Gelsenkirchen-Ückendorf. An der Himmelsleiter spricht Claudia Kapuschinski, OB-Kandidatin für Die Partei, sehr ernst über Gelsenkirchen, Satire und den Rechtsruck.
„Es ist unrealistisch, dass ich nach der Wahl die neue Oberbürgermeisterin werde,“ sagt Claudia Kapuschinski. Wie bitte? Ein Scherz aus dem Mund der Kandidatin der Satirepartei Die Partei für Gelsenkirchens Spitzenposten? Wo doch sonst „100 Prozent der Stimmen + X“ als Ziel ausgegeben werden? Nein. Kein Scherz. Keine Satire. Die 33-Jährige meint es ernst – genauso, wenn es um Gelsenkirchen geht.
Claudia Kapuschinski schaut ein wenig nervös, als sie die Halde Rheinelbe zur Himmelstreppe hinaufsteigt, schließlich wartet oben ihr erster Pressetermin als OB-Kandidatin. Und ihr erster Pressetermin überhaupt. Also hat sie Verstärkung mitgebracht. Die kleine Lotte hält ihre Mutter an der Hand, Zwillingsschwester Rike tobt hinterher. Mann Daniel und sein Bruder Rene geben ebenfalls Halt, Hund Barney bellt.
Kapuschinski kämpft gegen Rassismus – auch in Gelsenkirchen
Auf die Frage, wie sie sich denn fühle als Bewerberin für den Job im Hans-Sachs-Haus, lacht die gebürtige Neubrandenburgerin. Um dann zu antworten: „Meine Kinder gehen ganz aufgeregt durch die Stadt und rufen immer: ‘Da ist Mama’. Mir macht die Aufmerksamkeit Spaß. Und es ist eine vielleicht einmalige Chance, mich derart für eine Sache einzusetzen.“
Die Unsicherheit ob der neuen Rolle fällt ab, wenn Claudia Kapuschinski über das spricht, was ihr am Herzen liegt. Ganz weit oben auf der Agenda steht der Kampf für eine offene Gesellschaft, gegen Rassismus. „Ich habe Angst, dass Rechts erstarkt, gerade hier in Gelsenkirchen. Wir sagen immer, wir haben aus der Geschichte gelernt – aber haben wir das? Ich gehe inzwischen ungern alleine vor die Tür.“
Die Partei provoziert – gerne mit einem „freundlichen“ Hinweis
Was mit Rechten und Nazis zusammenhänge – auch bei ihr in Schalke, wie die Mutter erzählt. Erst recht, seit sie sich für Flüchtlinge engagiert. Vor drei Jahren, als sie ein Protestcamp in der Stadt mit Tee und Kleidung unterstützte. Vor zweieinhalb Jahren, als sie in Die Partei eintrat, um „politisch zu arbeiten“ und „eigene Standpunkte zu setzen.“
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Die inszenieren sie und ihre Partei-Kollegen Marc Meinhardt, Gregor Stein und Daniel Rupprecht gerne mit der größtmöglichen Provokation. Durch „Nazis töten.“ etwa, dem kontrovers diskutierten wie „freundlichen“ Hinweis auf rechtsterroristische Mordanschläge in Hanau und auf Walter Lübcke. Durch Devisen wie „Für Gelsenkirchen reicht’s“, versehen mit dem Bild einer entgleisten Straßenbahn.
Satire, um ins Gespräch zu kommen
Und mit einem weiteren Thema, das Claudia Kapuschinski – Künstlername Mary Joana UnVernunft – wichtig ist: die Legalisierung von Cannabis. Sie hat sich für den Wahlkampf deshalb mit Tampons der Marke OB und Brokkoli ablichten lassen. Ein weiterer Wink mit dem Zaunpfahl, diesmal in Richtung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig. Die hatte kürzlich mit Scharfsinn festgestellt: „Nur weil Alkohol gefährlich ist, ist Cannabis ist kein Brokkoli.“
Die Reaktion auf all die Ironie, den Sarkasmus, die Satire? Häufig eine sehr ernste, sagt die 33-Jährige. „Das sind Angebote, um ins Gespräch zu kommen. Beim Sammeln der Unterschriften haben uns viele Menschen ihr Leid geklagt. Und sie haben gemerkt, dass wir sie ernst nehmen.“ Auch, weil klar sei: „Wenn es drauf ankommt, dann machen wir Realpolitik.“ Die ebenfalls festgestellte Politik-Verdrossenheit hätte das Quartett so etwas lindern und zum Wählen animieren können, erzählt Kapuschinski. „Alleine dafür hat es sich schon gelohnt, sich aufstellen zu lassen.“
Politik machen für die jungen Menschen
Mit ihrem Angebot, zu dem auch die Themen Armut (und der Slogan „Armut verbieten“), sowie Kulturförderung gehören, möchten die Callcenter-Agentin und Die Partei in erster Linie junge Leute mitnehmen. „Denen gehört die Zukunft, aber die Politik machen andere. Alte Leute“, betont Claudia Kapuschinski. Dem Establishment wollen sie und ihre Partei-Freunde auf die Finger schauen, sollte es genug Stimmen für den Einzug in den Stadtrat reichen, sagt die OB-Kandidatin – und verspricht Transparenz, ganz im Sinne des Parteigründers Martin Sonneborn.
Claudia Kapuschinski: Meine Schwerpunkte
1. Buerxit jetzt! Inklusive Mauer um Buer!
2. Wir setzen uns für die Hundeinklusion ein! Hundesteuerrückzahlung für alle sieben Hundejahre pro Jahr. Denn das T in PARTEI steht für Tierschutz.
3. Wir fordern ein echtes Jugendparlament, also mit jungen EntscheidungsträgerX. Wer länger hier lebt, sollte früher das Sagen haben.
4. Umweltschonendes Verhalten belohnen und fördern. Das gesamte Konzept der Öffi’s muss revolutioniert werden. Mobilität ist ein Grundrecht, Schwarzfahren muss bezahlbar bleiben.
5. Videoaufnahmen im Stadtrat erlauben, um dann unseriöse oder langweilige Politiker per Livevoting raus wählen zu können.
6. Gleitzeit für Oberstufenschüler, in Zeiten von Corona sollte Homeoffice aber auch immer eine Alternative sein. So gewöhnt man sich an das Studentenleben und wird produktiver und selbstständig.
7. Sprengung der Berliner Brücke zur Lösung des Feinstaubproblems.
8. Das Bedingungslose Grundeinkommen von 1500 Euro pro Kopf.
9. Gelsenkirchen entnazifizieren.
Nach anderthalb Stunden auf der Halde verabschieden sich Claudia Kapuschinski und ihre Familie. Lotte und Rike sind voller Matsch, für die Zwillinge kam der Morast vor der Politik. Bei ihrer Mama ist es umgekehrt: „Gelsenkirchen lohnt sich. Wir sehen hier Potenzial“, sagt Kapuschinski – auch von der Himmelstreppe aus. „Das ist der schönste Ort in der Stadt. Zur Entspannung. Für den Überblick. Und er symbolisiert, wo wir hin wollen.“ Nach oben.
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