Gelsenkirchen-Rotthausen. Kathrin Dominiks Sohn Bela ist Autist. Im Alltag stößt die Gelsenkirchenerin mit ihrem besonderen Kind auf Vorurteile – und auf offene Ablehnung.

Bela (7) ist ein besonderes Kind. Das ist seiner Mutter Kathrin Dominik im Grunde schon unmittelbar nach der Geburt klar. Er weint viel, fällt oft hin und kuscheln ist so gar nicht sein Fall. Fünf Jahre wird es dauern, bis seine Mutter und sein Stiefvater Daniel Dominik erfahren werden, was genau ihren Sohn von anderen Kindern unterscheidet: Bela ist Autist.

Den letzten Anstoß gibt ein Erlebnis im Kindergarten. Kathrin Dominik will ihren Sohn abholen, die Gruppe ist wahnsinnig laut. Bela sitzt unter dem Tisch, hält sich die Ohren zu und wippt vor und zurück. „Da habe ich die Erzieherin gefragt: ,Macht er das hier jeden Tag’?“, erinnert sich die 44-jährige Rotthauserin. „Sie sagte nur: ,Ja’.“ Einige Zeit später ist klar: Bela ist Asperger-Autist und hat zusätzlich ADHS.

Gelsenkirchener Mutter: „Die Diagnostik war ein Desaster“

Doch bis zur Diagnose ist es ein harter Weg. „Die Diagnostik war ein Desaster“, berichtet Kathrin Dominik. „Von ,unerzogen’ über ,schlechte Eltern’ bis ,Systemsprenger’ haben wir alles zu hören bekommen. Als wir den Verdacht geäußert haben, dass er Autist sein könnte, hieß es nur: ,Er sagt doch Hallo, damit kann er kein Autist sein’.“

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Heute muss der Tag für Bela komplett durchstrukturiert sein: immer die gleiche Aufstehzeit, das gleiche Frühstück, die gleichen Lebensmittel im Haus. Veränderungen wühlen den Jungen auf. In der Rotthauser Förderschule, die er seit vergangenem Herbst besucht, hat er einen Schulbegleiter. Der hilft ihm, seinen Alltag zu bestreiten und den Kontakt, das Spielen mit anderen Kindern leichter zu machen.

Autistisches Kind stößt häufig auf Ablehnung – auch von Freunden oder Familie

Doch was Kathrin Dominik viel mehr belastet als die erschwerten Bedingungen im Alltag, das sind die Reaktionen anderer Menschen. Auch und vor allem solcher, die ihr nahestehen. „Der ist nicht richtig erzogen“, „Der will bloß Aufmerksamkeit“, „Dem gehört einfach mal der Hintern versohlt“. Alles Sätze, die die Mutter schon von Freunden oder Familienmitgliedern gehört hat. Und schließlich sind da noch die Gaffer auf der Straße, die Bela „anglotzen“, wenn er einen sogenannten „Meltdown“, einen unkontrollierten Wutanfall, bekommt.

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Dabei weiß Kathrin Dominik: Was für andere aussieht wie ein Wutausbruch, ist in Wahrheit die pure Reizüberflutung. „In diesem Moment ist Bela einfach überfordert. Die Welt da draußen ist ihm zu hell, zu schnell, zu hektisch.“ Mittlerweile habe sie sich von sämtlichen früheren Freunden distanziert, berichtet sie: „Lieber spreche ich mit der Wand als weiterhin mit diesen Leuten.“ Sie habe nur noch Kontakt zu Menschen, die ebenfalls autistische Kinder haben.

Gelsenkirchenerin genervt von Vorurteilen gegenüber Autisten

Die 44-Jährige sieht ihr Kind vielen Vorurteilen ausgesetzt. Zum Beispiel, dass Autisten gefühllos seien. Dabei sei das, was sich im „Meltdown“ äußere, vielmehr ein Zuviel an Gefühlen. Auch dass man die Diagnose nicht jedem Kind an der Nasenspitze ansieht, sei für viele Menschen offenbar irritierend: „Ich höre ganz oft: ,Was, der sieht doch ganz normal aus’. Es jonglieren aber nicht alle autistischen Kinder mit Zahlen und sitzen dabei sabbernd in der Ecke.“

Ganz klar: „Eltern mit autistischen Kindern brauchen ein dickes Fell“, sagt die Rotthauserin. Sie selbst habe auf ihrem Weg mit Bela viele Tränen vergossen, viel Verzweiflung und Hilflosigkeit erlebt. „Manchmal habe ich mir Gedanken gemacht, ob die Diagnose doch falsch ist, ob ich vielleicht einfach eine schlechte Mutter bin. Aber mittlerweile schaue ich jeden Tag in den Spiegel und sage mir: Ich weiß, wer ich bin und wofür ich kämpfe.“

Großer Wortschatz, sehr wissbegierig: Mutter ist stolz auf Bela

Am meisten wünscht sich Kathrin Dominik, dass die Menschen Bela so sehen, wie sie ihn sieht. Mit all seinen Besonderheiten und all den Dingen, die sie als Mutter so stolz machen. Zum Beispiel sein gigantischer Wortschatz. Oder die Tatsache, dass er so vielseitige Interessen hat und jedes Häppchen Wissen aufsaugt, das er bekommen kann – etwa zur Feuerwehr oder zum menschlichen Körper.

„Natürlich ist das Leben mit autistischem Kind anstrengend. Ich habe im Alltag auch schon einige Blessuren davongetragen“, sagt Kathrin Dominik. „Aber er hat so großartige Seiten. Es gibt viele lustige Momente. Und jeder kleine Erfolg wird gefeiert.“