Gelsenkirchen. Spendenbetrug, rechte Unterstützer: So wehren sich die beiden Stadtverordneten von „Tierschutz hier“ in Gelsenkirchen gegen jahrelange Vorwürfe.
„Grandios. Sechs Sitze für Tiere“ frohlockte die Partei „Tierschutz hier“ auf ihrer NRW-Homepage nach der Kommunalwahl am 13. September. In den Rat der Stadt Gelsenkirchen wurden zwei Mitglieder, Heiko Hoffmann und Cornelia Keisel, gewählt. Sie werden dort eine Ratsgruppe bilden können. Zwei Sitze holten die Tierschützer auch in Duisburg, in Neuss und Düsseldorf sind sie jeweils mit einem Stadtverordneten vertreten.
Kinderwünsche und Pfoten Verband operieren von Gelsenkirchen aus
Als „Sprachrohr der Tiere“ verstehen sich die Akteure von „Tierschutz hier“. Was das bedeuten könnte, verdeutlichen sie ebenso auf der Internetseite. Mehr Respekt für Stadttauben und Wildvögel in der Stadt wird dort eingefordert, ebenso der Stopp von Tierversuchen. Artenschutz, auch die Aufhebung der Hundesteuer sind ebenso Themen wie die Förderung veganer Ernährung.
Konzentration auf ein Thema
Mit der Konstituierung könne „nun endlich die politische Tierschutzarbeit im Stadtrat beginnen“, erklärt Cornelia Keisel als Vorsitzende des Kreisverbands der Aktion Partei für Tierschutz – Tierschutz hier! und Vorsitzende der Ratsgruppe. „Gelsenkirchen beklagt seit zu vielen Jahren ein großes Manko im Bereich des Tierschutzes. Dabei zeigt sich besonders in Corona-Zeiten deutlich, dass eigentlich nur der Mensch im Vordergrund steht. Unmengen an Maßnahmen werden erlassen. Das Tier steht leider wieder hinten an. Neben dem wichtigen Klima-, Natur- und Umweltschutz“ dürfe die Verbesserung des Tierschutzes nicht vernachlässigt werden, postulieren die Tierschützer
Die Partei kündigt an, dass sie sich allein in ihrer politischen Arbeit um dieses Thema kümmern werde. Keisel: „Wir wollen uns nicht verzetteln in anderen Themen . In Gelsenkirchen müssen mehr, beziehungsweise überhaupt einmal, Stimmen, die für die Tiere sprechen, in der politischen Arbeit hörbar werden.“
Mit ihren Aktivitäten sind Cornelia Keisel, die Gelsenkirchener Stadtverordnete, und ihr Ratskollege Heiko Hoffmann, eher in der Vergangenheit aufgefallen. Keisel steht hinter dem Verein „Kinderwünsche“, Hoffmann ist Vorsitzender des Vereins „Pfoten Verband“, der unter anderem die lokale Tiertafel unterstützt. Gegen „Kinderwünsche“ gab es in der Vergangenheit Ermittlungen wegen Spendenmissbrauch und Betrugsverdacht, auch der „Pfoten Verband“ geriet ins Zwielicht. Beide Vereine haben ihren Sitz an der Kirchstraße 16. Dort ging Anfang September Post ein. Nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung hat die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Strafverfolgung abgesehen – da die Schuld der Täter gering sei und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung bestehe, so die Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk.
Staatsanwaltschaft Essen nahm 2016 Ermittlungen auf
In beiden Fällen bestanden ursprünglich „erhebliche Zweifel“, ob gesammelte Spenden durch die Vereine tatsächlich im entsprechenden Umfang den Vereinszwecken zugutekamen. Ermittelt wurde laut Milk teilweise bereits seit 2016 „gegen eine ganze Reihe von Beschuldigten“. 2017 und 2018 griffen verschiedene Medien, auch die WAZ, das Thema auf.
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Cornelia Keisel, heute Finanzvorstand, und Thomas Keisel, der heutige Vorsitzende von „Kinderwünsche“ gingen damals in die Offensive. Sie wiesen die Vorwürfe eines zweckfremden Umgangs mit Spendengeldern „entschieden zurück“, Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung und Weiterleitung von Spendengeldern hätten nicht festgestellt werden können. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass die „Berichterstattung ganz bewusst initiiert worden ist, um dem Verein und insbesondere unserem Vorstandsmitglied Cornelia Keisel persönlich schweren Schaden zuzufügen“.
Die Aussage von damals bekräftigte Keisel am Dienstag. „Ich weiß nicht, warum das damals so hochgespielt wurde. Unsere Konten sind überprüft worden, aber wir sind nicht einmal vernommen worden. Ich hätte ja gerne eine Gerichtsverhandlung gehabt, bei der wir unsere Asse hätten ausspielen können.“
Tierschutzaktivist mit Kontakt zur Neonazi-Szene als Wahlkampfmanager
In Duisburg offenbarten nach der Wahl Vertreter der Tierschutzaktivisten derweil Einblicke in eine offenbar tief zerstrittene Szene, warfen sich teils gegenseitig Querulantentum oder rechte Tendenzen vor. Eine der Schlüsselfiguren ist Torsten Lemmer. Gegenüber der WAZ in Duisburg präsentierte er sich als NRW-Wahlkampfmanager der „Aktion Partei für Tierschutz – Tierschutz hier!“, die dank seines Engagements auch in Gelsenkirchen in den Rat eingezogen sei.
Lemmer, der einst seine politische Karriere bei den Jungen Liberalen startete, hat ein Buch über seinen angeblichen Ausstieg aus der Neonazi-Szene veröffentlicht. Er wurde wegen Volksverhetzung verurteilt, hat als Backgroundsänger und Manager der Rechtsrockband Störkraft fungiert und ist frisch gewähltes Mitglied im 90-köpfigen Rat von Düsseldorf. Im Düsseldorfer Rathaus hatte er – nach massiven Störaktionen – noch 2000 Hausverbot bekommen. Keisel bestätigt die Zusammenarbeit mit Lemmer und weiß auch von seiner Vergangenheit. „Doch das sind Jugendsünden.“
Spendensammlungen vor der Schalker Veltins-Arena
Auch vor der Veltins-Arena traten die Spendensammler für „Kinderwünsche“ früher in Aktion. Fan-Vertreter und Schalke 04 untersagten darauf alle Spendensammler-Aktivitäten an der Arena und forderten generell zunächst einmal Unterlagen wie Freistellungsbescheid, Spendennachweise oder Jahresberichte ein. „Der Verein Kinderwünsche ist seitdem bei uns nie wieder aufgeschlagen“, erklärt Anja Kleine-Wilde, Leiterin Unternehmenskommunikation des Bundesligisten. „Vereine, die bei uns sammeln wollen, müssen sich seither schriftlich bei uns anmelden.“
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