Gelsenkirchen. Sie sind jung und engagiert. Wir haben die jeweils jüngsten Kandidaten der Ratsparteien gefragt, was sie antreibt und wofür sie stehen.

Kommunalpolitik ist nicht das, was junge Erwachsene zwingend als cool oder hip empfinden. Trotzdem treten bei dieser Kommunalwahl auch sehr junge Kandidaten an. Wir wollten von ihnen wissen, warum sie das tun, was sie antreibt, was sie erreichen wollen. Dafür haben wir die jeweils jüngsten Kandidaten der Ratsfraktionen zum Gespräch in die WAZ-Redaktion eingeladen. Aus Infektionsschutzgründen in Coronazeiten gruppenweise statt zu einer großen Runde. Der Einladung folgten Tayfun Gegek (19 Jahre, WIN), Franziska Schwinge, (20 Jahre, Bündnis 90/Grüne), Pia Mickels, (21 Jahre, SPD), Michael C. Schmitt, (22 Jahre, CDU) und Dustin Dorka, (22 Jahre, AfD).

Bei allen Richtungsunterschieden gibt es eine Gemeinsamkeit jenseits des Alters: Alle sind die ersten in ihren Familien, die politisch aktiv sind. Gemeinsam ist ihnen zudem ein – unterschiedlich stark ausgeprägter – Fokus auf junge Menschen in der Stadt.

Erste Erfahrungen in den Jugendorganisationen gesammelt

Pia Mickels ist schon länger bei den Jusos aktiv. Bei der Kommunalwahl tritt sie für den Rat an. Sie steht auf Platz 26 der SPD-Reserveliste.
Pia Mickels ist schon länger bei den Jusos aktiv. Bei der Kommunalwahl tritt sie für den Rat an. Sie steht auf Platz 26 der SPD-Reserveliste. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Pia Mickels (Studentin der Sozialwissenschaften), Franziska Schwinge (Studentin der Psychologie) und Michael C. Schmitt (Jura-Student) sind trotz ihrer Jugend bereits politisch erfahren. Alle drei sind bereits seit längerer Zeit in den Jugendorganisationen ihrer Parteien aktiv. Michael Schmitt stieg als bereits als 14-Jähriger ein. Weil er nicht nur meckern wollte, sondern handeln. Dass es die CDU wurde, habe auch mit seinem christlichen Glauben zu tun, der ihm wichtig sei, betont er. Der Jurastudent arbeitete im Jugendparlament, im Rat will er vor allem für Sicherheit und Ordnung eintreten. Der Kommunale Ordnungsdienst müsse weiter ausgebaut werden, 365 Tage im Jahr rund um die Uhr im Einsatz sein, damit Bürger in der Neustadt – seinem Bezirk – sowie im ganzen Stadtgebiet ohne Angst auch abends unterwegs sein könnten. Was hinter dem Bahnhof derzeit nicht gegeben sei. „Und nicht nur Frauen fühlen sich dort unsicher, das betrifft durchaus auch Männer“, so Schmitt. Sein zweiter Schwerpunkt: die lokale Gastronomie in der schweren Nach-Corona-Zeit stärken, Angebote wie das Kultur-Café 42 ausbauen beziehungsweise auch im Stadtsüden zu etablieren.

Einstieg über die antifaschistische Arbeit

Pia Mickels kam über die antifaschistische Arbeit zu den Jusos. Kinder- und Jugendarbeit sind ihr „superwichtig“, statt auf Überwachung und Symptombekämpfung will sie auf bessere Beratungsangebote vor Ort setzen, Strukturen schaffen für eine gute Prävention, die Konflikten vorbeugt, besseren Zugang zu Bildung ermöglichen. „Wir müssen die Vielfalt in Gelsenkirchen nicht als Problem, sondern als Stärke darstellen“, fordert sie. Und Angst möchte sie lieber mit besserer Beleuchtung und einer bewussteren Stadtplanung bekämpfen, die Angsträume gar nicht erst entstehen lässt. Das Problem in der Neustadt sei für sie eher die Unübersichtlichkeit, nicht die Menschen.

Schock in der ersten Ratssitzung: So viele alte Männer und wenige Frauen!

Franziska Schwinge (2.v.r.) mit dem Grünen-Leitungsteam: (v.l.) OB-Kandidat David Fischer, Adrianna Gorczyk, und Peter Tertocha. Die 20-Jährige kandidiert auf Platz 7 der Reserveliste der Grünen.
Franziska Schwinge (2.v.r.) mit dem Grünen-Leitungsteam: (v.l.) OB-Kandidat David Fischer, Adrianna Gorczyk, und Peter Tertocha. Die 20-Jährige kandidiert auf Platz 7 der Reserveliste der Grünen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Franziska Schwinge war bei ihrem ersten Besuch einer Ratssitzung regelrecht schockiert: „Ich hab gedacht: Krass! So viele alte Männer und so wenige Frauen – das repräsentiert doch nicht die Stadt! Bei 24 Prozent liegt der Frauenanteil im Rat. Das muss sich ändern!“ Gegen mehr Beleuchtung und eine funktionierende Kamera am Bahnhof Rotthausen hätte auch sie nichts einzuwenden, allerdings liegt auch ihr Fokus mehr auf Prävention. „Gelsenkirchen bräuchte zum Beispiel auch eine Bahnhofsmission, an die sich Obdachlose und neu Ankommende, die Hilfe suchen, sich wenden können“, schlägt sie vor. Abgesehen davon ist ihr der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs besonders wichtig. „Wir brauchen eine bessere Anbindung für die Stadtteile untereinander, nicht nur zum Bahnhof hin, und eine bessere Taktung, auch spätabends und nachts.“ Ein Auto hat und will sie nicht.

Gemeinsamer Schwerpunkt: Förderung der Gastronomie für junge Menschen

Michael Schmitt bringt bereits Erfahrung aus der Jungen Union mit. Bei der CDU steht er auf Platz 22 der Reserveliste für den Rat.
Michael Schmitt bringt bereits Erfahrung aus der Jungen Union mit. Bei der CDU steht er auf Platz 22 der Reserveliste für den Rat. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Beim Thema Gastronomie betont Pia Mickels den Bedarf an Ausgehmöglichkeiten gerade für junge Menschen. „Es ist wichtig für das Lebensgefühl junger Leute, in der eigenen Stadt mit Freunden rauszugehen und nicht in die Nachbarstadt fahren zu müssen.“ Franziska Schwinge hätte sich mehr Flexibilität seitens der Stadt in Coronazeiten gewünscht: „Da hätte man doch auch mal mehr Tische draußen genehmigen können, um die Gastronomen zu unterstützen. Tische aufstellen lassen, wo sonst Autos parken.“ „Aber ich glaube, die Gastronomen sind auch froh, wenn Gäste bei ihnen parken können“, wirft Michael Schmitt an der Stelle ein. Es gibt manche Schnittstelle bei den dreien– den Traum von der Gastronomiemeile im Stil des Bermudadreiecks an der Bochumer Straße etwa: Die Kernunterschiede der Parteien aber finden sich auch beim Nachwuchs. Zum Lieblingskoalitionspartner mögen die drei sich nicht festlegen.

Digitalisierung vorantreiben contra erst Klassenräume sanieren

Tayfun Gegek (WIN) und Dustin Dorka (AfD) sind noch neu auf der politischen Bühne. Tayfun Gegek geht jetzt ins Abitur, will danach studieren, sich aber trotzdem schon politisch engagieren, wenn auch „nur“ im Bezirk. Ihm geht es vor allem um junge Menschen in der Stadt. Dustin Dorka hat gerade nach zwei Todesfällen in der Familie seinen Weg zum Fachabitur am Berufskolleg unterbrochen und will im nächsten Jahr eine Ausbildung anfangen.

Tayfun Gegek (WIN) und Dustin Dorka (AfD, v.l.n.r.) beim Gespräch in der WAZ-Redaktion.
Tayfun Gegek (WIN) und Dustin Dorka (AfD, v.l.n.r.) beim Gespräch in der WAZ-Redaktion. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Gastronomie für junge Menschen in Gelsenkirchen fördern, die Branche unterstützen – das wollen beide. Doch während Gegek an ein Schülercafé für Buer denkt oder auch an für junge Leute attraktive Restaurantketten, will Dorka Gasthöfe stärken, gern auch solche mit Kegelbahn. Wichtig sind beiden Anlaufstellen für Jugendliche. Für Gegek gehören auch attraktive Bäder dazu. „Beim Bäderkonzept hätte man auch Jugendliche einbeziehen sollen“, findet er. Die seien schließlich die Hauptnutzer.

Kulturzentrum als Begegnungsstätte für alle für bessere Integration

In der Bildungspolitik sehen beide großen Handlungsbedarf – mit unterschiedlichem Fokus. Dorka ist überzeugt: „Teure Smartboards in abgewirtschafteten Klassenzimmern bringen es nicht. Erst sollten die Räume saniert, ein gutes Lernklima geschaffen werden.“ Tayfun Gegek hingegen würde sich wünschen, dass die digitale Ausbildung und Ausstattung bei Schülern und Lehrern schon weiter gediehen wäre: „Im Lockdown hätte das sehr geholfen.“

Weit auseinander gehen die Positionen in der Migrationspolitik. Gegek – in der dritten Generation in Deutschland – will sich für ein Kulturzentrum einsetzen, in dem Angehörige verschiedener Kulturen sich begegnen, austauschen und kennenlernen. Dass es Gegenden mit Parallelgesellschaften gibt, wie Dorka es nennt, hänge mit mangelnden Integrationsmöglichkeiten, Stätten der Begegnung, zusammen. Vielfalt sei eine große Chance für die Stadt, und diese Vielfalt wolle WIN fördern.

Gewerbesteuern drastisch senken

Dorka hingegen setzt mit seiner Partei auf Begrenzung der Zuwanderung, „um Stadtteile nicht zu überfordern“. Gewerbesteuern und die Hebesätze für die Grundsteuern müssten zudem dringend gesenkt werden, um Gelsenkirchen für Bauherren und Unternehmen attraktiver zu machen, ist er überzeugt.

Trotz zum Teil gravierender Unterschiede in den Positionen: Im Gespräch in der Redaktion haben alle einander zugehört, den anderen ausreden lassen. Für den Weg in demokratische politische Gremien eine wichtige Voraussetzung, in Zeiten populistischer Zwischenrufe und Schmähungen bis hin zu Hasstiraden auf allen Kanälen aber leider keine Selbstverständlichkeit.