Essen. Dass er im Kinderheim sexuell misshandelt wurde, steht fest. Jetzt klagt der 68-Jährige, dass das Gerichtsverfahren so lange dauerte.

Friedhelm Münter ist ein zäher Kämpfer, hat seine Opferrolle aus der Zeit in einem evangelischen Kinderheim bei Werl längst überwunden. Neun Jahre hat es gebraucht, bis das Landessozialgericht NRW (LSG) in Essen anerkannt hat, dass er von 1956 bis 1966 im Heim Westuffeln von einem Diakon misshandelt und sexuell missbraucht worden ist. Jetzt will er eine finanzielle Entschädigung vom Land NRW, weil dieses Verfahren aus seiner Sicht "viel zu lange gedauert hat".

Am Mittwoch entspricht der 11. Senat des LSG der von seiner Rechtsanwältin Ulrike Muhr erhobenen Forderung nur zu einem kleinen Teil. 300 Euro bekommt er. Der Essener Friedhelm Münter hatte 9600 Euro gefordert, weil aus seiner Sicht acht Jahre des Verfahrens unnötig gewesen seien. 1200 Euro pro Jahr der gerichtlichen Untätigkeit billigt § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes den Opfern "überlanger Gerichtsverfahren" zu.

Erfolg bei der Anerkennung als Opfer

Am 20. Oktober 2017 endete das Verfahren um seine Anerkennung als Opfer vor dem LSG mit einem Erfolg. Am 7. März 2018 hatten Münter und Anwältin Muhr Klage auf Entschädigung wegen des langen Verfahrens eingereicht. Seitdem sind auch schon wieder zweieinhalb Jahre vergangen. Immerhin hat der 11. Senat in dieser Zeit geprüft, wie schnell Münters Fall zunächst am Sozialgericht in Münster und dann in der Berufung am LSG in Essen bearbeitet wurde.

Der 11. Senat kommt in seiner Prüfung jetzt auf drei Monate Untätigkeit des Sozialgerichtes in Münster. Es hatte den Fall in erster Instanz von 2008 bis 2013 bearbeitet und Münter die Anerkennung als Opfer verweigert. In zweiter Instanz am 13. Senat des LSG erkannte der 11. Senat keine Untätigkeit.

483 Euro Rente als Opfer von Misshandlungen

Tatsächlich hatten die Essener Richter eine umfangreiche Beweisaufnahme mit Zeugenbefragungen durchgeführt. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe erkannte deshalb im Vergleich eine Schädigung von 60 Prozent Münters durch das Kinderheim an. 483 Euro Rente bekommt er dadurch monatlich. "Ein Witz für das, was die mir in Westuffeln angetan haben", sagt Münter.

Am Mittwoch wiederholt Münter vor dem LSG, was er erlitten hat. Richter Ulrich Freudenberg kürzt das ab: "Hier geht es heute nur und ausschließlich um die Frage, ob das Verfahren überlang war. Es geht nicht um Ihr schreckliches Schicksal."

Diakon wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt

Aber es erlaubt natürlich heute einen Blick, was Friedhelm Münter in seiner Kindheit erleiden musste. Mit vier Jahren war er in das evangelische Kinderheim Westuffeln bei Werl gekommen. Betreut wurde es innerhalb der Kirche durch die "von Bodelschwinghschen Anstalten" in Bielefeld-Bethel. Nachdem er 1956 als Vierjähriger in das Heim gekommen war, erlebte er bis 1966 nicht nur üble Heimeltern, sondern ganz konkret auch einen besonders schlimmen Diakon, der als Erzieher nach Westuffeln kam und später auch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt wurde.

Auf der Homepage des immer noch existierenden Kinderheimes Westuffeln lässt sich diese schreckliche Zeit in der Geschichte der Einrichtung nachlesen: "Anstelle von Wertschätzung, Schutz, menschlicher Zuwendung und Wärme gab es Prügel, Angst und Schrecken. Die Folgen waren für ihr weiteres Leben oft prägend und eine schwere Last." Und weiter: "Wir bitten um Verzeihung."

Schläge an der Tagesordnung

Wer nachliest, was damals der Alltag für Kinder in diesem Heim war, wird das nicht mit der damaligen Zeit verharmlosen können. Schläge waren an der Tagesordnung, harte Arbeit auf den Äckern der Bauern. Und der sexuelle Missbrauch durch den Diakon, der direkt neben dem Schlafsaal der Jungen untergebracht war und jeden Abend seine Opfer auswählte. Und dann gab es noch die Bettnässer unter den Kindern, die vor aller Augen gedemütigt wurden.

Friedhelm Münter wirft der evangelischen Kirche vor, diese schrecklichen Verhältnisse auch heute nicht richtig aufzuarbeiten. Sie habe Daten und Fakten manipuliert sowie die Ämter getäuscht, um seine damals 21 Jahre alte Mutter als asozial darzustellen. Und das nur, um ihr den Sohn wegzunehmen. "Die Kirche hat mit Kindern für ihre Heime gehandelt", sagt er am Mittwoch verbittert.

Aber das wird möglicherweise ein neuer Rechtsstreit werden. Denn hinnehmen will Friedhelm Münter das alles nicht.