Gelsenkirchen. Ein Gelsenkirchener stirbt in seiner Sauna und wird wochenlang nicht gefunden: Welches Bild sich Tatortreinigern offenbart und wie sie vorgehen.

Dezember 2020, irgendwo in Gelsenkirchen. Die Nachbarn haben den über 60-jährigen Mann, nennen wir ihn Herrn K., schon länger nicht mehr gesehen. Herr K. wohnt allein in dem Haus, dessen Keller er zu einem großräumigen Wellnessbereich mit Sauna umgebaut hat. Sein Sohn ist längst erwachsen und lebt in den USA. Niemand vermisst ihn, niemandem fällt etwas auf.

Als sich die Post im Briefkasten stapelt und es seit Wochen kein Lebenszeichen von Herrn K. gibt, macht sich bei einem seiner Nachbarn Unruhe breit. Die beiden leben nicht nur in derselben Nachbarschaft, sie sind auch seit über 35 Jahren befreundet, waren schon unzählige Male zusammen im Urlaub. Der Nachbar beschließt also, im Haus von Herrn K. nachzusehen. Als er die Sauna betritt, bestätigen sich seine schlimmsten Vermutungen: Herr K. ist tot.

Leiche hinterlässt schon nach kurzer Zeit Spuren

Der Raum ist etwa 20 Quadratmeter groß, hat drei Meter hohe Decken. Auf der linken Seite befindet sich eine kleine Massage-Liege. Herr K.s Leiche liegt auf der höchsten Etage der mehrstöckigen Sauna, die er hat einbauen lassen. Findet man einen toten Körper nach längerer Liegedauer auf – und das ist hier der Fall –, dann ist das ein Schock. Der Körper verändert sich, löst sich auf, sondert Flüssigkeiten ab und ist nach gar nicht allzulanger Zeit nicht mehr wiederzuerkennen. Längst hat der Tote Spuren am Ort seines Ablebens hinterlassen.

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An dieser Stelle kommen die Mitarbeiter der Firma „Akut SOS Clean“ ins Spiel. Marcell Engel ist Geschäftsführer der Reinigungsfirma mit Anlaufstellen in ganz Deutschland – unter anderem in Gelsenkirchen –, die sich neben klassischer Desinfektion, Geruchsneutralisation und Schädlingsbekämpfung auf Tatortreinigung spezialisiert hat.

Fall in Gelsenkirchen: Sauna läuft weiter und sorgt für schnellen Verwesungsprozess

Schnell ist klar: Selbst für geübte Tatortreiniger ist dieser Fall eine besondere Herausforderung. „Während der Mann tot da lag, lief die Sauna durchgängig weiter“, schildert Engel. Was zur Folge hatte, dass die Leiche buchstäblich weggeschmolzen sei. „Der Körper hatte sich zu einer schwarzen Biomasse verformt, die Beine und Füße waren gerade noch erkennbar.“

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Aber das ist nicht alles: Die gelbliche, ölige Leichenflüssigkeit ist von der obersten Saunaebene heruntergelaufen und bedeckt nun den gesamten Steinboden. Noch dazu ist sie tief in das Holzmaterial der Sauna eingedrungen. Und: Polizei, Feuerwehr oder Rettungskräfte haben bereits Fußstapfen hinterlassen und die Leichenflüssigkeit bei ihrem Einsatz unfreiwillig in weiteren Teilen des Hauses verteilt.

Besonders der Leichengeruch ist hartnäckig

Für die Tatortreiniger beginnt die Arbeit, sobald die Leiche abgeholt worden ist. Zunächst müssen sie den Ort des Geschehens mit einer Scheuer- und Wischdesinfektion behandeln. Reinigung mit starken Peroxiden, Schädlingsbekämpfung, Auftragen von speziellen Geruchsneutralisationsmitteln – all das gehört dazu. Geschützt sind sie in der kontaminierten Umgebung mit speziellen Anzügen und Atemschutzmasken.

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Den Raum „geruchsneutral und sauber“ zu bekommen, das ist das Ziel der Operation. Dabei ist vor allem die Geruchsneutralisation „eine echte Kunst für sich“ ist, wie Engel es formuliert. Der süßliche Leichengeruch verteilt sich überall im Raum, kriecht in Wände und Decken. Er ist ohnehin schon penetrant, und in diesem Fall hat die warme Saunaluft hat ihr übriges getan. Die Sauna an sich ist indes nicht mehr zu retten: „Die konnten wir nur noch abbauen und in die Müllverbrennungsanlage bringen“, so Engel.

Effekt der Corona-Pandemie: Leichen bleiben länger unentdeckt

Engel erlebt Fälle wie diesen zuletzt immer häufiger: „Das ist leider eine Nebenwirkung der Corona-Pandemie. Menschen sterben unbemerkt und werden lange Zeit nicht gefunden.“ Je länger die Liegezeit, desto verstörender ist das Bild, dass sich schließlich demjenigen bietet, der den Toten findet. Im Fall von Herrn K. geht man von dreieinhalb Wochen aus. Durch die Wärme habe sich der Körper aber in einem Verwesungszustand befunden, der normalerweise erst nach vier Monaten eintritt, erklärt Engel.

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So wird man Tatortreiniger

Tatortreiniger ist kein klassischer Ausbildungsberuf. Viele in diesem Job sind Quereinsteiger und haben zuvor etwa als Desinfektoren oder Schädlingsbekämpfer gearbeitet.

Die Firma Akut SOS Clean will künftig im Rahmen einer Online-Akademie Desinfektoren ausbilden. Unter Einbeziehung der Industrie- und Handelskammer kann man sich dann dort in 50 Stunden zum Desinfektor ausbilden lassen.

Voraussetzung sind körperliche Gesundheit, Fitness und Kondition – denn die Masken erschweren das Atmen und der gut isolierte Schutzanzug sorgt für verstärktes Schwitzen.

Engel hat persönlich hat mit K.s Nachbarn gesprochen. „Der war fix und fertig“, erinnert er sich. „Es ist an sich schon ein Schock, eine völlig entstellte, verweste Leiche zu finden – und wenn es jemand ist, zu dem man eine persönliche Beziehung hat, ist es umso schlimmer.“ Es sind Momente wie diese, in denen der Tatortreiniger auch als Tröster fungieren muss.

Tatortreiniger versucht, Angehörigen Kraft zu geben

„Mir gehen die Fälle immer sehr nahe“, sagt Engel. „Ich habe in meinen 27 Jahren als Tatortreiniger Tausende von Geschichte gehört, nicht selten wurde am Telefon herzzerreißend geweint.“ Er versuche dann, eine Art Energietankstelle für die Angehörigen und Freunde zu sein: „Auch wenn es sich stereotyp anhört: Bevor der Tote verstorben ist, haben sie viele glückliche Jahre gemeinsam verbracht. Ich versuche, ihnen klarzumachen, dass ihnen das keiner nehmen kann.“