Gelsenkirchen. Hatte die Stadt Gelsenkirchener Firmen bei einem Luftfilter-Auftrag übersehen? Das Rathaus wehrt sich - aber informiert selbst nur lückenhaft.

Fast zeitgleich veröffentlichten am Mittwochabend die Großkoalitionäre der SPD und CDU sowie die Stadt Gelsenkirchen Pressemitteilungen, in denen vermeintliche „Skandalisierungen“ der Opposition und der WAZ skandalisiert, oder freundlicher ausgedrückt, kritisiert wurden.

Es geht um die Beschaffung von 192 Luftfiltergeräten für Gelsenkirchener Schulklassen im Wert von 660.000 Euro. Wie berichtet, hatten sich nacheinander zwei lokale Unternehmen gemeldet, die enttäuscht und irritiert darüber waren, nicht zumindest ein Angebot für die verkürzte Ausschreibung haben abgeben zu dürfen.

Zumal beide Firmen aufgrund ihrer Luftfilter-Produkte noch im Herbst in Kontakt mit der Stadt standen und behaupten, die Geräte deutlich günstiger anbieten zu können.

Gelsenkirchens Wirtschaftsförderungsdezernent ist verärgert

Fast wortgleich verbitten sich Stadt und GroKo nun in diesem Fall Kritik an der Verwaltung. „Ein seriöser Politikstil zeichnet sich unserer Meinung dadurch aus, zunächst mit der Verwaltung zu sprechen, anstatt über sie derart zu urteilen. Gerade in diesen Zeiten, in denen der städtische Zusammenhalt und das Vertrauen in Verwaltungsstrukturen gefordert sind, rufen wir daher einmal mehr zur Sachlichkeit auf. Anschuldigungen und Skandalisierungsversuche helfen unserer Stadt nicht weiter“, verlautbaren etwa SPD und CDU mit Blick auf die Kritik und die Aufklärungsforderungen der FDP, der Grünen und der AfD.

Wirtschaftsförderungsdezernent Christopher Schmitt lässt sich in der Mitteilung der Stadt gar so zitieren: „Es ist wirklich mehr als ärgerlich, dass derzeit der Eindruck erzeugt wird, dass die Stadtverwaltung die Gelsenkirchener Unternehmen nicht im Fokus habe. Ich hätte es als fair empfunden, wenn sich diejenigen, die nun harsche Kritik üben, vorher einmal die Mühe gemacht hätten, einen kurzen Faktencheck durchzuführen.“

Nun, zumindest für die WAZ gilt, dass sie die Pressestelle der Stadt zwei Mal – vor der ersten und der zweiten Berichterstattung – selbstverständlich um eine Stellungnahme gebeten hat. Die Stadt war es also höchstselbst, die zu der Frage, warum diese Gelsenkirchener Firmen nicht um ein Angebot gebeten wurden, tagelang einzig und allein erklärte, dass es sich um eine verkürzte Ausschreibung handele, dass etliche Angebote vorlägen und die Geräte bald geordert würden.

Kein Wort zu dem Vorwurf, die Stadt hätte die Gelsenkirchener Unternehmen schlicht nicht auf dem Schirm gehabt, woran sich letztlich die Kritik entzündete. Keine Antwort zu der Frage, ob Gelsenkirchener Unternehmen überhaupt gefragt wurden. Stattdessen lediglich Allgemeinplätze.

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Nun schicken SPD, CDU und Stadt vier Tage nach der ersten Anfrage ihre offenkundig untereinander abgestimmten Pressemitteilungen in die Umlaufbahn, in denen erstmals erklärt wird, dass die Stadt „selbstverständlich“ bestrebt sei, bei Ausschreibungen auch Unternehmen aus Gelsenkirchen einzubeziehen. Schließlich sei es ihre Aufgabe, die hiesige Wirtschaft zu fördern und zu stützen. Allerdings müssten die Produkte auch für die ausgeschriebenen Aufgaben entsprechend geeignet sein.

Angebotspalette Gelsenkirchener Unternehmen sei nicht ausreichend gewesen

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„Dies war hier laut Fachverwaltung leider nicht der Fall“, heißt es. So gebe es ganz bestimmte Anforderungen an die Luftreinigungsgeräte, etwa was die Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Luftaustauschrate und vor allem was die Lärmentwicklung angeht. „Diese Kriterien waren in der Angebotspalette der beiden Unternehmen nach den uns vorliegenden Informationen leider nicht alle erfüllt, so dass eine weitere Angebotsabfrage aus unserer Sicht keinen Sinn machte“, erläutert Stadtbaurat Christoph Heidenreich.

Im Übrigen sei es tatsächlich auch ein anderes Gelsenkirchener Unternehmen, das nach Lage der Dinge das beste Angebot gemacht habe.

GroKo und Stadt haben Recht.

Es liegt offenkundig ein Kommunikations- und Informationsproblem vor. Und zwar im Rathaus. Dort, wo man auf die Anfragen der WAZ hin die Sachlage richtig und ausreichend hätte erklären müssen.

Erst nach der Online-Veröffentlichung dieses Kommentars erklärt ein Sprecher, dass es rechtliche Gründe gegeben habe, in einem Vergabeverfahren, Details vor Abschluss des Verfahrens nicht benennen zu dürfen.

Außerdem wurde am Mittwochabend noch eine weitere Pressemitteilung der Stadt veröffentlicht, bei der die Verwaltung den Aussagen eines Gelsenkircheners widerspricht, pandemiebedingte Personalengpässe hätten dazu geführt, dass Baugenehmigungen für ein Altenheim erst mit großer Verzögerung erteilt worden seien. Selbstverständlich wurde die Stadt auch in diesem Fall vor der Veröffentlichung des Artikels von unserer Redaktion um eine Stellungnahme gebeten. Doch die Stadt reagierte nicht.

Stattdessen erklärt der Stadtsprecher wiederum nach der Online-Veröffentlichung dieses Kommentars, dass der zuständige Sachbearbeiter nicht früher hätte erreicht werden können, die selbe WAZ-Anfrage aber schon vor einem Monat beantwortet worden war. Das ist richtig und hätte der Redaktion selbst auffallen müssen.

Ein seriöser Informationsstil sieht aber anders aus, um es mit den Worten von SPD und CDU zu sagen.

**Dieser Kommentar wurde um 12.30 Uhr aktualisiert, nachdem ein Sprecher der Stadt Gelsenkirchen zu einigen Punkten darin Stellung nahm.