Gelsenkirchen. Radfahrer haben das Fahrradklima in Deutschlands Städten bewertet. Gelsenkirchen schneidet schlecht ab – wieder einmal. Was der ADFC nun fordert.
Gelsenkirchens Radler haben dem Fahrradklima in ihrer Stadt die Note 4,3 verpasst. Ausreichend mit gehörig Luft nach oben. Das geht aus dem Fahrradklima-Test 2020 hervor, den der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) am Dienstag veröffentlich hat.
Der Test wurde zum neunten Mal durchgeführt. 2018 setzte es bereits diese Bewertung: 4,3. Gelsenkirchen ist somit für die 348 Test-Teilnehmer nicht gerade fahrradfreundlicher geworden. Die Note bedeutet für die Stadt Platz 21 im deutschlandweiten Ranking der 26 Orte mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern.
78 Prozent der Fahrradfahrer fühlen sich in Gelsenkirchen unsicher
Damit nicht genug, auch andere Zahlen aus dem Tests sprechen eine deutliche Sprache: 78 Prozent der Befragten fühlen sich beim Radfahren in Gelsenkirchen nicht sicher. Das mache sich bei der Ampelführung für Biker sichtbar. Hier setzte es eine 5,1 als Note.
Maja Tölke kann diese Bewertung nachvollziehen. Sie ist ADFC-Ortsvorsitzende und kennt in Gelsenkirchen Kreuzungen, an denen Radler lange stehen und teilweise dreimal drücken müssen, ehe die Ampel auf Grün springt.
Die besten Bewertungen kassierte die Stadt bei der Bereitstellung von Mieträdern (3,2) und der verbesserten Beschilderung (3,5). Eine glatte 5 verteilten die Teilnehmer hingegen bei der Kontrolle von Falschparkern auf Radwegen – mangelhaft.
Tölke nennt ein weiteres Beispiel: Auf der Bismarckstraße gebe es einen Fahrradschutzstreifen. „Das ist an und für sich ein guter Ort für Radfahrer“, sagt sie. Doch der Streifen sei oft von Autos belegt.
Nun fordert Tölke ein „klares Bekenntnis der Stadt, das Fahrrad nach vorne zu bringen“.
Das tut die Stadt Gelsenkirchen für Fahrradfahrer
Die Stadt selbst kennt die Probleme. Wolfgang Heinberg, verkehrspolitischer Sprecher der Gelsenkirchener CDU, besuchte jüngst die Feldmarkstraße. Auf einem Streckenabschnitt zwischen Am Stadtgarten und der Hans-Böckler-Allee gibt es dort in beide Fahrtrichtungen keinen Radweg. Hier müssen Fahrradfahrer auf die Bürgersteige flüchten. Die Radler streiten mit den Fußgängern um den Platz. Diese „gefährliche Gemengelage“, so Heinberg, müsse „bearbeitet und verbessert werden“.
Der Politiker hatte erst vor wenigen Wochen erklärt: „Wir wollen Gelsenkirchen zu einer attraktiven, multimodalen Stadt machen.“ Das bedeutet: Es soll in der Zukunft idealerweise einen Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln geben, die die Einwohner nutzen: Auto, Bus, Fahrrad und Co.
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Beschlossen hat die Große Koalition, neue Fahrradbügel und Radschloss-Anlagen zu bauen sowie die Radwege besser zu beleuchten. Gerade entsteht zusätzlich der „Masterplan Mobilität“. Per Online-Befragung können Bürger an der Erstellung mitarbeiten.
Die Grünen fordern weitere Mittel für Radwege
„Wir merken, dass die Stadt etwas tut“, sagt Tölke dazu, „aber wir merken auch, dass nur kleine Brötchen gebacken werden.“ Will heißen: Aus Sicht des ADFC reichen die Bemühungen nicht aus. Die Opposition sieht das ähnlich.
Birgit Wehrhöfer, verkehrspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, sagt über den ADFC-Test und die städtischen Maßnahmen: „Wenn nur vier Prozent der Mittel, die für den Radverkehr zur Verfügung stehen, in den Bau neuer Radwege fließen, dann wird Gelsenkirchen auch in den nächsten Jahren Schlusslicht bleiben.“ Die Mittel für den Bau von sicheren Radwegen müssten laut Wehrhöfer erhöht werden, deutlich. Mutige und innovative Lösungen seien gefordert.
Warum es in Gelsenkirchen keine Pop-Up-Radwege gibt
Zum Beispiel Pop-Up-Radwege. Relativ schnell und unaufwendig können diese Wege auf- und wieder abgebaut werden. Einige Städte hatten solche Strecken im Zuge der Corona-Pandemie kurzfristig erbaut.
Die Gelsenkirchener „Fridays-for-Future“-Gruppe hat einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet und wollte Pop-Up-Radwege auf der De-la-Chevallerie-Straße, Hiberniastraße und Husemannstraße einrichten lassen. Das wurde abgelehnt. „Wenn wir Radwege anlegen, dann dauerhafte“, sagte SPD-Fraktionschef Axel Barton.
Die Ergebnisse anderer Revierstädte
Schlechter als Gelsenkirchen (4,3) schnitt Duisburg ab. Die Stadt bekam eine 4,5 als Gesamtnote. Essen, Bottrop und Bochum wurden derweil allesamt mit einer 4,2 bewertet.
Gladbeck und Oberhausen kassierten von den Testern eine 4,0, Dortmund eine 4,4 und Herne ebenfalls eine 4,3. Nachholbedarf beim Fahrradfahren gibt es für die Test-Teilnehmer somit überall im Revier.
Für Tölke eine vertane Chance. Es böten sich einige Straßen in der Stadt als Pop-Up-Radwege an.
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Bedeutung des Radfahrens ist während der Corona-Pandemie gestiegen
Verbesserungsbedarf gebe es auch bei der Nord-Süd-Verbindung. Um bequemer vom Rathaus in Buer zum Hans-Sachs-Haus in die südliche City zu gelangen, hat die Stadt vor kurzem zwei neue Routen ausgewiesen. Die eine Strecke führt größtenteils über die Adenauerallee, die andere verläuft westlicher durch Heßler.
„Das war nett gemeint“, findet Tölke, „aber ein positiver Effekt bleibt aus.“ Demnach lassen sich manche Streckenabschnitte nur schwer finden. Die beiden Routen umfassen zudem nicht den schnellsten Weg, sondern Umwege. „Ich habe noch niemanden getroffen, der diese Nord-Süd-Verbindungen super findet“, sagt Tölke.
Dabei, das zeigt der ADFC-Test, wird das Radfahren immer wichtiger. Im Corona-Jahr ist der Anteil von Freizeitradlern stark gestiegen. In Deutschland lässt sich ein Trend erkennen, den man getrost auf Gelsenkirchen übertragen kann: Bei 72 Prozent der hiesigen Test-Teilnehmer ist die Bedeutung des Radfahrens während Corona gleich geblieben oder gestiegen.
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