Gelsenkirchen-Ückendorf. Im Marienhospital Gelsenkirchen können Studierende an Ferkeln Operationstechniken üben. Ein besonderer Kurs macht die praktische Übung möglich.
Die Szene ist ein wenig skurril. Auf dem Tisch liegen hintereinander zwei rosige Ferkel, die Ringelschwänzchen einander zugewandt, die Augen abgewandt und geschlossen. Rechts und links der Schweineköpfe liegen Schläuche und Skalpelle, noch steril verpackt. Drumherum stehen junge Menschen mit Mundschutz und Handschuhen. Eine Etage tiefer liegen drei Putenbrüste auf dem Operationstisch im Schalke-OP, umringt von vier Menschen im kompletten OP-Outfit. Zu helfen ist den Tieren nicht mehr, sie kommen aus dem Schlachthof. Aber die Ferkel und auch die Putenbrüste sollen angehenden Medizinern den Einstieg in die praktische Chirurgie erleichtern.
Mit Tieren und mit Trainingsmaschinen
Das Marienhospital Gelsenkirchen lädt regelmäßig Studierende und angehende Ärzte im Praktischen Jahr ein, chirurgische Praxis am Objekt zu trainieren. Mit Tieren als Studienobjekte, aber auch mit Trainingsmaschinen, die das Arbeiten mit Instrumenten für minimalinvasive Eingriffe einüben helfen. Gearbeitet wird in Kleingruppen, auch im Sinne der Coronaregeln. Im ersten Raum stehen die Trainingsgeräte für die Operationen in Schlüssellochtechnik, wie der Volksmund sagt. Es sind drei Geräte, in denen jeweils rechts und links eine Zange mit Scherengriffen in einer Box versenkt ist. Nur die Griffe sind frei. Auf dem Bildschirm über der Box sind Ringe zu sehen, die es zu greifen und in einer Kiste zu platzieren gilt. Auge- und Handkoordination und Umsetzung in Dreidimensionalität sind gefragt: Eine Anforderung, die die Journalistin im ersten Anlauf nicht wirklich meistert. Immerhin, auch die Studierenden brauchen Übung, die junge Frau im praktischen Jahr allerdings ist schon recht flott dabei, wohlwollend beobachtet vom Chefchirurgen, Professor Andreas Raffel.
Hohe Frauenquote im Kurs, trotz langjähriger Männerdomäne
Tatsächlich ist die Frauenquote in diesem Kurs hoch. Die Gruppeneinteilung erfolgt zufällig, jeder hat am Ende an allen fünf Stationen alles geübt. Operieren via Bildschirm, nähen in verschiedensten Techniken und mit verschiedenen Fadensorten und Instrumenten am Tuch, schonende Schnitt- und Nähtechniken an der – zugegebenermaßen recht grobporigen – Putenhaut, Intubieren beim Notfallpatienten, auch wenn der sich etwa übergeben muss und der Schlauch nur sehr schwer platzieren lässt (hier helfen die Anästhesisten aus dem Haus bei der Anleitung) und eben die „Thoraxdrainage“ beim Ferkel. Hier geht es darum, einen Schlauch einzuführen, der Flüssigkeiten, Sekrete oder auch Luft aus dem Brustkorb oder der Lunge ableitet, die die Atmung gefährden.
Ein einmaliges Angebot
Fast das ganze chirurgische Team sowie Mediziner aus anderen Kliniken im Haus ist beim Kurs im Einsatz. 25 Studierende verschiedener Universitäten haben sich angemeldet für das Angebot, das es in der Region nur am Marienhospital Gelsenkirchen gibt. Entsprechend lang ist die Warteliste.
Gegründet hat den Kurs Oberärztin Margarete Härting bereits an ihrer vorigen Station in Essen. Als die leidenschaftliche Chirurgin ans Marienhospital, brachte sie den Kurs mit. Am vergangenen Wochenende hat der Kurs die 500er-Teilnehmermarke bereits überschritten. Was der Medizinerin auch am Herzen liegt: dass noch mehr Frauen die (bisherige) Männerdomäne erobern.
Klopfen über dem rosigen Speck
Als erstes gilt es, die richtige Stelle für den Schnitt zu finden, durch den der Schlauch geführt werden kann. Vorsichtig tasten Hendrik (12. Semester) und Jessica (10. Semester) sich jeweils von ihrer Seite heran, klopfen mit den behandschuhten Fingern am rosigen Speck über dem Brustkorb des Tieres. Den Trick, wie sich die perfekte Stelle beim Menschen finden lässt, hat die Dozentin schon gezeigt. Theorie gehört auch dazu, bevor das Skalpell tatsächlich angesetzt wird, das den Weg für den Schlauch bahnen soll. Als der platziert ist, gilt es, ihn zu fixieren. Mit Nadel und Faden. Und wieder braucht es theoretischen Hintergrund von den Experten, bevor die Fixierungsnaht endgültig gesetzt werden kann. Hemmungen, Hand anzulegen, hat bei all dem niemand hier, auch wenn die gefühlte Raumtemperatur für einzelne „Operateure“ angestiegen sein mag. Auch Ferkel fordern Professionalität.
Übrigens: Die Tiere werden nach dem Kurs nicht einfach „entsorgt“, sondern dienen nach dem operativen Einsatz als Tierfutter.
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