Essen./Gelsenkirchen. Der Mann, der in Gelsenkirchen einen SEK-Beamten im Einsatz erschossen hat, beruft sich vor Gericht in Essen auf Angst vor Rockern.
Auf Polizistenmord lautet der Vorwurf gegen den Gelsenkirchener Thomas K.. Laut Anklage hat er am 29. April einen Beamten des Sondereinsatzkommandos erschossen, als dieser mit Kollegen die Wohnung des 29-Jährigen stürmte. Vor dem Landgericht Essen beruft sich der Angeklagte am Freitag auf eine Fehleinschätzung der Situation. Er habe Angst vor einem Rockerüberfall gehabt.
Staatsanwältin Sonja Hüppe wirft ihm dagegen vor, er habe die Enttarnung seiner Drogengeschäfte durch die Polizei gefürchtet und deshalb auf den Beamten geschossen. Ausgestattet mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichtes Essen vom 18. März 2020 hatten die Polizisten über einen Monat später die Wohnung aufgesucht. Weil es Hinweise auf Schusswaffen und eine Handgranate bei ihm gab, waren sie morgens um sechs Uhr verdeckt angerückt und hatten die Wohnungstür mit einer Ramme aufgesprengt.
Zwei Schüsse abgefeuert
Thomas K. gab laut Anklage in diesem Moment zwei Schüsse durch die jetzt offene Tür ab. Trotz Schussweste drang eine Patrone in den Körper eines 28 Jahre alten Polizisten ein. Weil er seitlich stand, bot die Weste keinen Schutz. Das Projektil drang durch die Schulter in den Körper ein und verletzte Herz und Lungenflügel. Der Beamte starb nach wenigen Minuten an innerlicher Verblutung vor dem Haus in der Augustin-Wibbelt-Straße in Buer.
Vater, Schwester und Bruder des Verstorbenen sowie zwei Rechtsanwälte begleiten den Prozess vor dem Essener Schwurgericht am Freitag in der Nebenklage. Sie zeigen keine Emotionen. Wachtmeister leiten sie erst dann in den Gerichtssaal, als Fotografen und Kameraleute den Saal nach dem Prozessauftakt verlassen hatten.
Die Haare zu einem Zopf gebunden
Zuvor hatten die Justizwachtmeister den Angeklagten aus dem Gefängnis in den Saal gebracht. Thomas K. wirkt eher klein, hat weiche Züge und die langen Haare zu einem Zopf gebunden. Vorbestraft ist er nicht. Der Verdacht, dass er ein Drogenhändler ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. In seiner Wohnung hatte die Polizei 1,4 Kilogramm Marihuana gefunden. Deshalb muss er sich neben Mord auch wegen Drogenhandel mit Waffen verantworten.
In der Wohnung gab es neben der scharf gemachten Pistole "Kartal 2003 Light", mit der er schoss, auch noch drei Jagdmesser, zwei Butterflymesser, einen Schlagring und einen Teleskopschlagstock. Wegen dieser Bewaffnung erhöht sich die Mindeststrafe für den Drogenhandel zwar auf fünf Jahre Haft. Aber das spielt vor Gericht nicht die Rolle, weil Thomas K. für den Polizistenmord eine lebenslange Freiheitsstrafe droht.
Der Angeklagte schweigt
Thomas K. beantwortet am Freitag zwar die Frage von Richter Jörg Schmitt nach seinen Personalien. Zur Sache schweigt er. Als kaltblütiger Mörder will er sich aber nicht verurteilen lassen. Deshalb geben seine Verteidiger Siegmund Benecken und Victor Berger eine Erklärung für ihn ab.
Überfordert will er gewesen sein. Er sei in jener Nacht erst kurz vor dem Einsatz zu Bett gegangen, habe zuvor eine Wasserpfeife geraucht, offenbar Marihuana. Plötzlich habe er Geräusche im Hausflur gehört und Angst bekommen. Denn einige Zeit zuvor hätten Rocker ihn beim Spaziergang mit dem Hund bedroht und ein Messer an den Hals gehalten. Er solle seine Drogen künftig nur bei ihnen kaufen, hätten sie gesagt. Von Bekannten habe er gewusst, dass diese von den Rockern schon "körperlich misshandelt worden waren".
Angeblich an Warnschuss gedacht
Er will sich vor der Tür aufgebaut haben. Aus Angst vor Rockern mit der Waffe in der Hand. Gerade habe er überlegt einen Warnschuss abzugeben und zu rufen: "Haut ab. Ich bin bewaffnet." Da sei die Tür aber schon aufgeflogen und reflexartig habe er geschossen, gleichzeitig den Schriftzug "Polizei" gelesen. Diese Bemerkung spielt darauf an, dass er laut SEK-Beamten spontan zu ihnen sagte, er habe "Polizei" gelesen und "dann geschossen". Einen Zeugen aus dem Milieu gibt es zudem, der mal gesagt hat, Thomas K. habe die Bewaffnung mit seinem Schutz vor einem Polizeieinsatz erklärt.
Die Erklärung schließt mit Worten des Bedauerns: "Ich würde nie auf die Idee kommen, auf einen Polizisten zu schießen. Ich kann nur um Entschuldigung bitten. Das Ganze tut mir wahnsinnig leid."
Verteidiger kritisiert SEK-Einsatz
Sein Verteidiger Siegmund Benecken übt in einer Sitzungspause gegenüber den Medien Kritik am SEK-Einsatz. Die Beamten hätten seinen Mandanten nämlich Tage zuvor observiert. Da sei Thomas K. mit seinem Hund und unbewaffnet durch die Straße gelaufen. Da hätte man ihn problemlos festnehmen können. Er hege den Verdacht, dass das SEK Einsätze wie diesen als Training nutze und dabei das Leben der jungen Beamten gefährde.
Thomas K. spricht das in seiner Erklärung an: "Warum haben die Beamten nicht geklingelt? Ich hätte die Tür aufgemacht." Acht Prozesstage hat das Schwurgericht zunächst angesetzt, um den Fall zu klären.