Buer. Der Transport extrem dicker Patienten stellt die Gelsenkirchener Feuerwehr vor besondere Herausforderungen. Ein Fall für den Sonderrettungswagen.

Feuerwehren leisten Schwerstarbeit. Und dass nicht nur, weil die Einsatzzahlen ständig steigen. Wenn Menschen nicht mehr in einen normalen Rettungswagen oder durch ihre Wohnungstür passen, dann rückt die Gelsenkirchener Feuerwehr mit Spezialgerät und viel Manpower an.

Schwerster Patient in Gelsenkirchen wog 307 Kilogramm

„Unser schwerster Patient bislang wog 307 Kilogramm“, sagt Feuerwehr-Sprecher Carsten Jost. Eine extreme Belastung – sowohl für den Betroffenen selbst als auch für die Retter. Denn so jemand kann oftmals nicht durch Wohnungstür und Treppenhaus transportiert werden. Sechs bis acht Helfer, die den Patienten per Schwerlasttrage oder sitzend im Tragetuch zum Rettungswagen vor dem Haus zu befördern versuchen, „scheitern schlichtweg an der Enge der Räume oder an der Statik – die gibt das öfter mal nicht her“. Die Norm im Hochbau von 150 bis 200 Kilogramm pro Quadratmeter wird bei vielen Menschen und Massen schnell geknackt, in Altbauten umso schneller.

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In einer nicht selten stundenlangen Aktion versuchen die Feuerwehrleute dann, diese Menschen irgendwie von ihrem Bett in den Rettungswagen zu bekommen. „Manchmal müssen wir dazu Fenster und Türen ausbauen. Im Zweifel muss man sogar die Wände aufstemmen“, erzählt Jost.

119 Einsätze in 2019 in Gelsenkirchen mit fettleibigen Menschen – Zunahme um 441 Prozent innerhalb von zehn Jahren

Im vergangenen Jahr hat die Gelsenkirchener Feuerwehr „119 Einsätze mit extrem fettleibigen Menschen gehabt.“ Statistisch gesehen waren also jede Woche zweimal Spezialgerät und viele Helfer gefragt. „2009 waren es 22 Einsätze.“ Das ist eine Steigerung von 441 Prozent.

Gesundheitliche und finanzielle Folgen

Übergewicht wird laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weltweit zu einer immer größeren Belastung. Auch für die Gesellschaft. In Deutschland fließen 10,7 Prozent der Ausgaben im Bereich Gesundheit in die Behandlung von Übergewichtigen und den damit verstärkt auftretenden Folgekrankheiten. Nur die Niederlande und die USA geben in diesem Bereich noch mehr Geld aus. Fettleibigkeit führt meist zu gesundheitlichen Problemen.

Wer einen Body-Mass-Index über 25 hat, gilt als übergewichtig – wer einen Wert über 30 hat, als fettleibig. Adipositas verursacht in den OECD-Ländern statistisch gesehen 70 Prozent der Diabetes-Behandlungskosten, 23 Prozent der Behandlungskosten für Herzkreislauferkrankungen und neun Prozent der Krebs-Behandlungskosten.

Ein Viertel der Erwachsenen ist nach Angaben des Robert-Koch-Institutes stark übergewichtig.

Der Zunahme adipöser Patienten hat die Feuerwehr Gelsenkirchen Rechnung getragen. Bis Mitte der 2000er-Jahre noch per selbst umgebautem Rettungswagen (RTW), ausgerüstet mit Seilwinde und mit Stahl verstärktem Krankenhausbett, seit 2013 mit dem SRTW, dem Sonderrettungswagen.

Spezial-Fahrzeug für Adipöse: Extra breit, extra stark, extra ausgestattet und besonders teuer – rund 260.000 Euro kostet der Sonderrettungswagen

Mit einem zehn-Tonnen-Fahrgestell ausgeliefert, verfügt der SRTW über eine deutlich größere Gewichtsreserve als ein normaler Rettungswagen. Er ist ausgerüstet mit einer extra breiten und starken Schwerlasttrage (Tragkraft 385 Kilogramm, normal: 228 Kilogramm) sowie einem ähnlich überdimensionierten Schleifkorb, wie ihn die Höhenretter nutzen – seine Tragkraft reicht bis an die 750 Kilogramm. Kosten: 259.000 Euro, rund 45.000 Euro mehr als die Basisversion. Natürlich auch ausgestattet mit Beatmungsgerät, Defibrillator und mehr. Etwa: eine stabile Vakuum-Matratze, längere Infusionsnadeln und Blutdruckmessgeräte mit größeren Manschetten.

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Hydraulische Laderampe stellt jeden Lebensmittel-Lkw in den Schatten

„Dazu verfügt das Fahrzeug über eine zweigeteilte, hydraulische Laderampe, größer und kräftiger sogar noch als die der Lebensmittel-Transporter“, erklären Brandmeisteranwärter André Beyer und Hauptbrandmeister Jörg Handt. Eine Euro-Palette misst 80 mal 120 Zentimeter, allein die Länge der Schwerlasttrage übersteigt zwei Meter. Auch das Sprungtuch, mit dem viele Hände viele Zentner tragen können, ist doppelt so groß wie üblicherweise.

Die Schwerlasttrage wird zudem über ein Airline-Schienensystem, wie bei Flugzeugsitzen, am Fahrzeugboden verankert, zusätzliche Gurte fangen die enormen Kräfte durch Masse und Beschleunigung auf.

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Wegen Atemproblemen könnten adipöse Patienten nicht flach auf dem Rücken liegen, sondern sie müssten teils sitzend transportiert werden. „Ansonsten drohen sie zu ersticken. Da braucht man viel Erfahrung“, sagt Carsten Jost. Und auch viel Personal: Wenn neben zusätzlichen Trägern noch Höhenretter benötigt werden, sind mitunter 15 bis 20 Helfer mehrere Stunden lang im Einsatz.

Übrigens: Alles ohne zusätzliche Kosten, maximal zehn Euro Eigenanteil werden fällig.

Höhenretter der Feuerwehr rücken an, wenn sämtliche Wege versperrt sind, Schwergewichte über Treppe und Wohnungstür aus dem Gebäude zu bringen

Scheitert der Transport mit Schwerlasttrage oder Tuch über Wohnungstür und Treppenhaus zum SRTW, so rückt der Spezialtrupp der Höhenretter an. Im günstigen Fall reichen dann Drehleiter und Schleifkorb, um den Patienten über das Fenster aus der Wohnung zu hieven, in ungünstigen Fällen müssen „aufwendige Seilsysteme im Mauerwerk des Gebäudes verankert werden“, um das Schwergewicht aus den vier Wänden zu bekommen.

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„Was vielen sehr oft peinlich ist“, wie die Retter berichten. Denn die extrem dicken Menschen haben es aus eigener Kraft nicht geschafft den Teufelskreis aus Krankheit, Kummer, Selbstaufgabe (oder auch Eigenverschulden) und mehr zu durchbrechen.