Dortmund. Hunderte aufgemotzter Autos hielten am Wochenende die Dortmunder Polizei in Atem. Im Lockdown nutzt die Szene den Wall zum “Daten“.

Die Kneipen haben zu, die Clubs sowieso, wo sollen sie also hin, die jungen Männer mit dicken Autos, wenn sie im Szeneviertel nicht mehr vorfahren können? Am Wochenende kurvten sie wieder um die Dortmunder Innenstadt; der dortige Wallring etabliert sich im Lockdown als Treffpunkt. Die Polizei will das nicht hinnehmen: Das Verhalten von Rasern und Posern sei „gefährlich und verboten“.

Mehr als 700 aufgemotzte oder mindestens PS-starke Wagen zählten die Beamten in der Nächten zwischen Freitag und Sonntag auf dem Wall. Die Fahrer hupten und spielten laute Musik, sie fuhren Rennen und ließen Reifen quietschen. Die Polizei spricht von „illegalen Beschleunigungsrennen, erheblichen Verkehrsgefährdungen und -beeinträchtigungen, massivsten Lärmbelästigungen zur Nachtzeit, Vermüllung – etwa mit leeren Flaschen -- und Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung“.

"Wo gibt es die besten Perlen?"

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Denn das ist neu in der Pandemie. Zwar kämpft Dortmund seit Jahren gegen die Raser- und die illegale Tuningszene, die nicht nur bis zu acht Fahrbahnen nutzt, sondern auch die Parkstreifen als Boxenstopp – doch im Lockdown hat sich das Problem massiv verstärkt: Junge Männer, die meisten nicht allein im Auto, nutzen den Wall als Partyersatz und als Treffpunkt mit Frauen. Szenekenner berichten von verstärktem Zulauf seit dem ersten Lockdown. „Wo gibt es die besten Perlen, die besten Autos, die beste Show?“, fragt ein Polizeisprecher sarkastisch und weiß die Antwort: Dortmund.

Schon gilt der Wall als Alternative für Discos, für das schnelle Date fährt Mann zum Wall, das Netz prägte schon einen Namen dafür, in Anlehnung an den eines Flirtportals: „Blech-Tinder“. Die Fahrer heißen entsprechend „Dater“ und kommen teils von weit her. Tatsächlich zählten die über hundert Polizisten an den vergangenen Wochenenden auffallend und zunehmend viele Frauen in der Dortmunder City. Dabei beschränkt sich das Daten nicht mehr „nur“ auf die warme Jahreszeit, eröffnet traditionell mit dem „Car-Freitag“. In Corona-Zeiten trifft sich die Szene auch im Winter; der Motor – und damit die Heizung – läuft ja ohnehin.

Hupen und Heulen der Motoren: "An Schlaf ist nicht zu denken"

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Vom späten Abend bis kurz vor fünf Uhr morgens wurde das PS-starke Stell-Dich-Ein an den vergangenen Wochenenden gefeiert, „an Schlaf“, sagt ein Polizeisprecher, „ist für die Anwohner nicht zu denken“. Sie lassen die Notrufleitungen seit Wochen nicht stillstehen, viele schrieben zuletzt Briefe an die Polizei. Wegen der Innenstadt-Lage ihrer Wohnungen zahlen sie hohe Mieten, finden aber an den Wochenenden keine Ruhe mehr.

Dem WDR erklärten Teilnehmer am Samstag, die Faszination des Raser-Treffens: Man könne ja „sonst nichts machen“ im Lockdown, sei eingesperrt, kriege Depressionen – und müsse „mal frische Luft schnappen“. Im Video sind Hunderte Autos zu sehen, die an den Sperren vorbeischleichen, sind Hupen zu hören, auf einem Abschleppwagen steht ein silberner Sportwagen.

Achtung: "Die Polizei fährt mit" - auch an den kommenden Wochenenden

Nicht nur die Ordnungskräfte beobachten aber, dass auch Bußgelder oft nicht helfen: Mancher muss Dortmund zu Fuß verlassen, zahlt mehrere Hundert Euro, bekommt Punkte und muss auch für die Folgekosten aufkommen – und ist trotzdem eine Woche später wieder da. Inzwischen gibt es offenbar sogar Regeln für die Wallfahrt: Wer innen fährt, wissen Insider, will cruisen, wer außen rollt, will rasen. „Ampelgespräche“ dienen der Kontaktaufnahme. Doch die Polizei fährt mit: „Wir können und wollen das nicht hinnehmen“, sagt ein Sprecher. Er kündigt schon jetzt an: „Die Polizei fährt mit.“

Oder besser: Sie hält an. Sperrte am Wochenende Spuren, stoppte Wagen, kontrollierte, zog aufgemotzte Exemplare aus dem Verkehr. Zwischenzeitlich machte sie den Verkehr einspurig, aus dem Stau heraus aber wurden die Beamten „beschimpft und bespuckt“. Trotzdem bleiben sie hartnäckig: „Wir müssen, sagt der Sprecher, „den fließenden Verkehr zum Erliegen bringen.“

Bußgelder halten viele Fahrer nicht auf

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Fünf PKW wurden sichergestellt, weil die technischen „Anpassungen“ nicht zu den Papieren passten: „Verdacht auf Erlöschen der Betriebserlaubnis“. Ein Führerschein wurde kassiert, mehrere Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung wurden moniert, über 160 Personen erhielten Platzverweise.

In der Nacht zu Samstag musste die Polizei einen Mann sogar festnehmen: Er machte seinem Unmut über die polizeilichen Maßnahmen allzu deutlich Luft. Fuhr mehrfach an mit quietschenden Reifen, leistete Widerstand und verbrachte die Nacht schließlich im Gewahrsam. Zudem gab es zwei Unfälle mit Blechschaden, etwas Schlimmes passiert ist nicht.

Das aber, das ist das wesentliche Anliegen, soll auch so bleiben. Man brauche einen langen Atem, heißt es bei der Polizei. Bislang hat es in Dortmund keine tödlichen Unfälle im Zusammenhang mit der Szene gegeben. „Wir wollen“, sagt der Sprecher, „keine Verkehrstoten in Dortmund!“

>>INFO: RENNEN AUF EINEM PARKPLATZ

Die Raser treffen sich in Dortmund nicht nur nachts: Am Sonntag wurde ausgerechnet ein Polizeibeamter Zeuge eines illegalen Rennens. Nicht auf dem Wall, sondern auf dem Parkplatz eines Supermarktes fuhren kurz nach Mitternacht in der Nacht zu Montag zwei Wagen mit hohem Tempo auf den Fußgänger zu. Einer musste eine Vollbremsung machen, um den Polizisten nicht zu erfassen. Der sprang zur Seite. Einer der Fahrer konnte unerkannt entkommen, der andere, ein 19-Jähriger aus Hamm, wurde wenig später erwischt – auf dem Wall.