Gelsenkirchen. Kaan Ön und Robin Scholz aus Gelsenkirchen sind professionelle Schrauber und Tuning-Fans. Wie sie ticken, was sie antreibt. Ein Einblick.
Autoposer, Raser und illegales Tuning sind deutschen Städten mehr und mehr ein Dorn im Auge. Auch in Gelsenkirchen. Polizei und Verwaltung bekämpfen die Szene mit ihren hochgezüchteten PS-Boliden verstärkt mit Kontrollen und Sperrungen – etwa am Amphitheater oder am Quartier Graf Bismarck.
Tempo hundert in unter vier Sekunden, Spitze 330 Stundenkilometer
Kaan Ön (25) und Robin Scholz (21) sind Freunde, aus Gelsenkirchen und ebenso professionelle Schrauber wie leidenschaftliche Tuning-Fans. Die Gesichter der beiden PS-Profis kennen allerdings nicht viele – eher schon ihre Autos, insbesondere das lila Geschoss Öns. Ein BMW M4 mit gut 510 PS, der aus dem Stand keine vier Sekunden braucht, um die 100er-Marke in Schall und Rauch aufzulösen. Spitze: 330 km/h. Der metallic-blaue Mini Copper S seines Kumpels kommt immerhin auf gut 200 Pferdestärken. Mit etwas mehr als sechs Sekunden kaum langsamer – zumindest für Otto-Normalverbraucher.
Bei dem Duo ist Kaan derjenige, bei dem die „Faszination für High-Tech“ dominiert, Robin ist mehr der „Geschwindigkeitsjunkie“. Das Credo ihrer Szene beschreiben sie so: „Wenn frei ist, wird Gas gegeben.“
Infiziert wurden die Gelsenkirchener, als sie mit unter 20 zu einem Tuning-Treff „einfach mal mitgefahren sind“. Heute sind der Wall in Dortmund, das Stahlwerk Oberhausen, D&W an der A40 in Bochum oder auch das Amphitheater so etwas wie ihr zweites Wohnzimmer an Wochenenden. Ihnen gleich tun es Kaans Schätzung nach „allein aus Gelsenkirchen 1000 Gleichgesinnte mit ihren Fahrzeugen“.
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„Bars, Cafés, Clubs und Diskotheken sind ja zu, da bleibt in der Corona-Pandemie nicht mehr viel, wo man Freunde treffen kann“, berichten Kaan und Robin. „Oder Frauen“, das aber gelte mehr für die anderen, sie seien ja fest liiert.
Stärkstes Tuning-Auto bisher: Ferrari mit über 1000 PS
Tuning kann teuer werden. 20.000 Euro für einen Satz Reifen mit Felgen sind keine Seltenheit, 10.000 Euro für eine Abgasanlage ebenso. Den teuersten Umbau, den Kaan Ön bisher gemacht hat, war ein Nissan GTR für 50.000 Euro. Das bislang PS-stärkste Fahrzeug, das die XXX-Werkstatt verlassen hat, war ein Ferrari 488 GTB mit über 1000 PS.
Apropos Geld: Auch da unterscheiden sich die Tuning-Fans. Normal Werktätige mit durchschnittlichem Einkommen bauen sich meist Stück für Stück einen Gebrauchtwagen auf. Andere nutzen das teure Fahrzeug der Eltern. Und wiederum andere leasen ein Fahrzeug: Ein Mercedes AMG C63 (neu ab 64.000 Euro, 379 bis 510 PS) ist monatlich ab 499 Euro zu haben. Dafür wird auf die eigene Wohnung verzichtet, werden die Kosten für den Oder kurzerhand über das Wochenende gemietet.
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Frauen? „Ja“, sagt Kaan Ön ohne Umschweife. „Nicht wenige von denen, die zu den Treffen kommen, verbinden die teuren Autos mit der Aussicht auf eine gute Partie.“ Wobei es sicher auch echte weibliche Tuning-Fans gebe.
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Ein verschlossener Kosmos, geteilt in viele Lager
Folgt man den Ausführungen von Kaan Ön und Robin Scholz, so ist die Szene keineswegs ein homogener Kosmos, wohl aber ein verschlossener. Reinkommen ist nicht so einfach. Schon gar nicht in die WhatsApp-Gruppen, über die man sich verabredet und kurzfristig trifft. Zum Leidwesen der Polizei, weil „sich die Treffen so blitzartig verlagern können“, wenn die Ordnungsmacht auftaucht.
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„Es gibt ganz unterschiedliche Lager“, erklären Ön und Scholz. Da sind beispielsweise jene, die bei solchen Treffen über Technik und Teile fachsimpeln, die die Leistung und Optik nach vorne katapultieren, voneinander abschauen und sich Rat bei erfahrenen Schraubern holen. Da sind aber auch die, die „Welle schieben“, auffallen wollen und vom Konkurrenzgedanken, der Beste zu sein – schneller Fahrer, schnelles Auto – reichlich angefressen sind. Burnouts, Beschleunigungsduelle und knallende Fehlzündungen, die in Häuserschluchten besonders effektiv klingen, sind oft die Folge.
Bundesliga-Profis lassen sich vom Gelsenkirchener Kaan Ön die Autos veredeln
„Bei Rennen bin ich raus“, sagt Kaan, „das war früher einmal“. Dazu muss man wissen: Ön ist preisgekrönter Kfz-Meister und führt zwei Werkstätten, eine in Gelsenkirchen und eine in Herten. Vor allem Öns XXX-Performance-Ableger an der Zeche Ewald in Herten hat sich bei Tuning-Fans einen exzellenten Ruf erarbeitet. Namhafte Bundesliga-Profis lassen hier ihre Fahrzeuge veredeln. Der Gelsenkirchener hat die seit Jahren etablierte Tuning-Schmiede Anfang des Jahres übernommen.
Beim Besuch am Donnerstag prangten mindestens zwei prominente Namen auf ultrabreiten Pneus auf funkelnden Alufelgen.
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Öns Azubi Robin ist noch nicht so weit, er schwärmt von geplanten Kurvenrennen in Finnland und Frankreich. „Auf 2000 Metern Höhe, die Straße am Rand ohne Befestigung, Adrenalin pur.“ Da müsse man schon ordentlich fahren können.
Gelsenkirchener Tuner: Rennen nur an abgelegenen, gesperrten Plätzen, wo keine Gefahr droht
Was aber ist mit Unfällen? „Wer sich zerlegt, hat selbst schuld“, kommt es den Twens prompt über die Lippen. Und was, wenn Unbeteiligte zu Schaden kommen? Erst vor ein paar Tagen hat es in Berlin zwei Tote nach einem illegalen Straßenrennen gegeben. „Rennen nur auf abgelegenen, gesperrten Plätzen, damit niemand gefährdet wird“, sagt der 25-jährige Gelsenkirchener.
Seine Haltung begründet der Auto-Experte damit, dass es die Szene schon seit Jahren gebe und die Treffen, zumeist abseits gelegen, lange niemanden gestört hätten. „Die Exzesse einiger weniger haben dann dazu geführt, dass Polizei und Stadt die Treffpunkte aufgelöst haben. Öns Forderung daher: „Wir brauchen eine Plattform, wo wir uns ungestört treffen können.“
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