Gelsenkirchen. Das Fest der Familie feiern – im Corona-Jahr ist das für Kinder aus Heimen besonders kompliziert. Ein Besuch im Gelsenkirchener St. Josef-Haus.
Klara* wird am Freitag 18 Jahre alt. Dass sie diesen so besonderen Geburtstag nicht mit den Eltern oder auch nur einem der beiden feiern kann, ist nicht leicht, aber das ist ihr schon lange klar. Klara lebt seit März 2019 im Kinderheim von St. Augustinus an der Husemannstraße, ebenso wie vier ihrer sechs Geschwister.
Die Väter der siebenköpfigen Kinderschar kümmern sich ebenso wenig um sie wie die Mutter, die ohne Ankündigung und ohne Abschied fortgezogen ist. Doch bisher waren die Kinder einander ein großer Trost.
Kontakte nur innerhalb der eigenen Wohngruppe
Die fünf Geschwister leben in der Kinder- und Jugendeinrichtung zwar altersentsprechend in verschiedenen Gruppen, aber bis Corona alles veränderte, konnten sie einander wenigstens täglich sehen, konnte Klara den „Kleinen“ jeden Abend eine gute Nacht wünschen.
Das ist zur Zeit nicht erlaubt: Der Infektionsschutz gestattet Kontakte nur innerhalb der Wohngruppe. Ein Zustand, unter dem alle Fünf leiden, den zu ändern allerdings nicht in der Macht der Heimleitung liegt. Zum Geburtstag soll es wenigstens ein Skype-Treffen geben, wobei auch die beideren jüngsten Brüder, Nils* (4) und Jan* (5), die derzeit in einer Essener Einrichtung leben, zugeschaltet werden sollen.
Es ist eigentlich eine gute Nachricht, die dennoch schwer auszuhalten ist für die Geschwister, wie der Integrationspädagoge und Gruppenleiter Christian Henke weiß: Die Nesthäkchen in Essen werden bald aus dem Heim in eine Pflegefamilie wechseln. Wie dann Kontakt gehalten werden kann, ist schwer abschätzbar, aber es ist nicht unmöglich. Das gilt auch für die Besuche zu Weihnachten.
Sorgen um die kleinen Brüder
Nach jetzigem Stand der Corona-Regeln dürften zwar zumindest die fünf in Gelsenkirchen lebenden Geschwister den Heiligen Abend gemeinsam verbringen. Aber denkbar ist eben auch, dass bis dahin strengere landesweite Regeln gelten.
Das würde auch den übrigen 106 Bewohnern einen Strich durch die Weihnachtsplanung machen. Fast ein Drittel von ihnen möchte und darf nach jetzigem Stand zu Weihnachten die Familie beziehungsweise Teile der Familie besuchen.
Das ist schon ohne Corona kompliziert zu regeln, wenn die Eltern getrennt sind, was hier eher Regel denn Ausnahme ist. Doch in Coronazeiten muss Heimleiter Matthias Hommel im Blick haben, wer beim Familienbesuch seiner Schützlinge noch alles anwesend sein wird.
Quarantäne in der Wohngruppe – Wie geht das?
„Wenn wir wissen, dass bei dem Weihnachtsbesuch auch noch drei weitere Familien dabei sind, Corona-Regeln gar nicht eingehalten werden können, dann dürfen wir das nicht genehmigen“, bedauert er. „Wir müssen immer abwägen zwischen dem emotionalen und gesundheitlichen Wohl der Kinder. Und in solchen Fällen müssen wir eben auch die Verantwortung für die Gesundheit unserer anderen Bewohner und Mitarbeiter im Blick haben.“
Noch kein Bewohner erkrankt
Von den 111 derzeitigen Bewohnern der Einrichtung war bislang noch niemand an Covid-19 erkrankt. Unter den 90 Mitarbeitern gab es allerdings Einzelfälle, inklusive Heimleiter. Matthias Hommel ist aber glimpflich davon gekommen, wie er sagt: „Ich hatte nur einen leichten Verlauf. Dass ich niemanden im Haus angesteckt habe, ist für mich das Wichtigste, da bin ich sehr froh.“
Im 1887 als Waisenhaus gegründeten St. Josef-Haus an der Husemannstraße leben die Heranwachsenden in Gruppen von sieben bis zehn Kindern zusammen, aufgeteilt in drei Altersgruppen. Hinzu kommen Außenwohngruppen mit verschiedensten (auch therapeutischen) Schwerpunkten sowie weitere Angebote.
In Quarantäne waren schon mehrere Kinder aus verschiedenen Gruppen im Haus, wegen Covid-19-Fällen in der Schule. Quarantäne in der Wohngruppe? Wie geht das? „Das ist nicht einfach, aber es geht. Und es ist leichter geworden. Anfangs durften Betroffene das Zimmer nicht verlassen, bekamen möglichst ein eigenes Bad. Dann hieß es: Die Kinder dürfen nicht isoliert werden. Das ist jetzt für uns auch leichter machbar, weil wir dank unserem Träger St. Augustinus und dessen Krankenhäusern gut mit Schnelltests ausgestattet sind.
Wer einen negativen Schnelltest hat, darf sich in der Gruppe frei bewegen unter Einhaltung der Regeln. Das ist sehr hilfreich. Überhaupt profitieren wir bei der Ausstattung mit Hygieneartikeln und Schutzkleidung sehr von unserem Träger“, bekennt Hommel.
Manches ist für Jugendliche im Heim leichter als in der Kleinfamilie im Lockdown
Gruppenleiter Christian Henke hat beobachtet, dass es für manchen Jugendliche im Heim jenseits von Weihnachten sogar leichter ist, durch die Zeit der Beschränkungen zu kommen. Weil die Heranwachsenden sich hier mit Altersgenossen austauschen können, was manches Einzelkind im Lockdown eben nicht konnte.
Elternbesuche laufen derzeit in aller Regel unter freiem Himmel, bei schlechtem Wetter gibt es aber auch einen Besuchsraum. Und auch Sport treiben ist am Haus möglich: Dank dem von den Schalker Ultras spendierten, nagelneuen Kunstrasenplatz neben dem Haus. Hier soll auch der Wortgottesdienst an Heiligabend abgehalten werden.
* Namen von der Redaktion geändert
- Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Gelsenkirchen in unserem Newsblog
- Folgen Sie der WAZ Gelsenkirchen auf Facebook