Gelsenkirchen. Nach der OB-Stichwahl und dem Sieg von Karin Welge stehen nun Fraktionsgespräche an – und Erklärungsversuche für die desaströse Wahlbeteiligung.

Am Tag nach der gewonnenen Stichwahl ist Karin Welge wieder im Alltag als Kämmerin und Teil des Verwaltungsvorstands angekommen. Sie werde wie gewohnt um sechs Uhr aufstehen, etwas später als gewöhnlich ins Büro im Hans-Sachs-Haus gehen – und dann arbeiten, kündigte die SPD-Wahlsiegerin nach der Stimmauszählung am Sonntag an. Feiermodus? Eher mit gebremstem Schaum.

Nachdem die OB-Personalie entschieden ist, geht es jetzt um die entscheidende Frage: Wer mit wem im Rat der Stadt? Die SPD ist mit 31 Sitzen stärkste Fraktion, braucht aber Partner. Die SPD werde nun mit den anderen Parteien inhaltliche Gespräche führen und sehen, wie wir für fünf Jahre berechenbare Zusammenarbeit zum Wohle Gelsenkirchens hinkriegen“, kündigt Klaus Haertel, der scheidende Fraktionschef an.

Gelsenkirchener SPD will mit Ratsparteien inhaltliche Gespräche führen

„Du bist gelaufen, du hast die Partei mitgenommen. Und die Partei hat dich mitgenommen“, würdigte der SPD-Vorsitzende Markus Töns am Wahlabend Welges Engagement. Innerparteilich zündete die Mobilisierung offenbar nicht nur bei den Sozialdemokraten. Viele Gelsenkirchener ließ sie offenbar kalt. Nur 26,6 Prozent Beteiligung an der Stichwahl sind schwerlich schön zu reden.

Die geringe Resonanz treibt auch Welge um. „Wir müssen einen deutlichen Schritt nach vorne machen, um mehr zu erklären und auch mehr Nähe herstellen“, ist sie überzeugt. „Die Menschen sind sehr dankbar, wenn sie merken, dass man ernsthaft an ihnen interessiert ist“.

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„Sehr schade“ findet auch Christoph Klug die geringe Wahlbeteiligung. „Im Kommunalen geht es doch um Sachen, die uns jeden Tag begegnen. Das müsste doch spannend sein“, glaubt er. 26,6 Prozent Beteiligung seien „kein Ruhmesblatt. Wir müssen uns alle überlegen wie wir es hinbekommen, dass die Wahlbeteiligung wieder steigt.“ Ein Vorschlag: „Die Bürgerbeteiligung während der gesamten Ratsperiode forcieren.“ Ansonsten geben sich die Liberalen höchst entspannt: „Wir bereiten uns vor, dass wir als Fraktion im Rat der Stadt arbeiten können. Ansonsten harren wir der Dinge. Wir hören uns alles an und reden mit jedem Demokraten, außer der AfD“, kündigt der FDP-Stadtverordnete Klug den Fahrplan für die kommenden Wochen an.

Grüne fürchten: Im neuen Rat der Stadt wird der Ton rauer werden

Adrianna Gorczyk, Spitzenkandidatin für die Kommunalwahl und Kreisvorsitzende, sieht die Grünen im Aufwind: „Auch die ersten neuen Mitgliederanträge trudeln ein“.
Adrianna Gorczyk, Spitzenkandidatin für die Kommunalwahl und Kreisvorsitzende, sieht die Grünen im Aufwind: „Auch die ersten neuen Mitgliederanträge trudeln ein“. © Biene Hagel / FUNKE Foto Services

„Glückwunsch an Frau Welge, aber auch an Malte Stuckmann. Er hat einen guten Wahlkampf hingelegt. Persönlich finde ich es hervorragend, dass eine Frau nun das Amt bekleiden wird, das ist grundsätzlich eine gute Nachricht“, sagt die grüne Kreisvorsitzende und neue Ratsfrau Adrianna Gorczyk.“ Elf Stadtverordnete stellen die Grünen im künftigen Rat, auch beim Selbstbewusstsein haben sie zugelegt: „Wir sind sichtbarer geworden und auch stärker ins Blickfeld gerückt“ als Ansprechpartner für Initiativen, Vereine oder Personen. Auch die ersten neuen Mitgliederanträge trudeln ein“, sagt die Vorsitzende.

Gespräche „mit allen demokratischen Parteien“ wollen die Grünen führen, „auch um über eine gemeinsame Linie gegen Rechts zu reden.“ Proaktiv werden sie allerdings nicht. Als stärkste Fraktion müsse sich zunächst „die SPD bewegen“. Im Rat, fürchtet Gorzyk, sei damit zu rechnen, „dass der Ton rauer wird. „Mit elf Stadtverordneten der AfD ist das schon eine andere Nummer als vorher.“

Vorurteile, Politikverdrossenheit und schlichte Unkenntnis

Auch wenn laut Gorzyk der Kommunalwahlkampf für die Grünen angenehm wie selten zuvor war: Politikverdrossenheit, Vorurteile, aber auch schlichte Unkenntnis „und falsche Interpretation von Kommunalpolitik“ haben sie dennoch gespürt. Mit dem Gefühl, dass Entscheidungen „von denen da oben“ gefällt“ würden oder Lokalpolitiker hauptberuflich bezahlt würden, wurde man immer wieder konfrontiert“, sagt Gorczyk. „Viele glauben nicht, dass wir das ehrenamtlich machen.“

Cichos: „Die Sichtbarkeit von Frauen in solchen Ämtern finde ich total wichtig“

„Wir müssen über andere Formen der Politikvermittlung nachdenken und Politik erlebbarer machen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie selber mitbestimmen können“, steht auch für Susanne Cichos als Reaktion auf die „desaströse Wahlbeteiligung“ fest. Die jüngst gewählte FDP-Stadtverordnete freut, dass Gelsenkirchen mit Karin Welge erstmals eine Oberbürgermeisterin bekommt. „Die Sichtbarkeit von Frauen in solchen Ämtern finde ich total wichtig.“ Ein Vielparteien-Rat sorgt die Liberale nicht, da schon eher die Negativkampagnen im Wahlkampf. Cichos: „Wir müssen nach vorne gucken. Wir können gemeinsam was bewegen. Diese Stadt hat viele Chancen.“