Das neue Flüchtlingsdrama ist ein Lehrstück dafür, wie wenig der Mensch zählt, wenn es um die Durchsetzung politischer Interessen geht.
Das neue Flüchtlingsdrama an der griechisch-türkischen Grenze ist ein Lehrstück dafür, wie wenig der Mensch zählt, wenn es um die Durchsetzung politischer Interessen geht. Die Kinder, Frauen und Männer, die vor den Stacheldrahtverhauen im Tränengasnebel stehen und in der Kälte ausharren müssen, sind für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nur ein Druckmittel, um neue Finanzhilfen zu erpressen und internationale Unterstützung für seine Syrien-Politik zu erzwingen.
Für die Europäische Union hingegen sind die Menschen an der Grenze Schreckgespenster, die sie eindringlich an das Versagen der Gemeinschaft bei der Umsetzung einer konsistenten Flüchtlingspolitik inklusive gerechter Lastenverteilung erinnern.
Auch in der deutschen Innenpolitik geht es beim Umgang mit dem Drama weniger um die Menschen selbst als um die Positionierung für künftige Wahlkämpfe. Armin Laschet, Bewerber für den CDU-Vorsitz und damit auch für die Kanzlerkandidatur, will jene Härte demonstrieren, von der er glaubt, dass es sie braucht, um der AfD Stimmen abzuringen.
Die Grünen und die SPD wollen ihrer Klientel mit der gönnerhaften Forderung nach der Aufnahme eines begrenzten Kontingents zeigen, dass ihr moralischer Kompass noch funktioniert. Wohlwissend, dass eine solche Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre und die Krise nicht ohne eine europäische Einigung zu lösen ist.
Manches ist auch bigott: Wenn NRW-Kommunen sich bereit erklären, unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, können sie sich kostengünstig im Glanz moralisch einwandfreien Handelns sonnen. Für die Finanzierung müsste nämlich das Land aufkommen.
Wirksame Hilfe zu leisten ist eine außenpolitische Herausforderung. Die syrischen Kurden haben angeboten, Hunderttausende Flüchtlinge in den von ihnen kontrollierten Gebieten aufzunehmen. Eine Zusammenarbeit mit ihnen würde aber die Türkei verstimmen. Es scheint, als bliebe die Krise noch lange ungelöst, weil Politik auf den Rücken der Schwächsten gemacht wird.