Gelsenkirchen. Die Ansiedlungen von Firmen hat in Gelsenkirchen Fahrt aufgenommen. Über Chancen und Probleme bei der Vermarktung von Gewerbeflächen.

Freie Gewerbeflächen im Ruhrgebiet sind rar und deshalb heiß begehrt. Umso mehr freut sich die Stadt über Neuansiedlungen in diesen ausgewiesenen Quartieren – beispielsweise über Bilstein am Schalker Verein, Pilkington an der A42 oder das Headquarter der Stölting-Group im Stadtquartier Graf Bismarck.

Die Zugänge rufen aber auch Kritik aus der Bürgerschaft hervor. Der jüngste Vorwurf: Immer mehr Logistik-Firmen, der zunehmende Lkw-Verkehr dadurch belaste die Stadt. Stimmt das? Und wie viele Flächen sind oder werden noch perspektivisch frei – die WAZ hat nachgehakt bei der Wirtschaftsförderung.

Logistik-Anteil in Gelsenkirchen beträgt rund sechs Prozent

„Logistiker haben einen Anteil von lediglich rund sechs Prozent an den sozialversicherungspflichtigen Jobs beziehungsweise an der Gesamtzahl der hiesigen Unternehmen“, sagt Gelsenkirchens oberster Wirtschaftsförderer Christopher Schmitt. Macht 6579 Mitarbeiter in der Logistik-Branche vor Ort. Insofern träfe der Vorwurf nicht zu.

Dabei hätte man wesentlich mehr Logistik-Firmen in die Stadt holen können, „denn die Nachfrage war und ist enorm“. Beispielsweise hatte sich ein Autoaufbereiter für das heutige Bilstein-Areal an der Europastraße stark interessiert. Eine fünfstellige Zahl an Autos, also ein immens hoher Flächenverbrauch, 18,7 Hektar, hätte aber nur zehn neuen Arbeitsplätzen gegenübergestanden. Daher das Nein der Wirtschaftsförderung. Die Bilstein Group baut auf 187.000 Quadratmetern Fläche im ersten Bauabschnitt einen 45.000 Quadratmeter großen Hallenkomplex. Und schafft damit im ersten Aufschlag 160 neue Arbeitsplätze – mit Potenzial für 800 Jobs.

4320 neue Arbeitsplätze innerhalb von drei Jahren in Gelsenkirchener Gewerbegebieten

Die Zahl neuer Arbeitsplätze ist also ein gewichtiger Faktor bei der Entscheidung, wer den Zuschlag erhält. „Wir haben in jüngerer Zeit so 4320 neue Arbeitsplätze in Gelsenkirchen geschaffen durch Neuansiedlungen oder Standortvergrößerungen“, betont die Wirtschaftsförderung mit Blick auf den Zeitraum 2017 bis 2020. 2545 Jobs sind dadurch gesichert worden.

+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Gelsenkirchen verpassen? Dann können Sie hier unseren kostenlosen Newsletter abonnieren +++

Die reale Zahl dürfte allerdings höher liegen, denn nicht alle hinzugestoßenen Firmen haben Auskunft über neu geschaffene Arbeitsplätze gegeben.

Gelsenkirchen verfügt über ein Gewerbeflächenpotenzial von 219 Hektar

Und es dürften künftig mehr Arbeitsplätze werden, denn es sind noch einige Grundstücke frei. „33,7 Hektar, also 337.000 Quadratmeter, stehen kurzfristig als Gewerbefläche zur Verfügung“, sagt Christopher Schmitt (siehe Tabelle 1).

Mittel- bis langfristig, die Rede ist dann von Zeiträumen von zwei bis etwa fünf Jahren, sind es 219 Hektar (2,19 Millionen Quadratmeter, siehe Tabelle 2). 128 Hektar entfallen dabei auf sogenannte GI-Flächen, 79 auf GE-, 9 auf SO- und 3 auf MI-Flächen.

GI-Flächen erlauben vereinfacht erklärt die Ansiedlung von Betrieben mit Drei-Schicht-Betrieb und GE-Flächen von Zwei-Schicht-Betrieb. In Mischgebieten (MI) wie etwa in Graf Bismarck darf das Gewerbe die Anwohner nicht zu stark in ihrer Lebensqualität beeinträchtigen. Sondergebiete (SO) müssen in Art und Nutzung klar definiert werden, der Schalker Arena-Park mit seinen Dienstleistern zählt dazu.

Hürden für Kommunen wie Gelsenkirchen: Fehlende Förderrichtlinien

Die hohe Zahl an GI-Potenzialflächen - in der Summe 128 Hektar - darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis zur Neuansiedlung von Firmen dort noch einige Hürden zu nehmen sind. Beispielsweise läuft das Uniper-Kraftwerk Scholven noch bis 2022.

Zwar will der Bund den vom Kohleausstieg betroffen Kommunen neue Perspektiven eröffnen und die fünf Standorte von Steinkohlekraftwerken Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm, Herne und den Kreis Unna bis 2038 mit maximal 662 Millionen Euro unterstützen. „Noch aber fehlen dazu die Förderrichtlinien“, erklärt Christopher Schmitt, „die die künftige Nutzung zu beschleunigen helfen“. Trotzdem oder gerade deshalb „arbeiten wir gerade an einem Handlungskonzept für Wirtschaftsflächen“.

Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung: Angst der Banken vor Ewigkeitslasten

Die Vermarktung von Gewerbeflächen braucht Geduld und Ausdauer. So äußert der Referatsleiter der Wirtschaftsförderung, Rainer Schiffkowski, am Beispiel Chemische Schalke an der A42, dass er mit seinem Team seit dem Jahr 2004 bis zur Ansiedlung von Pilkington in 2017 mit knapp 80 ansiedlungswilligen Unternehmen verhandelt und bereits zahlreiche Notartermine vereinbart hatte. Trotz der Zusicherung des Landes, die dortige Grundwassersanierung als Ewigkeitslast zu übernehmen, haben Banken die Finanzierung der Unternehmensansiedlungen letztlich abgelehnt.

Nicht selten hemmen Paragrafen den Zugriff auf Gewerbeflächen. Die begehrte Zuschussförderung fließt beispielsweise bei kleinen und mittleren Unternehmen nur, wenn sie ihren überwiegenden Umsatz in einem Umkreis von 50 Kilometern außerhalb des Standortes Gelsenkirchen einfahren. Eine Regelung, um strukturschwache Städte und Regionen zu fördern.

Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Gelsenkirchen in unserem Newsblog

Lesen Sie mehr Geschichten aus Gelsenkirchen

Oder folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook