Gelsenkirchen. Erstmals nach der Kommunalwahl 2020 tagt der neue Gelsenkirchener Stadtrat, geleitet von der ebenfalls neuen OB Karin Welge. Es gibt viel zu tun.

Die Kommunalwahl Mitte September liegt schon eine gefühlte Ewigkeit zurück, und doch konstituiert sich der neue Rat der Stadt Gelsenkirchen mit ein wenig Verspätung erst diese Woche, am 26. November. Sei’s drum. Diese Wahlperiode wird sich deutlich unterscheiden von denen vergangener Jahre.

Die Sozialdemokraten können nicht mehr länger im Alleingang im Stadtrat durchregieren, müssen Kompromisse eingehen und sind dafür bekanntermaßen mit den Christdemokraten die politische Ehe auf Zeit eingegangen.

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Zwischenmenschlich habe es bei den Roten und den Schwarzen einfach mehr gefunkt, weshalb eine Dreiecksbeziehung zwischen SPD, Grünen und FDP schon im Keim erstickte – übrigens zur großen Verwunderung manch Beteiligter.

Grüne und Liberale werden lernen mit dem Kummer zu leben und versprechen bereits trotzig und motiviert, auch von der Oppositionsbank so viel wie eben möglich am Fortschritt unserer Stadt mitzugestalten. Hat der Seilbahn-Traum der FDP eine Chance? Wird der Verkehrsraum für Autofahrer zugunsten von Radfahrern verknappt, wie die Ökopartei es fordert? Wir werden sehen.

Die politische Streitkultur auf ein neues Niveau bringen

Gelsenkirchens GroKo indes wird sich auch an ihrem Umgang mit den kleinen Parteien messen lassen müssen. Insbesondere Sascha Kurths Rolle dabei darf mit Spannung erwartet werden. Schließlich hatte der neue Fraktionsvorsitzende und Chef der Unionspartei noch kurz vor der Koalitionsvereinbarung im WAZ-Gespräch – ebenso wie Grüne, FDP und AfD – darüber geklagt, dass die SPD in ihrer Zeit als Alleinbestimmer vor allem mit Arroganz und weniger mit einer angemessenen Debattenkultur aufgefallen sei.

Die Hand reichen und vermitteln will deshalb nicht zuletzt auch der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Axel Barton. Ihm zur Seite steht im Fraktionsvorstand ein junges Team Gelsenkirchener Sozialdemokraten. Allen zusammen bleibt im Interesse unserer Stadt ein glückliches Händchen zu wünschen.

Wie gehen die Partei mit der AfD und wie geht die AfD mit der Verantwortung um?

Mitgestalten will auch die AfD, die sich ebenfalls eine neue, junge Fraktionsspitze gegönnt hat. In Fußballmannschaftsstärke zieht die rechte Partei ins Stadtparlament ein. Aus unsäglichen Beispielen bundesweit – und ganz besonders im Netz – nährt sich auch in Gelsenkirchen die Ablehnung der anderen Parteien, mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen. Wenn die Fraktion nicht im Abseits schmollen will, muss sie mit Argumenten überzeugen und in Vorarbeit gehen.

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Bei aller Schärfe, mit der die Blauen den Finger in die Wunden (Ordnung, Sicherheit, Sauberkeit) legen wollen, wird sich insbesondere der vierköpfige Fraktionsvorstand daran messen lassen müssen, ob er sein Versprechen einhält, „eine rechtsstaatliche Partei“ zu sein.

Das heißt auch: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Artikel 3 des Grundgesetzes).

Die Rolle der neuen Oberbürgermeisterin

Bei allem nötigem Streit um die Sache eint alle Akteure – selbstverständlich auch die der Linken, von WIN, der Partei, den Tierschützern und AUF – die Hoffnung auf ein Gelsenkirchen, das nicht mehr in jeder Statistik den letzten Platz belegt. Gelsenkirchen ist so viel mehr, als ein stupider Städtevergleich überhaupt abbilden kann.

Aber Gelsenkirchen hat eben auch massive strukturelle Probleme, die bei allem Lokalpatriotismus nicht kleingeredet werden können. Karin Welge ist als Oberbürgermeisterin angetreten, die Stadt zu führen, zu verändern, zu gestalten. Die Arbeit ihres Vorgängers Frank Baranowski in allen Ehren, es ist Zeit für ein neues Kapitel in Gelsenkirchen.

Die Bürger dieser Stadt erwarten zurecht von Welge, dass sie dafür sorgt, dass einfache behördliche Dienstleistungen endlich unkompliziert und schnell online erledigt werden können, dass ignorante Müllsünder erwischt und bestraft werden, dass Investoren den Weg in die Stadt finden und dabei die beste Unterstützung bekommen, dass Gelsenkirchen mehr aus sich heraus anpackt und weniger larmoyant — wenn auch oft nicht ganz zu unrecht — achselzuckend auf Land und Bund verweist...

Werter Stadtrat, werte Frau Oberbürgermeisterin, die Zeit ist gekommen, Ihre Wahlversprechen umzusetzen. Gelsenkirchen verdient es!