Gelsenkirchen. Mohamad kam als 15-jähriger allein aus Syrien. Im Interview spricht der Abiturient über seine Erfahrungen und Hoffnungen.

Mohamad Akkour kam 2016 als damals 15-Jähriger nach Gelsenkirchen – allein aus dem syrischen Aleppo, ohne Deutschkenntnisse. Er zog bei einem Cousin in Gelsenkirchen-Horst ein, und hatte große Pläne. Abitur, ein Buch schreiben, studieren. . . Im SommerGEspräch schildert er, wie es ihm seither ergangen ist.

Herr Akkour, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur! Wie ist es gelaufen?

Mohamad Akkour: Dankeschön! Es war leider nicht so gut, wie ich wollte. Ich hatte eine 2,0, aber die Klausuren haben es ein bisschen verschlechtert. Mir hat Unterstützung gefehlt. In Syrien konnte ich immer meine große Schwester fragen, hier auch Freunde, aber in Coronazeiten war auch das schwer. Es ist schade, dass die Begleitung auch von der Stadt, die am Anfang wirklich großartig war, generell mit der Volljährigkeit aufhört. Es wäre gut, wenn sie erst nach dem Schulabschluss enden würde. Eine Mitarbeiterin hat sich weiter ehrenamtlich um mich gekümmert, obwohl sie das nicht musste. Ich habe jetzt mit Freunden auf Instagram eine Gruppe „Botschafter“ gegründet für zugewanderte Jugendliche mit Bildungsproblemen. Mit Tipps zu Nachhilfe, Schulsystem, Perspektiven.

Sie sind allein in ein Land gekommen, dessen Sprache sie nicht sprachen, haben sich als Teenager in der Regelzeit ein gutes Abitur erkämpft. Sie haben ein Buch veröffentlicht, mehrmals den Oberbürgermeister getroffen, am Jugendparlament teilgenommen, ein Praktikum bei einer Bundespolitikerin gemacht – das ist mehr als eine stattliche Leistung!

Ja, ich bin auch sehr glücklich, dass mir das alles möglich war. Manchmal habe ich gezweifelt, ich habe ja zwischendurch auch immer gearbeitet, weil von dem Schüler-Bafög nur 400 Euro neben der Miete übrig blieb. Darunter hat das Lernen auch gelitten. Aber ich möchte studieren.

Was und wo?

Ich habe mich in Jura, Wirtschaftspsychologie, Pharmazie und auch Zahnmedizin beworben, aber in Medizin habe ich keine Chance, auch wenn ich mich dafür überall in Deutschland beworben habe. Es gibt zwar einen Eignungstest, der den Notenschnitt verbessert, aber der ist immer im März, da müsste ich lange warten.

Wo möchten Sie denn am liebsten leben und studieren?

In Gelsenkirchen! Das ist meine Heimat geworden, ich fühle mich sehr wohl. Ich war gerade ein paar Tage mit Freunden in Belgien und Frankreich unterwegs: Das war sehr anders. Es gab komische Blicke, alles war weniger ordentlich als hier, viele trugen keine Masken, der Verkehr geht völlig durcheinander. . .

Das erste Treffen mit dem Oberbürgermeister: Der damals 16-Jährige wurde zu der Zeit vom Sozialdienst Schule betreut. Den Mitarbeitern war der engagierte junge Mann gleich positiv aufgefallen.
Das erste Treffen mit dem Oberbürgermeister: Der damals 16-Jährige wurde zu der Zeit vom Sozialdienst Schule betreut. Den Mitarbeitern war der engagierte junge Mann gleich positiv aufgefallen. © Funke Foto Services | Heinrich Jung

Komische Blicke? Haben Sie Diskriminierung erfahren? Dort oder auch in Gelsenkirchen?

Hier eigentlich kaum. Nur als ich in der Zeitung gelesen habe, dass dringend Wahlhelfer gesucht werden und ich mich dafür gemeldet habe, weil mich interessiert, wie demokratische Wahlen hier funktionieren, wurde ich abgelehnt. Der einzige Grund war, dass ich nur einen befristeten Aufenthaltsstatus habe. Für mich gilt nur subsidiärer Schutz, weil ich angeblich politisch nichts zu fürchten habe in Syrien. Meine Klage gegen das Bundesamt für Migration, die ich vor vier Jahren eingereicht habe, ist bis heute nicht bearbeitet. Ich weiß allerdings von vielen jungen Frauen, die aus religiösen Gründen und völlig freiwillig Kopftuch tragen und deshalb auch hier Diskriminierung erfahren. Das ist sehr belastend für sie. In Krankenhäusern bleiben Plätze für Ärzte und Krankenschwestern unbesetzt, weil sie keine Mitarbeiterinnen mit Kopftuch akzeptieren. Warum? Mein deutscher Freund hat gesagt, Religionen dienen dazu, dass wir unsere Nächsten lieben. Die Nächsten, das sind doch auch die Muslime, hat er gesagt.

Möchten Sie denn langfristig in Deutschland bleiben?

Überall in seinem Zimmer hatte Mohamad Zettel mit Vokabeln aufgehängt, um sich die schwersten Worte besser einprägen zu können, die deutsche Sprache so schnell und gut wie möglich zu lernen..
Überall in seinem Zimmer hatte Mohamad Zettel mit Vokabeln aufgehängt, um sich die schwersten Worte besser einprägen zu können, die deutsche Sprache so schnell und gut wie möglich zu lernen.. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Auf jeden Fall! Ich bewerbe mich um die deutsche Staatsbürgerschaft sobald das möglich ist. Auch wenn es schwer ist, dass ich meine Eltern und Schwestern nicht sehen kann. Sie wollten zu meinem Abitur kommen, dürfen aber nicht. Obwohl die Eltern eines deutschen Freundes für sie gebürgt hätten. In Aleppo fallen zwar keine Bomben mehr, aber der Hunger ist groß, die Wirtschaft am Boden. Es gibt keine funktionierende Demokratie und in den Flüchtlingslagern ist auch der Hunger nach Bildung groß. Ich möchte mich politisch engagieren. Es müssten Schulen mit deutscher Unterstützung in der Schutzzone nahe der Türkei gebaut werden. Bildung ist so wichtig! Wenn diese Kinder ohne Bildung aufwachsen müssen, neben dem Hunger, können sie sich irgendwann radikalisieren. Ohne Bildung geht es nicht.

Politisch aktiv werden ist mit befristetem Aufenthaltsstatus aber nicht möglich, oder?

Ich kandidiere für den Integrationsrat bei der Kommunalwahl und im August mache ich ein Praktikum im Integrationszentrum. Das geht, mehr aber noch nicht.

Wie sehen Sie in die Zukunft?

Ich muss künftig alleine leben, mein Cousin zieht nach Bochum. Dafür muss ich mir auch noch günstig Möbel besorgen. Ich bräuchte auch dringend ein Stipendium, damit ich neben dem Studium nicht zuviel arbeiten muss. Ich möchte mich doch weiter ehrenamtlich engagieren. Die Hans-Böckler-Stiftung hat mich in der letzten Auswahlstufe doch nicht genommen. Aber auf lange Sicht: Ich verliere nicht die Hoffnung, dass eines Tages alle gleiche Chancen haben, die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer werden. Und dass alle in Frieden leben, überall. Und dass ich meine Eltern wiedersehen kann.