Gelsenkirchen. Mit 11.000 Euro will die Stadt Gelsenkirchen Frauen in Notlagen bei der Lebensplanung unterstützen. Was hinter dem Verhütungsmittelfonds steckt.
Will ich jetzt (noch) ein Kind? Familienplanung und Verhütung gehören für Paare zu den essenziellsten Themen. Doch vielfach gibt es Lebenssituationen, in denen die Mittel für diesen elementaren Bestandteil der Lebensplanung nicht verfügbar sind – zum Beispiel, weil schlicht das Geld für Verhütungsmittel fehlt. 11.000 Euro wird die Stadt Gelsenkirchen Frauen in Notlagen deshalb im Rahmen des sogenannten „Verhütungsmittelfonds“ für das Jahr 2021 zur Verfügung stellen.
Das seit 2019 bestehende Programm wird damit zum zweiten Mal verlängert. Konkret soll das Geld „Frauen in besonderen sozialen Notlagen dabei unterstützen, eine gezielte Lebens- und Familienplanung vorzunehmen“, heißt es vonseiten der Stadt. Es wird dafür eingesetzt, verschreibungspflichtige Verhütungsmittel wie die Anti-Baby-Pille, die Spirale oder die Drei-Monats-Spritze zu finanzieren.
Gelsenkirchener Beratungsstellen sind für die Umsetzung zuständig
Barbara Hildebrandt-Vohl, Schwangerenberaterin bei der Beratungsstelle Donum Vitae, weiß genau, wie wichtig diese Möglichkeit für viele Frauen in Gelsenkirchen ist. Donum Vitae ist – genau wie die Evangelische Beratungsstelle für Ehe und Lebensfragen der Diakonie – für die Nutzung des Fonds zuständig. Beide Stellen erhalten je 5.500 Euro: 5000 für die Finanzierung der Verhütungsmittel und 500 als Verwaltungskostenpauschale. 80 Prozent der Kosten für das gewählte Verhütungsmittel werden übernommen, die restlichen 20 Prozent müssen die Frauen selbst tragen.
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„Die meisten Frauen, die einen Antrag stellen, wünschen sich eine langfristige Verhütung, vor allem mit der Spirale. Die kostet ja etwa 200 Euro auf einmal, wenn man sie einsetzen lässt“, weiß Hildebrandt-Vohl. Ein Betrag, der für Familien, die etwa von Hartz IV leben würden, kaum aufzubringen sei. Der Verhütungsfonds unterstützt Frauen mit einem geringen Einkommen, die zum Beispiel Arbeitslosengeld oder andere Sozialleistungen beziehen. Weitere Voraussetzung ist, dass sie sich in einer besonderen Notlage befinden.
Viele Frauen mit mehreren Kindern beantragen die Unterstützung bei der Verhütung
„Zu uns kommen in der Regel Frauen, die schon mehrere Kinder haben, die sagen: Es reicht, ich kann nicht mehr“, berichtet Hildebrandt-Vohl. Viele hätten einen Migrationshintergrund, einige hätten schon Schwangerschaftsabbrüche hinter sich. Oder sie hätten bereits Kinder, die „ungeplant“ gewesen seien. „Ich erlebe immer noch, dass der Satz ‘Mein Mann passt auf’ für viele ein gängiges Verhütungsmittel ist“, so die Beraterin. Hier sei zunächst einmal Aufklärung nötig.
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Pablo Matzoll, Fachbereichsleiter der Diakonie-Beratungsstelle, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Einige der Frauen, die die Gelder erhalten, haben viele Kinder innerhalb kurzer Zeit bekommen. Sie würden eine weitere Schwangerschaft allein kräftemäßig nicht mehr schaffen“, sagt er. „Dazu kommen psychische Probleme. Oder eine Verschuldung, zusätzlich zum ohnehin geringen Einkommen.“
In Einzelfällen gibt es auch Geld für eine Sterilisation
Aber auch solche Fälle gebe es, weiß Hildebrandt-Vohl zu berichten: die Frau, deren Mann nicht möchte, dass sie verhütet und die sich deshalb selbst helfen muss. Oder die Frau, deren Mutter oder Schwiegermutter kontrolliert, ob sie die Pille nimmt, weil das aus kulturellen Gründen nicht erwünscht ist.
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Auch Anträge für Sterilisationen, die in begründeten Einzelfällen durch den Verhütungsmittelfonds finanziert werden können, sind im vergangenen Jahr bewilligt worden. „Dabei handelt es sich meist um ältere Frauen, Anfang 40, die schon mehrere Kinder haben“, schildert Hildebrandt-Vohl ihre Erfahrungen. Matzoll berichtet darüber hinaus von Familien, die mit vielen Kindern auf engem Raum lebten, die Familienplanung abgeschlossen hätten und sich die Sterilisation als endgültigen Schritt wünschten.
57 Gelsenkirchenerinnen bekamen 2020 Geld aus dem Verhütungsmittelfonds
Zuletzt habe es auch vermehrt Anfragen für die sogenannte Vasektomie gegeben, die Sterilisation des Mannes, weiß Hildebrandt-Vohl: „In diesen Fällen prüfen wir genau, ob sich die Paare in einer langfristigen, stabilen Beziehung befinden, damit die betroffene Frau wirklich mit der Behandlung unterstützt wird.“
Im Jahr 2020 haben 70 Frauen im Rahmen der Beratung bei Donum Vitae oder der Evangelischen Beratungsstelle Unterstützung durch den Verhütungsmittelfonds beantragt. Das entspricht einer Steigerung von etwa 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 57 haben anschließend tatsächlich Leistungen aus dem Verhütungsmittelfonds in Anspruch genommen. Beide Beratungsstellen rechnen auch für dieses Jahr mit einer hohen Nachfrage. Sie berichten von zahlreichen Anrufen von Frauen, die auf das Geld angewiesen seien.
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