Gelsenkirchen-Ückendorf. Bei Friedrich Geldbach wehrt sich die Belegschaft gegen das Aus: Farina-Gruppe will den Neubeginn für Gelsenkirchener Traditionsfirma schaffen.
Auch Protest fällt in Coronazeiten etwas anders aus: Die Teilnehmer stehen Dienstag um 10 Uhr auf roten Markierungen auf dem Asphalt, die den nötigen Sicherheitsabstand garantieren sollen. Geschlossenheit wird durch Flatterbänder demonstriert. Die sonst gerne mal für lautstarke Unmutsäußerungen genutzten Trillerpfeifen bleiben stumm – der obligatorische Mund-Nasenschutz verbietet den Einsatz. Doch auch so wird klar, warum gut 60 Mitarbeiter der Firma Friedrich Geldbach GmbH, etliche Familienangehörige und Unterstützer vor dem Firmentor an der Bergmannstraße eine Menschenkette in ihrer erweiterten Frühstückspause bilden: Das Traditionsunternehmen ist in der Insolvenz. „Und es ist kurz vor knapp“, wie Betriebsräte und Gewerkschafter der IG Metall fürchten. Bereits Ende Juli könnten 126 Jahre Firmengeschichte enden. Bis dahin gibt es Aufträge abzuarbeiten, zu Ende August ist die komplette Belegschaft gekündigt.
Gelsenkirchener sind spezialisiert auf großformatige Flansche
Kurzarbeit, verspätete Lohnzahlungen, Freistellungen – das alles hat die Belegschaft hinter sich. „Alles sollte dazu beitragen, hier die Arbeit zu behalten. Aber es war klar, ohne neues Kapital lässt sich die Insolvenz nicht verhindern“, sagt Ralf Goller, der Gelsenkirchener IG Metall-Sekretär. Auf Formteile und Flansche ist Friedrich Geldbach spezialisiert, besonders auf Flansche im XXL-Format, beispielsweise für Rohrverbindungen. Als Teil der italienischen Farina-Gruppe ist das Unternehmen weltweit aufgestellt. Doch das „Goldstück“, die große Presse für die Produktion eben dieser großformatigen Flansche, ist seit 2016 defekt. „Sie wurde billig repariert“, so Goller. Auch das habe sich bitter gerächt. „Es sind viele, viele Fehler in der Vergangenheit gemacht und falsche Entscheidungen getroffen worden“, das „betriebswirtschaftliche Wissen der Belegschaft“ sei leider zu oft ignoriert worden.
Geldbach hat Millionen-Verluste angehäuft, auch die über drei Millionen Euro, die eine Reparatur der Maschine kosten würde, um weiter gut im Geschäft zu bleiben, nicht stemmen können. Die Insolvenz war im April „eigentlich überfällig“, war für Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter Klaus Siemon früh klar. Rund 200.000 Euro Verlust, rechnet er, mache das Unternehmen – pro Monat. „Viel privates Geld“ von Farina ist laut Goller in der Vergangenheit in den Betrieb geflossen, das erkennen auch Gewerkschaft, Belegschaft und Betriebsrat an.
2003 ist die Farina-Gruppe als Mehrheitsgesellschafter eingestiegen
2003 hat die Farina-Gruppe als Mehrheitsgesellschafter Friedrich Geldbach übernommen, damals auch in der Insolvenz. Seit 38 Jahren ist der Betriebsratsvorsitzende Fuat Kilinc in der Firma. „Farina war in der ganzen Zeit der beste Inhaber“, stellt er fest. Aber zunehmend einer ohne Fortune. Zudem habe es Veränderung im familiengeführten Unternehmen gegeben, die sich bis nach Ückendorf ausgewirkt hätten. Insolvenzverwalter Siemon verhandelte mit der Gruppe. Sie wolle unter bestimmten Voraussetzungen und mit neuer Inhaberstruktur neu einsteigen, so das Signal aus Italien. Klar, so Goller, sei es etwas befremdlich, dass diejenigen, die die Misere verursacht hätten, „nun Interesse daran haben, weiterzumachen“. Doch sei die „Arbeit viel wichtiger als persönliche Eitelkeiten“. Und am „Ende ist es egal, wer den Betrieb übernimmt. Entscheidend ist der Plan, der dahinter steckt.“
SPD Bundestagsabgeordneter Töns redet vor der Belegschaft
Kommunale Wirtschaftsförderung und Stadt haben Unterstützung signalisiert, sollte es noch um Unterstützung oder die Beantragung von Fördermitteln gehen. Politiker von AUF über die Linke bis zu den SPD-Bundestags- und Landtagsabgeordneten Markus Töns und Sebastian Watermeier nehmen morgens an dem Protest teil, erklären sich solidarisch. Entscheidend werden die kommenden Tage sein: Eine entscheidende Gesprächsrunde schein nun terminiert: Am 23. Juli wollen die Parteien nochmals über die Zukunft des Unternehmens verhandeln. „Wir sind da und gesprächsbereit“, kündigt Goller an, selbst wenn es die ganze Nacht dauern sollte.“
Belegschaft unterschreibt ihre Forderungen auf einem Plakat
Beschäftigte und Angehörige tragen an diesem Morgen rote Gewerkschafts-Shirts mit dem Spruch „Stillstand hat noch nie etwas bewegt“ auf der Brust. Auf eine Papp-Plakat schreiben sie ihre Forderungen: „Keine Freistellung“, „Zukunft für Flansche“ oder auch „Schnelle Einigung mit dem Insolvenzverwalter“ steht dort. Uli, fast 36 Jahre im Betrieb, „ist immer noch etwas guter Dinge“, dass der Knoten noch durchschlagen wird. „2003, sagt er, war schon nicht gut. Aber damals gab es nicht so ein Durcheinander wie jetzt.“
Farina: „Den Grundstein setzen, um einen Neubeginn zu schaffen“
Die Farina-Gruppe sieht das „Insolvenzverfahren als eine Gelegenheit, um die Krise zu überwinden. Wir beabsichtigen nicht, nach 126 Jahren die Friedrich Geldbach GmbH zu schließen, sondern wir wollen den Grundstein setzen, um einen Neubeginn zu schaffen“, betont die Familie Farina in einem Schreiben, das der WAZ vorliegt.
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Ab 2016 haben die Gesellschafter die Firma im Rahmen einer weitgehenden Unternehmensumstrukturierung zum strategischen Mittelpunkt des neuen Industrieprojekts gemacht und nach eigenen Angaben „in vier Jahren 16 Millionen Euro Eigenkapital investiert. Wir waren und sind noch zuversichtlich, auf die Unterstützung der öffentlichen Stellen sowie der regionalen Banken zählen zu können“, so Carlo Farina, der Dienstag auch zu Gesprächen nach Gelsenkirchen kam. „Im Laufe der Jahre haben die Gesellschafter stets Eigenmittel zur Verfügung gestellt, und zwar vor allem deshalb, um die Arbeitsplätze aufrecht zu erhalten, auch wenn ein Personalabbau geboten gewesen wäre“. Die Krise, stellt Farina fest, „wurde durch den Ausfall grundlegender Produktionsanlagen des Standortes in der Bergmannstraße ausgelöst, was wiederum Tonnage, Umsatz und Gewinnkapazität beeinträchtigte“.
Investitionen zur Wiederherstellung der Produktionsfähigkeit
Für Farina steht fest: „Der nun angestrebte Neustart des Unternehmens erfordert erhebliche strukturelle Investitionen zur Wiederherstellung der Produktionsfähigkeit“. Doch letztlich zögen „Gesellschafter, Arbeitnehmer und Gläubiger alle am gleichen Strang, und wir glauben fest an die Möglichkeit einer Fortführung einer alteingesessenen Firma, deren Verlust um jeden Preis verhindert werden muss.“
Für die IG Metall wird es im Gespräch am 23. Juli auch darum gehen, Zeit zu gewinnen und den August noch für eine mögliche Rettung des Betriebs nutzen zu können.