 25. April wurden deutschlandweit allerdings lediglich 462.000 Biontech-Impfdosen angekündigt, dazu 554.000 von Astrazeneca.
Wer wissen möchte, wie viele Impfungen in den jeweiligen Städten durchgeführt worden sind, kann hier nachsehen: waz.de/231913397
Doch auch in seiner Praxis gilt nach wie vor: „Unsere Arzthelferinnen vereinbaren die Termine und rufen dafür jeden einzelnen Patienten an.“ Viele Ungeduldige stehen dennoch auch dort bereits täglich vor der Tür. „Diese Menschen wegschicken zu müssen, ist doch auch für uns alle schrecklich.“ Haben die Patienten dann aber endlich ihre rettende Impfung erhalten, „laufen vielen vor Erleichterung die Tränen über die Wangen“.