Gelsenkirchen-Altstadt. Als Nicht-Sehendem in Gelsenkirchens City hilft Bayram Dogan der Bodenbelag zur Orientierung mit Ohren und Nase. Doch ist noch viel zu verbessern.
Die Freiheit von Bayram Dogan hört da auf, wo das Leitsystem in der Innenstadt endet. Denn die Leitstreifen geben dem 46-Jährigen Sicherheit und Selbstständigkeit. Seit seiner Jugend ist der studierte Diplom-Kaufmann blind. Die WAZ hat ihn durch die Altstadt begleitet.
Dogan kennt sich aus in der Innenstadt, er ist ein geborener Gelsenkirchener Jung. Hätte er nicht seinen langen, weißen Stock zur Orientierung, man würde kaum ahnen, dass er nicht sehen kann. Denn er marschiert mit beachtlichem Tempo von seiner Arbeitsstelle, der Agentur für Arbeit, zum Hans-Sachs-Haus und weiter Richtung Bahnhof, um zu demonstrieren, wie er sich orientiert.
„Als Arbeitsvermittler betreue ich Arbeitgeber“, erzählt er über seine Tätigkeit. Dabei hilft ihm eine Arbeitsassistentin, die ihn zum Beispiel zu den Unternehmern begleitet oder ihm Schriftstücke vorliest. Dem sportbegeisterten Fußballfan fehlt zurzeit das körperliche Auspowern in seiner Mannschaft. Er hofft inständig, dass diese Coronabeschränkungen bald aufgehoben werden können.
Immer mit den Ohren dabei
Ziel- und selbstsicher geht der sportliche, schlanke Mann über den König-Heinrich-Platz – immer entlang der „taktilen Bodenindikatoren“ wie das tastbare Leitsystem genannt wird. „Man muss aber immer sehr konzentriert und auch mit den Ohren dabei sein“, schildert der 46-Jährige seine Orientierungsbedingungen. Während er in zügigem Tempo läuft, schwenkt er den langen, weißen Stock unaufhörlich nach links und rechts, um mögliche Hindernisse zu ertasten.
„Ich bin auch schon öfter jemandem in den Rücken gelaufen. Die Menschen entschuldigen sich dann bei mir. Aber ich sage immer, hinten hat man ja keine Augen“, hat Dogan volles Verständnis für solche „Pannen“. Die meisten Personen seien sehr nett zu ihm. Aber gerade jetzt in diesen Coronazeiten komme es auch schon mal vor, dass sich Menschen beschweren, weil er ihnen aus Versehen zu nahe kommt.
Die Leitstreifen auf dem Boden sind immer dann zu Ende, wenn die Aufmerksamkeit ganz besonders gefragt ist: an Kanten, Straßen und Treppen zum Beispiel. „Sehen Sie, dann sind hier in dem Belag solche Noppen. Wenn ich die fühle, heißt das immer: Achtung, aufpassen!“ Denn es kann sein, dass er dann zum Beispiel vor einem Ampelmast steht.
Das Leitsystem gibt Sicherheit
Seit Gelsenkirchen vor einigen Jahren das Leitsystem angebracht hat, ist sein sicherer Bewegungsradius um einiges gewachsen. „Das ist eine tolle Sache“, sagt der 46-Jährige, dem es dadurch möglich wurde, die halbe Stunde Mittagspause völlig selbstständig in der Stadt zu verbringen.
Ein unfassbar genaues Orientierungsgefühl hat Bayram Dogan. „Jetzt müssten wir eigentlich direkt vor der Sparkasse sein“, sagt er und steht exakt vor dem Bankgebäude. Ihm helfen aber auch Gerüche. Natürlich weiß er sofort, wenn er sich vor einem Kaffee- oder Blumengeschäft oder vor einer Bäckerei befindet.
Viele Menschen seien sehr hilfsbereit und fragten, ob sie etwas für ihn tun können, freut er sich. „Aber, es gibt auch verrückte Sachen. Mir wollte mal eine alte Dame helfen, als ich zum Bus gehen musste. Die hat sich meinen Arm geschnappt, konnte aber nur sehr langsam gehen. Ich habe tatsächlich dadurch meinen Bus verpasst.“
Über ähnliche Erfahrungen kann er beim Zugfahren berichten. Die meisten könnten es nicht mit ansehen, wenn er alleine aus dem Zug steige. „Viele haben Angst, dass ich zwischen Zug und Bahnsteig gerate. Aber ich kenn’ die Abstände ja.“ Schwierig wird es für ihn immer, wenn in solchen Situationen jemand versucht, zu helfen und er dann mit den Abmessungen ins Schlingern gerät. „Dann wird es wirklich problematisch.“
Wenn der Leitstreifen endet
Als Bayram Dogan am Anfang der Bahnhofstraße und am Ende des Leitstreifens ankommt, hört seine Sicherheit akut auf. „Ab jetzt ist es für mich kaum machbar, alleine weiterzulaufen“, räumt er ein. Und tatsächlich, ist die nächste Gefahrenstelle nur wenige Meter weit weg. Denn nur ein paar Schritte weiter geradeaus steht eine fest im Boden eingemauerte große graue Plakatwand quer. „Das wusste ich noch gar nicht“, sagt Dogan.
Taktile Hilfe
Bayram Dogan weist auf ein Problem hin, die sich bisher nicht vermeiden lässt. „Für Blinde sind die gut fühlbaren Noppen auf der Straße wichtig, um an bestimmten Stellen besondere Aufmerksamkeit zu erzielen“, sagt er. Das wiederum bringt für Menschen, die auf den Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, besondere Probleme mit sich. Die Flächen sind schwer zu überwinden.
Der 46-Jährige freut sich über Personen, die helfen wollen. Er bittet aber, vorher zu fragen und die Antwort auch zu akzeptieren. Also bitte nicht einfach den Arm eines Blinden schnappen und über die Person über eine Straße zerren.
„Schimpfen Sie jetzt nicht auf die Stadt, die hat schon so viel für uns getan. Das Leitsystem im Aufzug des Hans-Sachs-Hauses ist zum Beispiel wirklich hervorragend.“ Aber viele Verbesserungen seien für die Zukunft natürlich noch wünschenswert.