Gelsenkirchen. An Schalkes Abstieg gibt es schon lange kaum Zweifel. Gegen Bielefeld kann dieser nun endgültig besiegelt werden. Was Schalke-Fans empfinden.
Im Grunde ist alles gesagt. Der beispiellose Absturz unseres Herzensvereins, der Integrationsmaschine unserer Stadt, wurde in alle Gazetten und Sportsendungen der Nation rauf und runter analysiert - natürlich auch in der WAZ.
In diesem Artikel der Gelsenkirchener Lokalredaktion geht es daher nicht um die Frage nach dem „Warum“ und dieser Text verstößt auch ausnahmsweise mal gegen die Neutralitätspflicht. Hier geht es nun – da der Abstieg am Dienstagabend gegen Arminia Bielefeld besiegelt werden kann – allein darum, was Schalke-Fans heute empfinden.
Wir in der Redaktion etwa sind enttäuscht von der Mannschaft, die bis zuletzt nicht den Kampf und den Widerstand gezeigt hat, den wir als Fans erwarten. Aber auch daran haben wir uns leider gewöhnt. Trotz aller Enttäuschung überwiegt die Hoffnung, dass der Schrecken bald ein Ende hat und unser aller Club in der zweiten Liga tatsächlich mal einen echten Neustart hinlegt. Für Gelsenkirchen und für die ganze Schalker Fanfamilie.
Olivier Kruschinski: „Wer absteigt, kann auch wieder aufsteigen“
Ganz nah dran an Schalke ist selbstverständlich auch Mythos-Tour-Erfinder und Vorstand der Stiftung Schalker Markt, Olivier Kruschinski. Dass den Ückendorfer mit Schalker-DNA der anstehende Abstieg nicht kalt lässt, liegt auf der Hand, doch Kruschinskis Art ist es, aus allem möglichst auch das Positive heraus zu destillieren: „Dieser ,surreale Abstieg’ bietet, wie jede Krise, auch eine Chance. Eine Chance, Schalke wieder – demütig, bodenständig und werteorientiert – neu zu justieren. Denn wer absteigt kann auch wieder aufsteigen.“
Ulrich Paetzel: „Eine Mischung aus Trauer und Unverständnis“
Für viel Aufsehen in den vergangenen Wochen hatte unter anderem auch der Vorstandsvorsitzende der Emschergenossenschaft gesorgt. Ulrich Paetzel gehört dem Kreis einflussreicher Schalke-Mitglieder an, die im März scheinbar den Weg für ein neuerliches Engagement Ralf Rangnicks auf Schalke ebneten. Nach einigem öffentlichen Krach mit dem Aufsichtsrat des Vereins erklärte Hoffnungsträger Rangnick für bekanntlich, dass er doch nicht zurück nach Gelsenkirchen kommen werde.
Die Causa Rangnick wird mutmaßlich bei der nächsten Jahreshauptversammlung noch ein Nachspiel haben. Bis dahin beschreibt Schalke-Fan Paetzel seine Gefühlswelt so: „Es ist eine Mischung aus Trauer und Unverständnis, Trauer ob des Abstiegs, des Niedergangs des Vereins. Unverständnis darüber, dass die Verantwortlichen es haben so weit kommen lassen, dass Schalke in Lethargie versinkt.“
Klaus Herzmanatus: „Chance für einen überfälligen Neuanfang“
Klaus Herzmanatus ist Schalke-Fan und Gründer von „Schacht 2“ – in seinem Museum hat er schon viele Schalke-Spieler begrüßt. Für ihn bedeutet der Abstieg, dass man nach wie vor dem FC Schalke 04 die Treue halten muss: „Es muss Schluss sein mit einer Misswirtschaft, und wir müssen uns wieder auf unsere Tugenden des Kumpel- und Malocherclubs besinnen. Jungen hungrigen Spielern die Chance geben, keine sogenannten Stars holen, die einfach nur satt sind. Ich sehe den Abstieg als Chance für einen überfälligen Neuanfang.“
Dominic Schneider: „Machtkämpfe müssen beendet werden“
Dominic Schneider, Bezirksbürgermeister Gelsenkirchen-Nord, sieht im Abstieg die Chance, dass Schalke sich im Kern erneuern könne. „Das Chaos der letzten Jahre und auch die Machtkämpfe müssen beendet werden. Jetzt darf es nur um den Club gehen“, sagt Schneider. Sehr traurig findet er, dass die anderen Abteilungen wie Basketball und Handball darunter leiden, weil man sich im Profifußball zu sehr aus dem Fenster gelehnt hat. „Genauso traurig ist der Stopp des Ausbaus des Vereinsgeländes. Das wäre ein riesiger Imagegewinn für die Stadt Gelsenkirchen. Jetzt muss es heißen: ,Alles für Schalke!‘ - allerdings geordnet.“
Peter Wendt: „Es werden weniger Fans nach Gelsenkirchen kommen“
Peter Wendt, Wirt der Kultkneipe „Fliegenpils“ in Buer, ist neugierig, wie die Fans auf die Zweite Liga reagieren werden. „Unsere Arbeitszeit wird sich wegen der veränderten Anstoßzeiten signifikant erhöhen: Wenn beispielsweise am Sonntag um 13.30 Uhr angestoßen wird, müssen wir schon um 10 Uhr aufmachen“, sagt der Gastronom. Er befürchtet, dass sich mehr Leute ein Sky-Abo zulegen und die Spiele zuhause schauen werden, statt in die Kneipe zu gehen. „Außerdem glaube ich, dass in der Zweiten Liga nicht mehr so viele Fans von außerhalb nach Gelsenkirchen kommen wie in der Bundesliga“, sagt er.
Thommy Wesselborg: „Für Wirte unangenehme Anstoßzeiten“
Thommy Wesselborg ist Wirt der „Destille“ – schon wegen der Nähe zur Arena eine der Anlaufstellen für Schalke-Fans. Er hofft, dass es dem Verein gelingt, nach dem Absturz wieder auf den Boden zu kommen. In der aktuellen Form ist er skeptisch, dass das Team in der Zweiten Liga die Klasse halten kann. „Das Team muss wieder zum ehrlichen Fußball zurückfinden“, sagt er. „Ich hoffe auch schwer, dass zum Ligastart wieder 60.000 Menschen ins Stadion dürfen, um die geballte Energie loszulassen - das kann der Mannschaft Auftrieb geben.
Unangenehm für die Wirte seien die Anstoßzeiten in Liga zwei. „An der Zahl der Sonntagsspiele wird man dann am Ende sehen, wie sehr unser Umsatz zurückgeht. Für mich als Schalke-Fan ist aber derzeit am wichtigsten: Wir wollen unseren Verein zurückhaben.“
Rainer Schiffkowski
„Schalke 04 steigt ab“, ist sich Rainer Schiffkowski sicher. Der Leiter des Referats Wirtschaftsförderung ist Schalke-Fan durch und durch. „Obwohl es über Wochen und Monate absehbar war, empfinde ich bei dieser Gewissheit einen brutalen Schmerz und eine tiefe Traurigkeit. Seit meiner Infizierung mit dem Schalke-Bazillus im Jahre 1969 habe ich nicht sehr viele Heimspiele verpasst, war immer in Berlin bei den Finals dabei und natürlich auch in Mailand. In diesen Jahren habe ich bei nunmehr vier Abstiegen zusammen mit allen Fans im Saldo mehr gelitten als gejubelt. Aber würden sie einen Impfstoff gegen diesen Infekt entwickeln, impfen lassen dagegen niemals und auch meine Mitgliedschaft seit 1987 gebe ich nicht auf.“
Der Verein und seine Fans sollten Liga 2 als Chance begreifen, so Schiffkowski weiter. „Das Gebot der Stunde laute mehr denn je 1000 Freunde, die zusammen stehen. Also hoffen wir darauf, dass auch die Vereinsführung/der Aufsichtsrat abseits von persönlichen Interessen den sofortigen Wiederaufstieg und die finanzielle Konsolidierung von Schalke 04 angehen. Und wenn dann die Spieler bei dem Wiederaufstieg Freudentränen vergießen, dann würde der emotionale Unterschied zu einigen Kickern des jetzigen Kaders deutlich.“
Jochen Grütters
Auch in der Brust von Jochen Grütters, Leiter des IHK-Standorts in Gelsenkirchen, schlägt ein Schalker Herz. Mit Blick auf die desaströse Saison seiner Königsblauen sagt er: „Hier im Revier sagt man: Man lässt einen guten Kumpel nicht hängen, wenn es ihm schlecht geht. Das gilt auch für mich, der seit Kindertagen ins Schalker Stadion geht. Als Schüler bin ich von Ückendorf aus regelmäßig zum Parkstadion gelaufen. Es gibt für mich und meine Frau keinen Grund, unsere Dauerkarte abzugeben. Die haben wir seit gut 20 Jahren.“
Wilhelm „Trompeten-Willy“ Plenkers: „Schalke hängt in alten Strukturen fest“
Auf der Nordkurve bläst er in normalen Zeiten zur Attacke. In Zeiten von Geisterspielen hat sich Wilhelm Plenkers mittlerweile auf den Abstieg eingestellt. „Ich blicke ganz normal auf das Spiel“, sagt „Trompeten-Willy“ und fügt an: „Für mich ist die Mannschaft schon kurz nach dem ersten Spieltag abgestiegen (0:8 in München, Anmerkung der Redaktion). Ich habe dieses Spiel im Urlaub mit 50 Bayern-Fans geguckt, in voller Montur mit Trompete. Man kann sich vorstellen, wie viel Spaß das macht.“
Anschließend wollte er mit der Mannschaft und dem Trainer telefonieren. Sie lehnten ab. „Ich würde denen gerne zeigen, was Schalke heißt. Das darf man aber nicht“, so Plenkers. Für ihn liege das Problem bei der Mannschaft: „Die ist untrainierbar. Schalke hängt in alten Strukturen fest und es ändert sich nichts.“
Gregg Devine: „Unabhängig der Liga bleibe ich Fan“
Seit Jahren ist auch Gregg Devine mit den Knappen verbunden. Er ist ein Gründungsmitglied des „Schalke Fanclubs UK“. Dass es nicht leicht sei, Schalke-Fan zu sein, das habe er früh gemerkt. Mehr Tiefen als Höhen biete diese königsblaue „emotionale Achterbahnfahrt“. Für Devine ist S04 aber mehr als nur ein Fußballverein: „Unabhängig der Liga bleibe ich Fan.“
Die jetzige Tabellenposition sei der Preis, den Schalke für Jahre des schrecklichen Managements bezahle. Der Abstieg stand für Devine seit der Niederlage gegen Köln Ende Januar fest. „Seitdem fühlt es sich so an, als wenn Schalke in der Notaufnahme des Krankenhauses liegt und die Doktoren den Club in Liga eins am Leben halten. Aber bald werden sie keine Wahl mehr haben und Schalke steigt ab.“
Das tue weh, sei aber keine Überraschung. Zu wissen, dass Schalke absteigt, mache es einfacher. „Die Zeit heilt alles. Wir kriegen, was wir verdienen“, sagt Devine, der allerdings auch Positives sieht: In der Zweiten Bundesliga gibt es neue Städte zu besuchen.
Markus Töns: „Unter die laufende Saison würde er gerne schnell einen Schlussstrich ziehen“
SPD-Bundestagsabgeordneter Markus Töns erinnert sich dieser Tage an den Sommer vor 30 Jahren, „als ich beim Aufstieg in die erste Liga dabei war“, so Töns. Unter die laufende Saison würde er gerne schnell einen Schlussstrich ziehen. „Der Verein verlässt die Liga im Zeitlupentempo und sammelt dabei Gegentor um Gegentor, das tut schon weh. Ich hoffe, dass der Neustart in der zweiten Liga tatsächlich gelingt. Dafür muss aber bei der Mannschaft eine Menge passieren“, macht Töns seine Enttäuschung deutlich.
Propst Markus Pottbäcker: „Mit vereinten Kräften wieder nach oben“
Als Propst der katholischen Kirchengemeinden St. Urbanus und St. Augustinus zeigt sich Markus Pottbäcker auch schon einmal mit dem Schalke-Logo auf dem weißen Priesterkragen. „Für das Lebensgefühl unserer Stadt tut es mir sehr leid. Uns liegt es ja nicht, uns aufzuspielen. Wir wissen, dass in Gelsenkirchen noch einiges zu tun und das Potenzial noch zu heben ist“, sagt er zum bevorstehenden Abstieg. Das seiner Meinung nach ungerechte und falsche schlechte Image des Vereins von außen werde durch einen Abstieg nicht besser. „Die Fans werden ihrem Verein aber treu bleiben“, ist er sich sicher. Mit vereinten Kräften könne es wieder aufwärts gehen. „Und wenn es in der Zweiten Liga dann wenigstens wieder geilen Fußball zu sehen gibt in der Arena, dann freue ich mich darauf auch“, fügt der Geistliche hinzu.
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